Kategorie-Archiv: Blog

7. März 2025

ravel in bilbao

Am 7. Oktober 1913 schreibt Maurice Ravel in einem Brief: „Placet futile war schon fertig, aber ich habe es überarbeitet. Ich verhehle mir nicht, dass es eine gewaltige Kühnheit ist zu versuchen, dieses Sonett in Musik zu übertragen. Die melodische Kontur, die Modulationen, die Rhythmen müssen so fein, so delikat und zugleich komplex sein wie die Gefühle, die Bilder des Textes. Trotzdem muss die elegante Haltung des Gedichts da sein. Und, vor allem, die tiefe, bewundernswerte Zärtlichkeit, die all das umfließt. Jetzt, da es getan ist, habe ich ein bisschen Lampenfieber…“

Placet futile, Vergebliches Flehen, so heißt ein nahezu unübersetzbares Sonett von Stéphane Mallarmé, und was Maurice Ravel 1913 daraus machte, das sollte man heute an seinem 150. Geburtstag schon deswegen hören, weil ja sonst überwiegend der Bolero von 1928 rauf und runter gespielt wird. Auch ein tolles Stück! Aber hier, im mittleren der Trois Poèmes de Stéphane Mallarmé, komponiert für zwei Flöten, zwei Klarinetten, Streichquartett, Klavier und Gesang, kann man den jungen Avantgardisten Ravel entdecken. Ich gestehe, bei einem Blindhören hätte ich bis zum Einsatz der Sopranistin auf etwas von Alban Berg getippt, vielleicht schon aus der Zeit der Arbeit am Wozzeck. So nahe wie in Placet futile kommen sich Ravel und der Kreis um Schönberg nie wieder – nicht von ungefähr. Über seinen Freund und Kollegen Strawinsky hatte Ravel Anfang 1913 den noch fast tintenfrischen Pierrot Lunaire von Schönberg kennengelernt und war fasziniert.

Das Gedicht – es geht, sehr grob gesagt, um Liebesgedanken beim Blick auf eine bemalte Porzellantasse – scheint ein völlig anderes zu sein als eben dasselbe Placet futile, das Claude Debussy etwa zeitgleich in derselben Stadt Paris komponierte. Während er den nostalgischen Blick in die Zeit der Schäferspiele zum Thema macht, etwas ironisch gebrochen, entdeckt Ravel Abgründe von Leidenschaft, Verlust, Sehnsucht. Das ist nicht das Lächeln einer gemalten Figur, auf die ein paar Träume projiziert werden, das ist das Lächeln eines zutiefst geliebten Menschen. Am schönsten hat Felicity Lott das Lied gesungen, 1983 mit dem Ensemble de Chambre de l´Orchestre de Paris. Noch viel mehr zu den Mallarmé-Vertonungen von Ravel und Debussy ist nachzuhören in einer Folge der Interpretationen auf Deutschlandfunk Kultur, 2022 entstanden, Infos hier.

Und der Boléro? Wollen Sie es wirklich wissen, von Polytonalität bis Bo Derek? Und was Debussy auch damit zu tun hat? Dann geht´s hier lang. Das signierte Lichtbild von Ravel aus der Zeit kurz vorm Boléro hängt übrigens im Künstlerzimmer der Sociedad Filarmónica da Bilbao, wo ich es fotografierte. Er hat in diesem Saal am 10. November 1925 eigene Werke dirigiert.

28. Februar 2025

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Das ist Célestine Galli-Marié, die erste Carmen, und mehr noch – die Sängerin, die gegen den Widerstand des Opernchefs durchsetzte, dass Bizets Oper bei ihrer Uraufführung am 3. März 1875 so blutig endete, wie der Komponist und seine Librettisten es vorsahen, und auch die Sängerin, die den Komponisten nötigte, noch während der Proben eine neue Auftrittsarie für sie zu schreiben, eben die berühmt gewordene Habanera, für die Bizet sich genial bei einem spanischen Kollegen bediente. Was das aber für eine Stadt war, in der und für die diese Oper entstand, zuerst durchfiel und dann zum Renner wurde, wie tief verwundet dieses Paris war, in dem das Ende der Commune mit zehntausenden niedergemetzelten Männern, Frauen, Kindern noch keine vier Jahre zurücklag – das ist von “Carmen” nicht zu trennen und doch den wenigsten bewusst. Darum geht es in meinem Stück für ZEIT Geschichte, am vorigen Donnerstag erschienen und online hier zu lesen – vorerst nur mit “Bezahlschranke”.

Das Thema Femizid hat seit dem Bühnenmord an Carmen an Aktualität noch drastisch zugenommen. 85 000 Frauen und Mädchen wurden im Jahr 2023 weltweit getötet, davon 360 in Deutschland. Dazu kommen in diesem Land noch 578 versuchte Tötungsdelikte. “Der Anteil an weiblichen Opfern, die im Zusammenhang mit partnerschaftlichen Beziehungen Opfer von Tötungsdelikten wurden”, meldet das Bundesministerium des Innern, “liegt bei 80,6 Prozent.”

Starke Frauen der Geschichte werden, auch das passt ins Bild, gern zu eisigen Monstern stilisiert wie etwa die römische Kaiserin Agrippina. Mit ihr als Opernfigur setzt sich in Zürich die Mezzosopranistin Anna Bonitatibus auseinander, mit der ich mich während der Proben zu Händels Oper “Agrippina” traf. Ein Gespräch über Machtspiele, Kastraten und die Gemeinsamkeiten der beiden Erneuerer Händel und Rossini, die Lieblingskomponisten dieser Sängerin. Am 2. März hat die Produktion Premiere.

2. Februar 2025

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»Dieses Adagietto war Gustav Mahlers Liebeserklärung an Alma! Statt eines Briefes sandte er ihr dieses im Manuskript, weiter kein Wort dazu. Sie hat es verstanden u. schrieb ihm: er solle kommen!!! (beide haben mir dies erzählt!)« Das notierte der Dirigent Willem Mengelberg in seine Partitur der Fünften Sinfonie, als er sie im März 1906 erstmals mit dem Concertgebouw Orkest probte, Das exzellente Online-Archiv des Orchesters verzeichnet ganze 39 Aufführungen des Werks unter Mengelsbergs Leitung bis 1938. Uraufgeführt wurde die Fünfte am 18. Oktober 1904 unter der Leitung des Komponisten mit dem Orchester, das sie auch heute, morgen und übermorgen spielt: Das Gürzenich Orchester Köln, das damals noch Cölner Städtisches Orchester hieß. Für das aktuelle Programm (mit Schumanns Klavierkonzert) schrieb ich einen Text, der auch hier zu lesen ist. Am kommenden Sonntag, 9. Februar, hat in Zürich Giacomo Puccinis Oper Manon Lescaut Premiere; mit der Sängerin der Titelrolle traf ich mich während der Proben. Elena Stikhina, 1986 geboren, erzählt vom Sterben auf der Bühne, der Arbeit mit Regisseur Barrie Kosky, den toxischen Beziehungen der Operngestalten, vom Lampenfieber neulich in der Scala und dem besonderen Kick, der sie aus einem kleinen Städtchen im Ural auf die großen Bühnen der Welt katapultierte: “Irgendwann kommt der Punkt, dass du diese Vibrationen im Körper spürst, wenn du singst. Und danach beginnst du süchtig zu werden.”