Allmählich glaube ich es selbst. Der Nikolaus war da. Auch Xaver war da, er hält sich sogar immer noch in der Gegend auf, aber bei Frido hat er bei weitem nicht so tiefen Eindruck hinterlassen. Böen gab es, aber unsere Schornsteine hat das Orkantief nicht abgeräumt, und so konnte der Bischof von Myra durchs Ofenrohr kommen und fand Schuhe und Stiefel für seine Gaben vor. Dank Frido, der den Termin im Gegensatz zu seinen Eltern nicht vergaß, da er, während Xaver nahte, im Kindergarten schon den Nikolaus malte.
Ein geradezu dämonisches Wesen in Rot, mit schwarzer Mütze und bunten Päckchen an den Enden der langen Arme, daneben frei stehend eine Stele mit Kreuz, das alles umtost von dunkelblauen Schraffuren, fast scheint der Bischof etwas schräg zu stehen im Nachtwind. „He is expecting to find some presents in his boot“, sagte ich, während Frido neben uns stand. Auf keinen Fall sollte er Verdacht schöpfen. Seine Mutter seufzte. „Ich find´schon was.“ Frido ging seinen Freund im Nachbarhaus besuchen, und sie backte Kekse mit Paul.
Der verriet nichts davon, als sein großer Bruder zurückkam und sofort seine Stiefel in die Küche brachte. Wir stellten sie mit denen von Paul vor den alten Holzherd und öffneten dessen Klappe. Schließlich sollte der Nikolaus aus dem Ofenrohr bis zu den Stiefeln gelangen können. Dass ein mit Geschenken beladener, ausgewachsener Heiliger durch ein Rohr passt, fand Frido normal; ihn beschäftigte eher die Frage, wie der es ganz allein schaffen sollte, so viele Kinder zu versorgen. „Er hat vermutlich Helfer“, sagten wir. Unser Sohn fand, man müsse diesen Helfern und dem Mann in Rot doch eine Stärkung anbieten. Auf die geöffnete Ofenklappe legten wir Walnüsse und Mandarinen. Dann kam die Nacht.
Morgens vor sieben raste Frido in die Küche, dann zerrte er an meiner Bettdecke. „Sie haben die Nüsse geknackt und die Mandarinen gepellt! Das sieht total schön aus, soll ich es dir zeigen?“ Verrückt. Derselbe Junge, mit dem ich am Abend zuvor noch die Kugelgestalt der Erde erörtert hatte, überzeugte mich nun, dass der Nikolaus da gewesen war. Außer Keksen hatte er auch eine Hörspielkassette hinterlassen. Das „Sams“, Teil 2. Frido wollte sie sofort hören. Ich musste sie aber erstmal zurückspulen, da sie, in einem Paralleluniversum, schon mal von seiner großen Schwester gehört worden war. „Warum musst du die zurückspulen?“ „Vielleicht hat der Nikolaus da schon mal reingehört, damit er weiß, ob es dir gefallen könnte.“ „Dann hat er ganz schön viel gehört“, sagte Frido nachdenklich. „Oder seine Helfer“, sagte ich.
Als er im Kindergarten seinem Freund strahlend erzählte, dass der nächtliche Besuch sogar einen Imbiss eingenommen habe, begriff ich, dass Ähnliches geschehen war wie in einer guten Inszenierung, einer guten Geschichte. Sie macht sich selbstständig. Sie hat eine Wahrheit, neben der die Künstler nebensächlich werden. Einfach nur Helfer, die spät in der Nacht auch mal die eine oder andere Walnuss verzehren dürfen.