Kategorie-Archiv: Blog

18. April 2025

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Die Markuspassion von Johann Sebastian Bach gibt es bekanntlich nicht, nicht mehr, und doch wird sie oft gespielt, auch heute in der Kölner Philharmonie. Ton Koopman dirigiert seine Rekonstruktion dieser 1731er Passionsmusik, von der nur die Texte erhalten blieben und von der als ausgemacht gilt, dass der Thomaskantor sich für dieses Werk bei eigenen, schon vorliegendenen Kompositionen bediente wie später auch für das Weihnachtsoratorium und die h-Moll-Messe. Seit mehr als 150 Jahren wird erkundet, welche Vorlagen für die Markuspassion passen könnten. Ich bin den Rekonstrukteuren in einem Text für das Kölner Programmheft nachgegangen, zu dessen Titel Die Lücke als Portal auf ganz andere Weise auch Claude Monets 1883er Sonnenuntergang bei Etretat passt.

Nicht nur für den Ostermontag empfehle ich Younghi Pagh-Paans wunderbares Orchesterwerk Frau, warum weinst du? Wen suchst du? 2023 unter der Leitung von Ingo Metzmacher in Donaueschingen uraufgeführt, folgt es den Worten, mit denen sich Jesus an Maria von Magdala wendet, die an seiner leeren Grabeshöhle weint. Dazu sagt die 1945 geborene Komponistin: „Mir geht es nicht um die biblische Auferstehungsgeschichte, sondern um den großen Trost, den ein suchender und weinender Mensch erfährt, und um die große Stärkung dadurch.“ Eine dicht und lebendig gefügte, schattenreiche, schmerzvolle, aber auch lichterfüllte und extrem gegenwartsoffene Musik..

Mit zwei anderen zeitgenössischen Komponisten sprach ich über ihren Bezug zu älterer Musik – mit Dieter Ammann und Manfred Trojahn, deren Werke demnächst beim Internationalen Musikfest der Elbphilharmonie zu hören sind. Für das aktuelle Magazin des Hauses schaute ich unter dem Titel Zurück in die Zukunft auch in die Werkstätten von Mozart, Bruckner, Berg, Boulez und weiteren, die in ihren Kompositionen auf frühere Musik, auf Kollegen, auf deren Passagen, Stile, Formen Bezug nahmen oder, wie Mozart im Requiem, einfach mal vier Takte “klauten”.

21. März 2025

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Happy Birthday, JSB! Der 340ste Geburtstag ist es. Zum 300sten zeichnete ich den Komponisten mit Edding auf die umgedrehte Titelseite der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom selben Tag (Aufmachertitel: “CDU will sich vordringlich um Arbeitslose und Umwelt kümmern”). Es gibt natürlich erheblichere Beiträge zur Bach-Rezeption, aber die Zeit ist knapp heute, und am besten ist es sowieso, seine Musik aufzuführen und zu hören. Sie kommt auch vor in einem Gespräch mit vier Gesangssolisten des Ensembles Cantando Admont, das eine wesentliche Rolle in Beat Furrers neuer Oper Das große Feuer spielt. Sehr knapp gesagt: ein Regenwalddrama mit Mikrointervallen. Die Uraufführung findet am Sonntag in der Oper Zürich statt.

15. März 2025

Sofia_Gubaidulina_July1981_Sortavala_©DSmirnov

Unfern der russischen Grenze zu Finnland in Sortavala entstand im Juli 1981 dieses Foto, das Dmitri N. Smirnov von der 49-jährigen Sofia Gubaidulina machte. Nun ist die Komponistin am 13. März mit 93 Jahren gestorben, in ihrem Haus bei Pinneberg. Als ich sie im April 1990 zum ersten Mal traf, war Gubaidulina noch ein halber Geheimtipp. Aber schon da musste der Workshop mit ihr in der hannoverschen Musikhochschule aus dem kleinen Saal 235 in einen größeren umziehen, weil so viele Interessierte gekommen waren. Als ich Sofia Gubaidulina zuletzt besuchte, im Oktober 2011, war sie fast 80 und längst eine internationale Größe – wohl die erste Komponistin der Geschichte, die es zu Lebzeiten zu Weltruhm brachte. Sie erinnerte sich voller Wärme an Dmitri Schostakowitsch, der sie ermuntert hatte, auf dem “falschen Weg” zu bleiben, auf dem man die junge Komponistin am Moskauer Konservatorium sah. Das und viel mehr ist nachzulesen im Text, den ich für VAN geschrieben habe – dort wird auch auf einige Videos von Aufführungen ihrer Musik verlinkt, last not least mit Gidon Kremer, der ihr Violinkonzert Offertorium anregte, uraufführte und aufnahm, was zu ihrem internationalen Durchbruch führte. “Gidon hat mich erschaffen”, meinte Sofia Gubaidulina – eines der bescheidensten Genies, die je gelebt haben.