Kategorie-Archiv: Blog

21. Juni 2025

brendel 1972

“Ob ich wirklich gerne aufnehme? Ich habe mich so daran gewöhnt, dass es mich nicht stört. Manchmal gefallen mir die Ergebnisse hinterher nicht, aber das ist eine andere Sache, das gilt auch für Konzerte mit Publikum. Ich würde viel lieber „live“ aufnehmen. Ich habe mir die Bänder meiner Konzerte angehört und muss sagen, dass ich manchmal die Spontaneität der Aufführungen dem vorziehe, was im Aufnahmestudio entsteht. Ob ich alles noch einmal aufnehmen möchte? Ja, warum nicht? Es liegt auf der Hand, dass man hofft, es beim nächsten Mal besser zu machen; man hat die Illusion, dass man sich noch entwickelt und neue Dinge zu sagen hat. Und es gibt sogar Leute, die so etwas bemerken.”

So gelassen äußert sich der 41-jährige Alfred Brendel auf den Innenseiten des Mozart-Albums, das 1972 in den Niederlanden erschien, ein Jahr, nachdem der Pianist von Wien nach London umgezogen war. Dort ist er am vorigen Dienstag in seinem 95. Lebensjahr gestorben, wie wir alle wissen. Das Album habe ich in Amsterdam gekauft, als die CD gerade das Vinyl abgelöst hatte und schwarze Platten billig wurden. Ich habe Brendel nur ein einziges Mal im Konzert gehört, vor gut 30 Jahren (wirklich!) in Leipzig. Ich war zu der Zeit Musikredakteur der Leipziger Volkszeitung, knapp drei Jahre lang, und Brendels Abend mit den drei letzten Klaviersonaten im Gewandhaus beeindruckte mich sehr. Wenn ich meine Besprechung (komisches Wort eigentlich!) von damals jetzt lese, bin ich nicht ganz sicher, ob ich alles verstehe, aber es wird klar, dass dieser Musiker sehr viel in Bewegung bringen konnte in den Köpfen seiner Zuhörer.

Neu auf dieser Website ist auch ein Essay zu einem anstehenden Konzertprogramm, nämlich dem nächsten des Gürzenich-Orchesters mit Mahlers Blumine, einer Auswahl seiner Wunderhorn-Lieder (ein Kosmos für sich) und Schuberts Sechster Sinfonie. Online weiterhin zu hören: Treffpunkt Klassik bei SWR Kultur und die Folge der Interpretationen bei Deutschlandfunk Kultur, in der es um die Mallarmé-Vertonungen von Debussy und Ravel geht. Eine neue Produktion für die Reihe ist in Arbeit: Am 27. Juli geht es um Sergej Rachmaninows 1934er Rhapsodie über ein Thema von Paganini, mit Interpreten vom Komponisten selbst über Rubinstein, Fleisher, Ashkenasi, Varsi bis zu den Solisten unserer Tage. Einen speziellen Auftritt hat dabei der großartige Jazzpianist Art Tatum…

6. Juni 2025

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Vor 150 Jahren kam in Lübeck Thomas Mann zur Welt, bis heute einer der meistgelesenen Autoren deutscher Sprache. Das Magazin ZEIT Geschichte hat ihm schon im März eine Ausgabe gewidmet, für die ich gern Reklame mache, und zwar nicht nur, weil ich mir für dieses Heft über Manns letzten großen Roman Doktor Faustus Gedanken machen durfte. Unter den vielen sehenswerten Fotos und lesenswerten Texten im Magazin hat mich besonders Thomas Assheuers Beitrag über den “reaktionären Kanonendonner” beeindruckt, den Mann in seinen Schriften 1914-1918 intonierte. Allzu gemütlich sollte man es sich mit Thomas Mann nämlich nicht machen – eine höchst ambivalente Gestalt, an der man gleichwohl nicht vorbeikommt.

Sein Doktor Faustus hat eine Reihe von Komponisten inspiriert, und gerade jetzt wäre es an der Zeit, mal wieder Hans Werner Henzes wunderbares Drittes Violinkonzert von 1997 aufzuführen, Drei Porträts aus dem Roman “Dr. Faustus” von Thomas Mann. Der erste Satz gilt Esmeralda, jener Prostituierten, der Manns fiktiver Tonsetzer Adrian Leverkühn seine kreativen Höhenflüge und sogar die Erfindung der Zwölftonmusik verdankt (die sich in Wahrheit Thomas Mann von Schönbergs Schüler Adorno erklären ließ…). Hier geht es zur Aufnahme mit Peter Sheppard Skaerved und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken von 2006. Noch ein Hörtipp in eigener Sache: am Sonnabend, 7. Juni um 10 Uhr bin ich Studiogast beim Treffpunkt Klassik von SWR Kultur, mit Moderatorin Ines Pasz und einer Playlist, die Musik von Kurt Weill, Szymon Laks, Claudio Monteverdi, Johann Michael Bach, Younghi Pagh-Paan, Claude Debussy und Nadia Boulanger umfasst.

Und mehr als nur ein Tipp: Das VAN-Interview, in dem der Geiger Michael Barenboim über sein Engagement für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen spricht, deren Opfer in Folge des Krieges inzwischen nach Zehntausenden zählen. “Ich finde es sehr seltsam, wenn Menschen, die eine sichere Anstellung und ein bequemes Leben haben, zu diesem Thema so vehement schweigen. Man muss sich klarmachen: Das ist das Verbrechen unserer Generation.”

28. Mai 2025

Screenshot 2025-05-28 112834Für sie wurde eine Ausnahme gemacht. Denn eigentlich gehört es zur grafischern Konzeption der Künstlerporträts im Magazin der Oper Zürich, dass es auf der Doppelseite ausschließlich Text gibt. Nicht gerade eine Bleiwüste, davor bewahrt einen reichlich “Weißraum”, aber doch ein Bereich, in den kein Art Director, kein Layouter mehr eingreift. Leserinnen und Leser sollten sich einfach nur lesend ein Bild von den Künstlern machen können, die auf weiteren Seiten des Magazins ohnehin auf Probenfotos zu sehen waren oder gar auf dem Cover, dort grundsätzlich in Schwarzweiß. Aber ganz sicher konnten wir uns nicht sein, ob wirklich jeder und jedem der Name Bianca Castafiore etwas sagt, ganz ohne Bild, und so hat die neben Maria Callas wohl berühmteste Diva des 20. Jahrhunderts nun doch ihren von Hergé gezeichneten Auftritt neben der Begegnung mit ihr auf Schloss Mühlenhof.

Sie ist die 33. Diva, die ich für die Oper Zürich getroffen habe, wenn man davon absieht, dass die meisten Sopranistinnen von heute keine Diven sein möchten und mit dem Begriff allenfalls spielen wie Marlies Petersen, die ihr in Griechenland selbst produziertes Olivenöl “Diva Oil” nennt. Mit La Castafiore endet die Serie Volker Hagedorn trifft…, die 2015 mit einem Besuch bei Waltraud Meier begann. Zusammen mit einigen Porträts noch vor dem Start dieser Serie sind es 99 Künstler*innen, die der “Hofporträtist” des Hauses treffen durfte, wobei für einen erkrankten Sänger auch schon mal Claudio Monteverdi als Interviewpartner einsprang. Die größte Gruppe – eben die Sopranistinnen – wird gefolgt von 19 Dirigent*innen, 12 Tenören, 6 Baritonen, 4 Countern… aber auch Tänzerinnen, Geiger, Bühnenbildner sind dabei und Komponist*innen. Noch längst nicht alle habe ich unter “Begegnungen” auch auf dieser Website versammelt. Aus mehreren Treffen wurden auch Interviews für das Magazin VAN.

Nun endet nach dreizehn Jahren die Intendanz von Andreas Homoki in Zürich, der ich, wie dem Chefdramaturgen und Magazinmacher Claus Spahn, unschätzbare Begegnungen mit wunderbaren und extrem unterschiedlichen Menschen und Künstlern verdanke, ganz gleich, ob sie zu den Großen unserer Zeit gehören oder am Beginn ihres Weges sind – beziehungsweise waren: Als ich vor neun Jahren in Frankfurt Lise Davidsen traf, sagte sie mit Blick auf Wagners Brünnhilde noch: “Bis dahin habe ich viel zu lernen.” Inzwischen hat die New Yorker MET Davidsens Debüt in dieser Rolle angekündigt… Letzte Produktion in Zürich vor dem Antritt des neuen Leitungsteams um Matthias Schultz ist Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium Elias von 1846, von Homoki inszeniert. Ich bin für das MAG dem Komponisten in seine beiden letzten Jahre gefolgt, von Leipzig bis London, in deren Zentrum nicht nur dieses Werk steht, sondern auch eine unlebbare große Liebe.

Eines der bedeutendsten, vielleicht auch bahnbrechenden Werke unserer Jahre war jetzt in Hannover zu erleben. Eindrücke von Georg Friedrich Haas´ Mikrotonwunder 11.000 Saiten sind bei VAN zu lesen: Vögel, Lava, Pollock und Titanen.