Kategorie-Archiv: Blog

8. März 2024

Screenshot 2024-03-05 200707Heute vor zehn Jahren starb, erst 70 Jahre alt, einer der bedeutendsten Beweger der internationalen Opernwelt, Gerard Mortier (das dpa-Foto zeigt ihn im Jahr 2010). Er war bis 2013 künstlerischer Leiter des Teatro Real in Madrid, blieb dem Haus aktiv verbunden, und sieben Wochen vor seinem Tod – seine schwere Erkrankung war im Jahr zuvor diagnostiziert worden – telefonierte ich mit ihm für eine ZEIT-Reportage, die die schwierige Lage Spaniens und seiner Kultur mit einer von Mortier angeschobenen Uraufführung in Madrid verband: Charles Wuorinens Oper Brokeback Mountain mit dem Libretto von Annie Proulx, zugleich Autorin der zugrundeliegenden (und bereits verfilmten) Short Story. Mortier war im Gespräch ebenso offen und engagiert wie sein 1961 geborener Bewunderer und Nachfolger Joan Matabosch, der seither director artístico des Teatro Real ist und das Haus in Lockdown-Zeiten zum einzigen in Europa machte, das im Mai 2020 wieder öffnete und in dem bald regelmäßig vor Publikum gespielt wurde – mit einem ausgefeilten Hygienekonzept. Auch sonst ist seit 2014 so viel geschehen, dass meine Geschichte aus jenem Jahr weitgehend nur noch als Zeitdokument gelesen werden kann. Aber eben auch als kleine Erinnerung an einen großen Europäer.

1. März 2024

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“Was hat ein Opernhaus mit diesem Kafka zu tun, der sich selbst als unmusikalisch bezeichnete?”, fragt Claus Spahn in seinem Beitrag über “das aufwändigste und experimentellste Musiktheater, das auf einen Stoff von Kafka geschrieben wurde”: Amerika, die 1966 unter Mißfallenskundgebungen des Publikums in Berlin uraufgeführte Oper von Roman Haubenstock-Ramati (1919-1994), nach Franz Kafkas nicht vollendetem gleichnamigem Roman. Im Magazin und auf der Website der Oper Zürich (Szenfoto oben: Herwig Prammer) findet man neben Spahns Essay einen nicht minder lesenswerten über die fiktiven – und doch nicht so fiktiven – USA des Franz Kafka und ihre Verbindung mit den Vereinigten Staaten unserer Tage. “Mit dem Bruch des Völkerrechts im Irakkrieg haben die USA ihre moralische Hegemonie verloren; ausgerechnet jenes Land, das Europa unter grössten Opfern von Hitler befreite, steht in den Augen der Welt als Heuchler da”, schreibt Thomas Assheuer, bis 2023 Redakteur im Feuilleton der ZEIT, zu deren klügsten Köpfen er nun als freier Autor zählt.

Kafkas Frauengestalten Klara und Therese werden in der Zürcher Produktion – die am Sonntag, 3. März Premiere hat – von Mojca Erdmann gesungen und gesprochen. Darüber (und über einiges andere) habe ich mich mit ihr unterhalten. Das Porträt ist – wie die schon genannten Texte und vieles mehr – auf der Amerika-Website der Oper Zürich zu finden, aber auch auf meiner; eine Interviewfassung ist seit Mittwoch bei VAN online zu lesen. Sie enthält als Video auch das Galgenlied aus dem höchstkarätig besetzten Pierrot Lunaire, den Mojca Erdmann 2021 mit Zubin Mehta, den Barenboims, Emmanuel Pahud und weiteren Musikern realisierte – ein fantastisches Schönberg-Konzentrat aus dem Lockdown, das in Gänze noch seiner Veröffentlichung harrt.

Am Ende noch ein Hörtipp in ganz anderer Richtung: Noch bis zum 14. Oktober ist auf Deutschlandfunk Kultur die Chopin-Sendung Warten, bis der Frühling kommt zu hören – fast zwei Stunden mit den Préludes op. 28, ihren Interpreten und ihren Entstehungsumständen. 2018 für die Reihe Interpretationen produziert, ist die Sendung nun wieder online und herunterladbar. Details und Playlist dazu findet man allerdings nur im Archiv des Senders, nämlich hier.

7. Februar 2024

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Ausgerechnet da, wo Brecht persönlich die Strophe „Und der Haifisch, der hat Zähne, / Und die trägt er im Gesicht…“ singt, hat diese Platte eine Lücke. Wie das kommt und was es bedeutet, ja sogar, was es für die neuere Aufführungsgeschichte der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill bedeutet, das (und viel mehr) beschreibt der Übersetzer Alexandre Pateau in einem außergewöhnlichen Arbeitsjournal auf der Übersetzerplattform Toledo. Alexandre hat L’opéra de quat’sous – als solche schon im Paris der frühen 1930er ein Begriff wie damals vor allem ihr Komponist Kurt Weill – erstmals in singbares, adäquates Französisch übersetzt. Behauptet nicht er selbst, erweist sich aber am Erfolg der Inszenierung, die Thomas Ostermeier 2023 mit der Truppe der Comèdie-Française und den Musikern des Ensemble Balcon unter Leitung von Maxime Pascal realisierte – fürs Festival in Aix-en-Provence zuerst, fortgesetzt in Paris, aufgezeichnet für Arte. Dass und warum Übersetzerarbeit in so einem Fall der Quadratur des Kreises nahekommt, oder der einer Scheibe, aus der ein metaphysischer Haifisch ein Stückchen herausbiss – das ist in diesem inspirierenden Journal (ins Deutsche übersetzt) nicht nur nachzulesen, sondern auch zu hören. Und jetzt noch Freundes- wie Eigenwerbung: Wie sich Alexandres Französisch liest, wenn es um Prosa geht, erfährt man hier, nebst allem Drum und Dran zum Buch Der Klang von Paris.

Ein sehr wienerisches Paris hat Franz Lehár 1905 in Die Lustige Witwe komponiert, und das kommt jetzt in Zürich auf die Bühne. Dort traf ich die Sängerin der Titelpartie, die am nächsten Sonntag Premiere hat. Marlis Petersen passt erfreulich schlecht ins Klischee einer Operettendiva, und das nicht nur, weil sie im Nebenjob eine griechische Ölbäuerin ist… Was wiederum zum essayistischen Spaziergang durch die Natur in der Musik passt, den ich vor zwei Jahren fürs Magazin der Elbphilharmonie schrieb und der jetzt in revidierter Fassung im Magazin “Arsprototo” erschien. Zur Online-Ausgabe des aktuellen Hefts “Natur und Kunst” geht es hier – sie umfasst auch lesenswerte Beiträge zur Restitution geraubter Kunst.