Kategorie-Archiv: Blog

26. August 2024

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Ihre Jubiläen liegen nur neun Tage auseinander. Und die Wiener Wohnungen, in denen sie zu den Zeiten der Porträts oben lebten, sind auch nicht weit voneinander entfernt. Anton Bruckner, geboren am 4. September 1824, Arnold Schönberg, geboren am 13. September 1874 – mit diesen beiden so großen wie grundverschiedenen Komponisten habe ich mich in jüngster Zeit auf sehr unterschiedliche Weise befasst. Zu Bruckner gibt es eine leicht durchgeknallte Kolumne in VAN, zu Schönberg ein großes Stück im Ressort ZEIT Geschichte, auch bei ZEIT online zu lesen. Einer, der beide verbindet, ist ein weiteres Genie aus Österreich – also dem Vielvölkerstaat der Habsburger Monarchie -, nämlich Gustav Mahler. Von Arnold Schönberg zutiefst verehrt und diesen auch unterstützend, war er als Wiener Student seinerseits Bewunderer von Anton Bruckner.

Gustav Mahler kam Bruckner so nahe wie wenige, nicht nur beim mittäglichen Bier, das der Mittfünfziger dem noch nicht 20 Jahre alten Konservatoriumsstudenten ausgab, der den vierhändigen Klavierauszug der Dritten Sinfonie angefertigt hatte und der Bruckner auch öfters in dessen Wohnung besuchte: Heßgasse 7, 4. Stock, gleich neben dem Ringtheater, das da noch nicht abgebrannt war. Wenn Mahler ging, begleitete ihn Bruckner jedesmal hinunter bis zur Haustür, den Hut in der Hand. Sie kannten einander seit der desaströsen Uraufführung der Dritten im Dezember 1877, als größere Teile des Publikums (und sogar Orchestermusiker) noch während des Konzerts geflohen waren bis auf eine enthusiastische „Fraction“, zu der auch der da erst siebzehn Jahre alte Mahler gehört hatte. In der Heßgasse wohnte Bruckner auch noch, als 1892 das hier im Ausschnitt gezeigte Foto von Ludwig Grillich entstand (wohl in dessen Atelier).

Das Porträt des 31-jährigen Arnold Schönberg (da rauchte er noch!) malte Richard Gerstl im Juni 1906 in der Wiener Liechtensteinstraße 68/70. Schönbergs Frau Mathilde erwartete zu der Zeit ihr zweites Kind, und wie ihr Mann nahm sie Malunterricht bei dem grandios begabten Gerstl. Was weiter geschah, habe ich in Flammen erzählt. Inzwischen arbeite ich am vierten Buch über Musiker und Musik, auch da kommt Schönberg vor – zuerst als 58-jähriger mit Wohnsitz in Berlin.

Bei der Arbeit ergeben sich immer wieder Funde, die für sich allein schon spannend sind – und für solche Funde und Momentaufnahmen aus dem work in progress habe ich jetzt einen Instagram-Account aufgemacht: @hagedornwriting. Sieht fürs erste sehr nerdig aus: historisches SW-Foto und viel Text. Aber ich übe ja noch…

2. August 2024

pavese“Ein heller Garten zwischen niedrigen Mauern / aus trockenem Gras und Licht, der seine Erde bedächtig kocht…” So wie dieses triste Eckchen am Straßenschild hat sich Cesare Pavese den Garten im Gedicht “Sommer” von 1940 vielleicht nicht gedacht. Und doch ist er, 1908 geboren, 1950 sein Leben nach eigenem Willen beendend, einer von denen, die auch so ein Sträßchen aushalten. Er kennt die Traurigkeit unter der Sonne. Abgesehen davon ist Castiglione del Lago, wo vor einer Woche dieses Foto entstand, ein wunderschönes Städtchen, den Lago Trasimeno überblickend. Als wir dort herumgingen, wussten wir nicht, dass am selben Tag mit 72 Jahren Wolfgang Rihm gestorben war. Mit seiner Adresse in Karlsruhe ist es mir über die Jahre immer so gegangen, dass ich “Rihmstraße” dachte, während ich “Kriegsstrasse” las… denn so heißt sie tatsächlich. Im Mai vor zwei Jahren war Rihm “postoperativ als Rekonvaleszent” unterwegs, wie er mir schrieb, das ließ mich lange hoffen. Für ZEIT online habe ich jetzt einen Nachruf geschrieben.

Um Ethel Smyth geht es in einem Zoomgespräch, zu dem mich Sabine Bergk eingeladen hatte. Es ist die 34. Folge von “Lieder können fliegen”, einem Podcast für das zeitgenössische Lied. Nun ist zwar Requies – Meeresstille von Smyth schon 1913 komponiert, aber noch nie so gut aufgenommen worden wie jetzt mit der Altistin Lucile Richardot. Nun fehlt nur noch eine Einspielung der Originalfassung mit Orchester! Im Gespräch mit Sabine geht es auch darum, wie Ethel Smyth zur Hauptprotagonistin – neben Claude Debussy – in Flammen wurde. Wolfgang Rihm war übrigens skeptisch, was Smyths Rang als Komponistin betraf, so sehr ihr Leben ihn beeindruckte. Vieles in ihrer Musik kam ihm “recht trocken gedrechselt” vor. Aber “auch sie”, schrieb er, “fand gelegentlich zu einer natürlichen Selbstverständlichkeit des Erklingenden (wie Lili Boulanger fast immer) – etwa im relativ späten Doppelkonzert für Violine, Horn und Orchester, vielleicht vor allem im mittleren Satz. Was meinen Sie?” Gleich noch mal hören!

Noch mehr Hörtipps, alles online bei Deutschlandfunk Kultur in der Reihe “Interpretationen”:

Genie der Sensibilität. Der Komponist Simon Laks – ein diskografisches Porträt
(2024)

In weiter Ferne so nah. Aribert Reimann interpretiert Robert Schumann
(2012)

Warten, bis der Frühling kommt – Die Préludes von Frédéric Chopin
(2018)

Stephane Mallarmés Gedichte in Vertonungen von Claude Debussy und Maurice Ravel
(2022)

Näheres zu diesen Sendungen lässt sich hier im Blog finden.

7. Juni 2024

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“Aber diesmal geht es anders weiter, mit einer Art Klopfen der Töne, dann ruft Strawinsky „Rideau!“, Vorhang, legt kurz die Hände in den Schoß und sieht zu, wie sein Kompagnon taktelang nur Achtelakkorde drischt, mit beiden Händen und mit komischen Akzenten, das erinnert Chouchou an einen Tanzbären im Bois de Boulogne, und dann versteht sie alles: Wie die verrückten streitenden Vögel um den Bären herumfliegen und er sich von der Kette des Bärenführers losreißt und hinter zwei Radfahrern herläuft, die panisch in die Pedale treten, und Leute schreien, Automobile hupen, dann haut der Bär, oder ihr Papa, auch noch eine Trommel kaputt, und plötzlich schwebt von oben eine gute Fee herbei oder so etwas, die beiden Männer schlagen ein paarmal furchtbar wütend in die Tasten, gleichzeitig, dann ist Ruhe, Papa spielt etwas Ruhiges und Tiefes, allein, „sostenuto, Streicher“, sagt Strawinsky leise, Debussy bremst ab, spielt langsamer, dunkler, das Licht wechselt, man ist woanders… nicht hier…”

So zu lesen auf Seite 217 in “Flammen”, demnächst auch live zu hören einschließlich der Passagen aus Le sacre du printemps, nicht mit Debussy und Strawinsky am Klavier, sondern mit Katerina Moskaleva und Alexey Pudinov, dem Duo TWO4PIANO, mit dem zusammen ich am 15. Juni einen Nachmittag bei den Musikfestspielen Potsdam gestalte: “Tanzwut: Paris 1913″ heißt das Programm, es umfasst aber auch einige weitere Jahre und Werke, bis hin zu Ravels La valse. Das Foto oben hat übrigens Erik Satie in Debussys Wohnung in Paris gemacht, im Juni 1910.

“Oper ist Leben, sie ist Realität, und sie spricht dauernd von Realität. Sehen Sie sich doch nur um, was in der Welt passiert”, sagte Maria Agresta am Ende unseres Gesprächs während der Proben zu Verdis I vespri siciliani in Zürich. Die süditalienische Sopranistin singt die Hauptrolle der Elena in der Inszenierung von Calixto Bieito, die an diesem Sonntag Premiere hat. Ein ganz anderer Blick hinter die Kulissen öffnet sich, wenn der Inspizient des Hauses von seiner Arbeit erzählt. Felix Bierichs besondere Gabe dafür: “Ich werde ruhiger, wenn die anderen nervöser werden.”