31. Oktober 2024

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Flankiert von “Idioten”: Bo Skovhus (Mitte) ist “Ich” in der Zürcher Produktion von Alfred Schnittkes Oper Leben mit einem Idioten. Auf dem Probenfoto sind es deren gleich zwei, nämlich Matthew Newlin (links) und sein Double Campbell Caspary. Bariton Bo Skovhus hat mir in Zürich nicht nur von den Herausforderungen dieser Partitur erzählt, auch über seinen Weg von Dänemark nach Wien, über Schuberts Winterreise und ein Fax von Wolfgang Rihm… Nachzulesen und mit Audiolink versehen ist das im neuen VAN, in kürzerer Fassung im MAG der Oper Zürich und hier.

Eine besonders aufwändige Produktion in der Reihe “Interpretationen” ist nun wieder für ein Jahr online. Am 13. Oktober 2024 wurde zum zweiten Mal gesendet, was vor zwei Jahren entstand – eine Sendung über die 1913er Mallarmé-Vertonungen von Debussy und Ravel und ihre Interpreten. Auf der Website von Deutschlandradio Kultur gibt es, anders als früher, keine Informationen dazu, um so mehr ist in meinem Blog vom 1. November 2022 zu lesen. Die betreffenden vier Gedichte von Stéphane Mallarmé werden von Céline Grillon exemplarisch gut gelesen – nebst den Übersetzungen. In die ganz anderen Welten von Bach, Tarkowsky und Pasolini führt eine Kolumne, die ebenfalls schon 2022 für VAN entstand und nun auch auf dieser Website zu lesen ist: Schweben mit Bach. Alle Folgen von “Rausch & Räson” seit 2017 sind bei VAN hier zu finden.

Jetzt breche ich gleich mal auf nach Hildesheim, endlich wieder die h-Moll-Messe spielen! Bernhard Römer leitet die St.-Andreas-Kantorei, und ein erstrangiges Solistenquartett ist angereist. Alex Potter ist einer der besten Countertenöre, die ich je gehört habe. Klug und sensibel gestaltend auf allen Ebenen, blühender Ton, unendlich nuancenreich geformt – da macht es einen Bratscher sogar froh, dass er im “Agnus Dei” nur zuhören darf. Weitere Glücksbringer sind Kerstin Dietl (Sopran), Andreas Post (Tenor) und Matthias Vieweg (Bariton), und Ulla Bundies konzertmeistert das Bach-Collegium St. Andreas.

Einer für die Zerrissenen

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Bariton Bo Skovhus im Zürcher Kantinengespräch über Schnittkes “Leben mit einem Idioten”, den Weg von Kopenhagen nach Wien, über Reifeprozesse und Rezitative und ein Fax von Wolfgang Rihm

Eines schönen kalten Morgens im Jahr 1987, zur Weihnachtszeit, klingelt in Kopenhagen das Telefon bei Bo Skovhus. Der junge Mann nimmt den Hörer ab, hört jemanden auf Deutsch reden, irgendetwas mit Oper und Wien, lacht und legt gleich wieder auf. „Ich war am Abend vorher mit meinen Freunden unterwegs gewesen und dachte, die machen sich einen Spaß mit mir.“ Das Telefon klingelt erneut. Dieselbe Stimme, diesmal spricht der Mann englisch. Die Volksoper Wien fragt an, ob er zum Vorsingen kommen möge. Sie suchen einen neuen Don Giovanni, ein unbeschriebenes Blatt. Sie zahlen alles, Flug, Hotel… „Ich war noch nie bei einem Vorsingen! Und ich hab´ da vorgesungen.“

So erzählt mir Bo Skovhus 37 Jahre später, wie es losging mit seiner Karriere. Wir sitzen in der Kantine der Oper Zürich, wo er die Partie des „Ich“ in Alfred Schnittkes Leben mit einem Idioten probt, weit, weit entfernt von jenem Beginn, der allerdings, wie Schnittkes letztes Werk, auch etwas Irreales hat, als Eingriff unberechenbarer Mächte. Aber der hatte natürlich eine Vorgeschichte. Skovhus, geboren im 10.000-Seelen-Städtchen Ikast, 250 Autokilometer und zwei Ostseebrücken weit entfernt von Kopenhagen, im Westen, war über Schulchor und Blasmusik zum Singen gekommen und schließlich, nach Überwinden elterlicher Vorbehalte, ans Opernstudio der dänischen Hauptstadt.

„Im Sommer dieses Jahres hatte ich eine Masterclass besucht, mit zwei tollen Sängern, Walter Berry und Sena Jurinac.“ Mit der serbischen Sopranlegende verstand sich der 25-jährige gut, „ich hab´ sie gefragt, was muss ich tun? Ich möchte weg aus Dänemark!“ Denn sehr viele Auftrittsmöglichkeiten boten die Häuser in Aarhus und Kopenhagen nicht. „Gib mir deine Telefonnummer.“ Und die wählte dann jemand in Wien, wo 1988 der junge Däne nach dem Vorsingen in die Direktion gebeten wurde. „Vierter Stock. Da stand an der Tür nur: Eberhard Wächter. Den Namen kannte ich.“ Wächter sang den Don Giovanni in der grandiosen Aufnahme mit Giulini, die der Student besaß. „Ich ging rein und fragte ihn, ob er auch gerade für Don Giovanni vorgesungen hätte.“

Wächter lachte schallend. Er war Ende 50 und nicht mehr Sänger, sondern Direktor der Volksoper. Er engagierte den jungen Bariton, „und wenn das schief gegangen wäre, dann wäre ich Arzt geworden.“ Es ging aber nicht schief. Der steile Aufstieg zu den großen Bühnen der Welt, der dann folgte, unterscheidet sich allerdings von vergleichbaren Karrieren in einem wichtigen Punkt. Skovhus interessiert sich, jenseits von Mozart bis Strauss, brennend auch für die Opern, die nicht zu den Kassenschlagern gehören (und doch oft das Potential dafür haben), deren Musiksprachen Dur und Moll und Kantilene hinter sich lassen und deren Helden oft alles andere als Helden sind – wie jener Wozzeck, mit dem ich Bo Skovhus zum ersten Mal erlebte. Bebend vor Präsenz, gefangen in Zwängen, alles wahr machend, was Peter Konwitschny in seiner – inzwischen legendären – Hamburger Inszenierung ersann. 1998 war das, aber weit weg ist es nicht.

„Es war immer die Frage, ist Wozzeck ein Mörder oder nicht? Die Gesellschaft zwingt ihn zu dieser Tat“, sagt Skovhus. „Da gibt es eine Parallele zum Leben mit einem Idioten. Wer begeht eigentlich den Mord an der Frau, wie kommt es dazu? Immer ist der Chor dabei und beobachtet und kommentiert, was in diesem Haus passiert und mit diesem eigentlich stinknormalen Paar. Plötzlich kommt eine dritte Person in diese Ehe, die alles auf den Kopf stellt.“ Das ist der „Idiot“, dem „Ich“ gegenübersteht, der Ehemann. „Ich habe irrsinnige Schwierigkeiten, mich da hineinzufinden“, gesteht Skovhus, „denn hier gibt´s keine Handlung, nur Bruchstücke. Da müssen wir schauen, dass wir´s irgendwie verbinden.“

Dazu kommt noch, dass Alfred Schnittke über Stimmen nicht viel wusste. „Er sagte selbst, ich habe eine Oper geschrieben, aber keine Ahnung davon. Das merkt man total. Wenn man die Aufnahme von der Uraufführung 1992 hört und die Noten anschaut – da stimmt gar nichts, so viel wurde geändert. Ich bin wohl der erste, der versucht, es so zu singen, wie es da steht. Ich habe eine sehr gute Höhe und komme da durch, manchmal im Falsett.“ Skovhus ist auch physisch der Mann für Himmelfahrtskommandos, groß und durchtrainiert, und er liebt zerrissene Gestalten wie etwa Aribert Reimanns Lear. „Ein unglaublich tolles Stück, das hält sich. Genau wie die Eroberung von Mexico von Rihm. Die haben beide so gut geschrieben!“ Ein Fax von Wolfgang Rihm hat er sich aufgehoben. „Ich sagte ihm bei den Proben in Salzburg, wenn ich so viel gesungen habe, komme ich am Schluss nicht mehr auf das tiefe Fis. Dann kam nach zwei Stunden ein Fax mit Noten. Er hatte die letzten vier Takte umkomponiert!“

Dass man sogar bei Mozart etwas umkomponieren darf, erlebte er mit Nikolaus Harnoncourt. „Er sagte, die Rezitative dürft gar nicht singen, nur sprechen! Aber für die Sängerin, die im Figaro den Cherubino gesungen hat, waren ein paar Töne zu hoch notiert, um sie natürlich zu sprechen. Dann oktavieren Sie´s, hat er gesagt. Das konnte nur er sich erlauben!“ Skovhus sang damals, 2006 in Salzburg, den Grafen. „Um die Rezitative kümmern sich heute nur noch wenige“, meint er. „Meist wird viel gestrichen, damit wir so schnell wie möglich wieder ,zur Musik‘ kommen, und das ist total falsch.“ Wie man Rezitative zum Leben bringt, das vermittelt Bo Skovhus nun selbst den jungen Sängern der Opernstudios etlicher Theater. Und dass es nicht nur um „schöne Töne“ geht.

Dabei ist er ziemlich gnadenlos mit dem jungen Sänger, der er selbst war. „Ich war noch nicht dreißig, als ich mit Helmut Deutsch Die schöne Müllerin aufgenommen habe. Als ich das später wieder hörte, dachte ich, das bin nicht ich, das muss die falsche CD sein! Es klang völlig belanglos. Vielleicht ganz nett und schön, aber ohne Charakter.“ An Schuberts Winterreise hat Bo Skovhus sich erst mit Fünfzig getraut. „Ich glaube, man muss etwas im Leben erlebt haben, um einen Zugang dazu zu finden.“ Inzwischen singt er diesen Zyklus öfters mit Akkordeon statt Klavier, nicht nur, weil das so gut zum Lied Der Leiermann passt. „Man kann es im Park machen, unter einem Baum, man hat die Freiheit, rauszukommen zu Leuten, die normalerweise nicht in ein Konzert gehen.“

Dass auch viele Leute normalerweise nicht in die Oper gehen, hält Skovhus vor allem für ein Geldproblem. „Es ist so teuer! Da haben sie in Wien eine gute Lösung. Es gibt in der Staatsoper 700 Stehplätze, die zwischen sieben und zehn Euro kosten. Das bringt schon viel, auch ein ganz anderes Publikum.“ Diese Stehplätze gab es schon, als er 1991 erstmals in diesem Haus auf der Bühne stand. Eberhard Wächter war sein Mentor, Korrepetitor, Freund und außerdem Staatsoperndirektor geworden und ließ ihn den Silvio im Bajazzo singen – neben Superstars wie Carreras und Capucilli. „Ich erinnere mich, als wir aus dem Bühneneingang kamen, lagen da die Leute auf ihren Matten. Sie warteten tagelang, um Stehplätze zu bekommen! Ein Riesending. Sowas gibt´s heute nicht mehr.“ Er lacht. „Jetzt rede ich von damals wie so´n Alter, furchtbar.“

Das „ch“ in „furchtbar“ spricht er im Rachen, wie ein Wiener. Tatsächlich ist Skovhus immer in Wien geblieben, er hat eine Wienerin geheiratet – und ist froh, dass seine Tochter Ärztin geworden ist und nicht auch Sängerin. „Es ist so schwer geworden für junge Sänger, wir haben es einfacher gehabt. Als ich anfing, war der Eiserne Vorhang noch unten, erst in den 90ern kamen die vielen guten Sänger aus dem Osten. Und die Plattenfirmen hatten noch Geld. Für die Lustige Witwe mit John Eliott Gardiner wurde vierzehn Tage lang der große Musikvereinssaal gemietet, für eine Stunde Musik! Wahnsinn. Heute ist man froh, wenn es überhaupt noch einen Livemitschnitt gibt.“ Aber die „unglaubliche Glut“ der Wiener, diese Kulturbesessenheit, die sei immer noch da.

Nostalgisch ist er gar nicht, eher unternehmungslustig und gespannt. Nach dem Leben mit einem Idioten in Zürich wartet in Berlin schon György Kurtágs Fin de partie auf ihn. „Kompliziert?“ Er lacht. „Nicht nach diesem hier!“

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt und zuerst erschienen im MAG 116 der Oper Zürich, Oktober 2024. Eine erweiterte Fassung ist zu lesen in VAN 466, 30.10.2024. Das Probenfoto von Monika Rittershaus zeigt Bo Skovhus als “Ich” flankiert von Matthew Newlin (links) und Campbell Caspary, beide in der Rolle des “Idioten”. Die Premiere von Alfred Schnittkes “Leben mit einem Idioten” findet am 3. November 2024 in Zürich statt. Es dirigiert Jonathan Stockhammer, Regie führt Kirill Serebrennikov.

„Man kann zu jedem werden, wenn man tief genug eintaucht“

Noch bis vor zehn Jahren hat sie gekellnert, um durchzukommen. Inzwischen singt die Sopranistin in Bayreuth. Ein Treffen mit Daniela Köhler, die jetzt ihre erste Ariadne an der Oper Zürich gestaltet

Sie geht zielstrebig durch das rappelvolle Café am Limmatufer, als wäre da ein Tisch für uns reserviert. Dann dreht sie sich lächelnd um: „Der passt doch, oder?“ Tatsächlich. Das ruhigste und schattigste Plätzchen ist zufällig frei, in der Ecke unter Bäumen. So muss das wohl sein, wenn die Götter ihre Hand im Spiel haben wie in so vielen Opern, in denen Daniela Köhler singt – jetzt gerade hat sie Ariadne auf Naxos geprobt. Dass sich ins Terrassengespräch bald der Lärm einer nahen Großbaustelle mischt, passt aber auch. Diese Sopranistin ist nicht darauf bedacht, irgendein hehres Image zu pflegen. So schlackenlos die Töne ihrer Sieglinde, Brünnhilde, Salome, Ariadne leuchten, so geerdet ist sie, so offen erzählt sie. „Vor fünfzehn Jahren habe ich die Partie schon mal gelernt“, sagt sie über die Ariadne, die sie jetzt erstmals verkörpert, „da war ich in Karlsruhe im Opernstudio. Meine Stimme war noch an einem ganz anderen Punkt. Ich atme jetzt anders, tiefer, dadurch ändert sich die Position der Muskulatur während des Singens, vom Beckenboden bis zum Kopf. Deshalb war es jetzt wichtig, die Partie neu zu lernen.“

Viele Details gehören dazu, die auch die Unterschiede zwischen Wagner und Strauss beleuchten, sozusagen ihren Hauptkomponisten. „Bei Strauss muss man an manchen Stellen filigraner sein. Wenn Ariadne singt ,wie leichte Vögel‘, ein hohes a, dann sollte man sich auf diesen Ton nicht zu sehr draufsetzen. Bei Wagner, wenn´s nach oben geht, darf man ein bisschen was geben. Bei Strauss ist es oft schön, wenn´s zurückgeht.“
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Mit besonderer Sensibilität hat Richard Strauss ja auch die Psyche dieser Frau erkundet, die von ihrem Geliebten Theseus auf einer Insel zurückgelassen wurde und ahnt, dass er sie sitzenliess. Eine nicht nur antike Situation. „Dass eine Frau auf einen Mann wartet, das gibt es, glaube ich, öfter“, sagt Daniela Köhler lachend. „Aber sie ist da ja gestrandet, so lange, dass sie schon ans Sterben denkt. Im Prinzip könnte sie auch schon seit dreißig Jahren warten.“ Würde das szenisch mit ihr funktionieren?  Besonders weit von der 30 ist die Sängerin offenkundig nicht entfernt. „Auf der Bühne geht ja alles“, meint sie. „Man kann zu jedem werden, sowohl optisch als auch emotional, wenn man tief genug eintaucht.“ Nicht in jede Rolle taucht sie ohne Mühe ein. „Wenn ich den Text von Brünnhilde lese, kann ich vieles nachvollziehen, bei Sieglinde auch. Salome fand ich immer menschlich schwierig. Und Elektra, eine erschreckende Figur! Was die durchgemacht hat, um an diesen Punkt zu kommen! Da ist man manchmal auch froh, dass man nicht so sein muss.“

Ariadne ist ihr da näher. „Wenn sie singt, ,ein Schönes war, hieß Theseus-Ariadne, und ging im Licht und freute sich des Lebens‘ – diese Euphorie, wenn man verliebt ist, ist ja sehr leicht nachvollziehbar. Und die Ernüchterung, wenn man da wartet, und er kommt nicht wieder… Sie kommt mir relativ gesund vor!“ Und wie ist es mit ihrer anderen Rolle in diesem Opernhybriden zwischen Antike und Entertainment, der Primadonna im Prolog? Eine Karikatur? „Nein! Ich finde, mit dem Gedanken darf man nie an eine Partie herangehen. Die Person, die ich darstelle, nimmt sich selbst ja ernst. Deshalb muss ich die auch ernst nehmen, egal, ob ich die mag oder nicht oder schräg finde. Sie ist ja ein Mensch mit Anliegen, Bedürfnissen und Sorgen, und sie ist es auch, die dann die Ariadne spielt. Die Ariadne hat durch das Warten eine gewisse Passivität entwickelt, sie schaut nach außen und versucht ihre Schlüsse zu ziehen. Die Primadonna erwartet dagegen, dass sich die Umwelt auf sie einstellt.“

So eine ist Daniela Köhler selbst wahrhaftig nicht. Dazu war der Weg zu lang und zu steinig, den sie bis zu ihrem Durchbruch gegangen ist, bis zu dem Tag vor sieben Jahren, an dem sie in Bayreuth vorsang. Auf diesen Weg kam sie halb zufällig. Aufgewachsen in einem Städtchen bei Karlsruhe, lernte sie wie ihre Schwester ein Instrument und sang in Chören. „Unsere Eltern hatten keine musikalische Ausbildung, wollten aber, dass das Teil unseres Lebens wird.“ Als ihr Klarinettenlehrer merkte, dass die Motivation nachließ, „so mit fünfzehn“, schlug er ihr Gesangsunterricht vor. „Das habe ich relativ unbedarft gemacht. Ich konnte mir ganz lange nicht vorstellen, dass Sänger ein richtiger Beruf ist, mit dem man seinen Lebensunterhalt verdient.“ Als sie nach dem Abitur als Gesangsstudentin in Stuttgart aufgenommen wurde, rechnete sie mit einem Job als Musikschullehrerin. Stattdessen bekam sie einen Ausbildungsplatz im Opernstudio Karlsruhe – und eine großartige Gesangsprofessorin.

„Den richtigen Lehrer zu finden ist eine sehr persönliche Sache. Das Instrument ist ja der Körper! Wenn man sich da mit einem Menschen nicht ganz wohl fühlt…“ Ingrid Haubold, die selbst einmal viel und gut Wagner sang, sei die einzig Richtige für sie gewesen.. Die Technik, die sie bei ihr lernte, hilft ihr noch heute. Und natürlich die Entdeckung von Wagners Musik. „Bei ihm hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, jetzt kann ich einfach loslassen, es strömen lassen, den Körper ganz öffnen!“ An der Hochschule hatte man dies Fach für sie „zu früh“ gefunden. „Da hatte ich beim Singen lange das Gefühl, dass ich die Luft anhalten muss, weil die anderen es sonst zu grob oder zu laut finden. Wagner hat mich unglaublich entspannt. Wenn der hohe Ton laut ist, dann ist er laut! Er hat dazu beigetragen, dass ich den Körper richtig einsetzen konnte.“

Aber dann stand Daniela Köhler mitsamt befreiter Stimme erstmal auf der Straße. Während gute junge Sängerinnen sonst meist vom Opernstudio ins Ensemble wechseln, wechselte in Karlsruhe die Intendanz; für die neue Leitung „war ich die Uninteressanteste im Haus.“ Bei hundert Theateragenturen bewarb sie sich, nur zehn würdigten sie einer Antwort. Dafür siegte sie 2010 beim internationalen Gesangswettbewerb in ´s-Hertogenbosch, wo der Casting Director des Liceu in Barcelona sie hörte. Sie sang ihm die Partie der Helmwige vor, eine von Wagners Walküren, und wurde damit für 2014 engagiert. „Bis dahin habe ich immer nebenbei gekellnert“, sagt sie. Als es endlich soweit war, lernte sie in Barcelona Heidi Steinhaus kennen, und die wurde ihre Agentin. „Ohne die Heidi wär´s nichts geworden“, sagt die Sängerin. Ein Vorsingen bei Katharina Wagner kam zustande, es folgte eine Zusage für Bayreuth 2020.

„Als es hieß, sie wird im neuen Ring singen, haben sich überall Türen geöffnet“, sagt Daniela Köhler, eher sachlich als jubelnd. „Leute, die mich nicht mal zum Vorsingen hatten einladen wollen, sagten, sie kann das bei uns natürlich auch so machen! Dabei war nicht mal klar, welche Rolle es sein würde.“ Es wurde die Brünnhilde im Siegfried, „aber erst 2022, denn 2020 blieben wir ja alle erstmal zu Hause.“ Es folgten ein weiterer Bayreuther Sommer und die Sieglinde in der Zürcher Walküre, begleitet vom Glück, unter Gleichen zu sein: „Die Kollegen, die mit mir Wagner sangen und singen, haben ja auch alle große Stimmen. Es ist eine unheimlich schöne Erfahrung, dass man sich nicht zurückhalten muss und den Duettpartner dabei noch hört.“

„Vielleicht ist das eine unpassende Frage: Gibt es aus der Kellnerinnenzeit etwas, was Sie mitgenommen haben in Ihren Beruf?“ Daniela Köhler antwortet fast schon in die Frage hinein. „Dass ich nicht der Mittelpunkt der Erde bin. Und dass es Leute gibt, die ganz andere Probleme haben, existentielle.“ Sie lernte unter den Kellnerinnen Frauen kennen, die ganze Familien durchbrachten, „die haben sieben Tage in der Woche gearbeitet, es waren tolle Menschen. Wir beschäftigen uns im Theater mit existentiellen Dingen, aber meistens haben wir selbst diese Probleme nicht. Und ich bin nicht das non plus ultra. Das ist auch gar nicht nötig.“ Sie lacht, stellt beiläufig die leeren Tassen und Wassergläser aufs Tablett, und ehe ich auch nur nachdenken kann, hat sie es schon auf der linken Hand und trägt es durchs Café. Gelassenen Ganges, profimäßig. Gelernt ist gelernt.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Er erschien im MAG 114 der Oper Zürich, September 2024. Premiere von Ariadne auf Naxos ist am 22. September 2024. Es dirigiert Markus Poschner, Regie führt Andreas Homoki.