Am 7. Oktober 1913 schreibt Maurice Ravel in einem Brief: „Placet futile war schon fertig, aber ich habe es überarbeitet. Ich verhehle mir nicht, dass es eine gewaltige Kühnheit ist zu versuchen, dieses Sonett in Musik zu übertragen. Die melodische Kontur, die Modulationen, die Rhythmen müssen so fein, so delikat und zugleich komplex sein wie die Gefühle, die Bilder des Textes. Trotzdem muss die elegante Haltung des Gedichts da sein. Und, vor allem, die tiefe, bewundernswerte Zärtlichkeit, die all das umfließt. Jetzt, da es getan ist, habe ich ein bisschen Lampenfieber…“
Placet futile, Vergebliches Flehen, so heißt ein nahezu unübersetzbares Sonett von Stéphane Mallarmé, und was Maurice Ravel 1913 daraus machte, das sollte man heute an seinem 150. Geburtstag schon deswegen hören, weil ja sonst überwiegend der Bolero von 1928 rauf und runter gespielt wird. Auch ein tolles Stück! Aber hier, im mittleren der Trois Poèmes de Stéphane Mallarmé, komponiert für zwei Flöten, zwei Klarinetten, Streichquartett, Klavier und Gesang, kann man den jungen Avantgardisten Ravel entdecken. Ich gestehe, bei einem Blindhören hätte ich bis zum Einsatz der Sopranistin auf etwas von Alban Berg getippt, vielleicht schon aus der Zeit der Arbeit am Wozzeck. So nahe wie in Placet futile kommen sich Ravel und der Kreis um Schönberg nie wieder – nicht von ungefähr. Über seinen Freund und Kollegen Strawinsky hatte Ravel Anfang 1913 den noch fast tintenfrischen Pierrot Lunaire von Schönberg kennengelernt und war fasziniert.
Das Gedicht – es geht, sehr grob gesagt, um Liebesgedanken beim Blick auf eine bemalte Porzellantasse – scheint ein völlig anderes zu sein als eben dasselbe Placet futile, das Claude Debussy etwa zeitgleich in derselben Stadt Paris komponierte. Während er den nostalgischen Blick in die Zeit der Schäferspiele zum Thema macht, etwas ironisch gebrochen, entdeckt Ravel Abgründe von Leidenschaft, Verlust, Sehnsucht. Das ist nicht das Lächeln einer gemalten Figur, auf die ein paar Träume projiziert werden, das ist das Lächeln eines zutiefst geliebten Menschen. Am schönsten hat Felicity Lott das Lied gesungen, 1983 mit dem Ensemble de Chambre de l´Orchestre de Paris. Noch viel mehr zu den Mallarmé-Vertonungen von Ravel und Debussy ist nachzuhören in einer Folge der Interpretationen auf Deutschlandfunk Kultur, 2022 entstanden, Infos hier.
Und der Boléro? Wollen Sie es wirklich wissen, von Polytonalität bis Bo Derek? Und was Debussy auch damit zu tun hat? Dann geht´s hier lang. Das signierte Lichtbild von Ravel aus der Zeit kurz vorm Boléro hängt übrigens im Künstlerzimmer der Sociedad Filarmónica da Bilbao, wo ich es fotografierte. Er hat in diesem Saal am 10. November 1925 eigene Werke dirigiert.