Kategorie-Archiv: Blog

6. April 2024

2. ausschnitt plan 1876

1873 brannte über Nacht die Salle Le Peletier nieder (1), bis dahin das Pariser Haus für die Grand´Opéra, deren künftiger Palast längst im Bau war: das Palais Garnier (2). Der Verlust der Salle führte zur Beschleunigung der Bauarbeiten ein paar Blocks weiter westlich, so dass der noch von Napoléon III. beauftragte Prachtbau im Januar 1875 eröffnet werden konnte. Für Opernfans ein Gipfeljahr, denn für die Opéra Comique (3) in der Salle Favart hatte der Brand ganz besondere Folgen. Georges Bizet, der an einer großen Oper für die Salle Peletier gesessen hatte, brach den Don Rodrigue ab und kümmerte sich nur noch um Carmen. So konnte das bahnbrechende Werk im März 1875 an der Opéra Comique uraufgeführt werden – mitten in einer Stadt, die noch traumatisiert war vom blutigen Ende der „Commune“ vier Jahre zuvor, mit zehntausenden von Toten. Was das für ein Paris war, in dem Carmen entstand und ihr Publikum zuerst schockierte und dann gewann, habe ich für das Magazin der Oper Zürich erkundet, an der Carmen morgen Premiere hat.

Am 13. März 2024 starb in seiner Heimatstadt Berlin der große Komponist Aribert Reimann mit 88 Jahren. Für VAN schrieb ich einen Nachruf, und am 16. Juni wird auf Deutschlandfunk Kultur die Sendung wiederholt, in der Reimann mit mir über Robert Schumann sprach, dem er als Liedbegleiter am Klavier wie auch in der kompositorischen Auseinandersetzung sehr nahe war: In weiter Ferne so nah. Bereits am 19. Mai wird – ebenfalls von 15.05 bis 17.00 Uhr in der Reihe Interpretationen – ein diskografisches Porträt des Komponisten Simon Laks zu hören sein (1901 in Warschau geboren, 1983 in Paris gestorben), mit Frank Harders-Wuthenow als Gast.

Noch ein kleiner Rückblick: Am 21. März wurde in Koblenz – vermutlich zum ersten Mal – Musik von Ethel Smyth gespielt! Nämlich die Mittelsätze ihres Streichquartetts e-Moll (1902), kombiniert mit Claude Debussys Quartett (1893) und verbunden mit Passagen aus meinem Buch Flammen (2022). Die ambitionierten Koblenzer Literaturtage “Ganz Ohr” (mit 15 Veranstaltungen in zwei Wochen) hatten dazu eingeladen ins (ausverkaufte) Foyer der Stadtbibliothek, und das exzellente Meander Quartett erfüllte Raum, Hörer*innen und Herzen mit Glut: Ayumu Ideue und Sara López Ibarra (Violine), Nanako Tsuji (Viola) und Bettina Hagedorn (Violoncello).

8. März 2024

Screenshot 2024-03-05 200707Heute vor zehn Jahren starb, erst 70 Jahre alt, einer der bedeutendsten Beweger der internationalen Opernwelt, Gerard Mortier (das dpa-Foto zeigt ihn im Jahr 2010). Er war bis 2013 künstlerischer Leiter des Teatro Real in Madrid, blieb dem Haus aktiv verbunden, und sieben Wochen vor seinem Tod – seine schwere Erkrankung war im Jahr zuvor diagnostiziert worden – telefonierte ich mit ihm für eine ZEIT-Reportage, die die schwierige Lage Spaniens und seiner Kultur mit einer von Mortier angeschobenen Uraufführung in Madrid verband: Charles Wuorinens Oper Brokeback Mountain mit dem Libretto von Annie Proulx, zugleich Autorin der zugrundeliegenden (und bereits verfilmten) Short Story. Mortier war im Gespräch ebenso offen und engagiert wie sein 1961 geborener Bewunderer und Nachfolger Joan Matabosch, der seither director artístico des Teatro Real ist und das Haus in Lockdown-Zeiten zum einzigen in Europa machte, das im Mai 2020 wieder öffnete und in dem bald regelmäßig vor Publikum gespielt wurde – mit einem ausgefeilten Hygienekonzept. Auch sonst ist seit 2014 so viel geschehen, dass meine Geschichte aus jenem Jahr weitgehend nur noch als Zeitdokument gelesen werden kann. Aber eben auch als kleine Erinnerung an einen großen Europäer.

1. März 2024

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“Was hat ein Opernhaus mit diesem Kafka zu tun, der sich selbst als unmusikalisch bezeichnete?”, fragt Claus Spahn in seinem Beitrag über “das aufwändigste und experimentellste Musiktheater, das auf einen Stoff von Kafka geschrieben wurde”: Amerika, die 1966 unter Mißfallenskundgebungen des Publikums in Berlin uraufgeführte Oper von Roman Haubenstock-Ramati (1919-1994), nach Franz Kafkas nicht vollendetem gleichnamigem Roman. Im Magazin und auf der Website der Oper Zürich (Szenfoto oben: Herwig Prammer) findet man neben Spahns Essay einen nicht minder lesenswerten über die fiktiven – und doch nicht so fiktiven – USA des Franz Kafka und ihre Verbindung mit den Vereinigten Staaten unserer Tage. “Mit dem Bruch des Völkerrechts im Irakkrieg haben die USA ihre moralische Hegemonie verloren; ausgerechnet jenes Land, das Europa unter grössten Opfern von Hitler befreite, steht in den Augen der Welt als Heuchler da”, schreibt Thomas Assheuer, bis 2023 Redakteur im Feuilleton der ZEIT, zu deren klügsten Köpfen er nun als freier Autor zählt.

Kafkas Frauengestalten Klara und Therese werden in der Zürcher Produktion – die am Sonntag, 3. März Premiere hat – von Mojca Erdmann gesungen und gesprochen. Darüber (und über einiges andere) habe ich mich mit ihr unterhalten. Das Porträt ist – wie die schon genannten Texte und vieles mehr – auf der Amerika-Website der Oper Zürich zu finden, aber auch auf meiner; eine Interviewfassung ist seit Mittwoch bei VAN online zu lesen. Sie enthält als Video auch das Galgenlied aus dem höchstkarätig besetzten Pierrot Lunaire, den Mojca Erdmann 2021 mit Zubin Mehta, den Barenboims, Emmanuel Pahud und weiteren Musikern realisierte – ein fantastisches Schönberg-Konzentrat aus dem Lockdown, das in Gänze noch seiner Veröffentlichung harrt.

Am Ende noch ein Hörtipp in ganz anderer Richtung: Noch bis zum 14. Oktober ist auf Deutschlandfunk Kultur die Chopin-Sendung Warten, bis der Frühling kommt zu hören – fast zwei Stunden mit den Préludes op. 28, ihren Interpreten und ihren Entstehungsumständen. 2018 für die Reihe Interpretationen produziert, ist die Sendung nun wieder online und herunterladbar. Details und Playlist dazu findet man allerdings nur im Archiv des Senders, nämlich hier.