Unsere Wagners

Das Leben ist ein Ränkespiel: Die Historie von Richard Wagners Nachkommen ist voll von politischen Irrtümern, Ehebruch, verstoßenen Töchtern und bestraften Söhnen. Ein Blick in das Familienalbum einer berühmten deutschen Sippe

Man kann sie bis heute an der ausgeprägten Nase erkennen, am markanten Kinn und an den leicht hängenden Augenlidern. Oder sie sehen, mit schmalen Wangen und bleichem Teint, Cosima ähnlich, der Tochter von Franz Liszt. Richard Wagners Nachkommen – in ihrer Familiensaga fallen Kunst und Verwandtschaftsranküne, deutsche Geschichte und fränkischer Provinzialismus auf atemberaubende Weise zusammen. Von ihrem genialen Ahnen haben sie den Instinkt fürs Theatralische geerbt und eisernen Durchsetzungswillen. Sie spielen im richtigen Leben immer wieder zwanghaft nach, was sich Richard in seinen Musikdramen ausgedacht hat: Sie hüten fafnergleich den Bayreuth-Hort und bauen ihre Macht wie Wotan auf Verträge. Es gibt brünnhildenhaft verstoßene Töchter, Ehebruch und Hagensche Speerstöße in den Rücken. Götterdämmerung allenthalben. Jetzt, wo am Grünen Hügel eine Zeitenwende naht, lohnt es sich noch einmal, das große Familienalbum der Sippe hervorzuholen und darin zu blättern.

Wir fahr’n übern See

Am Bodensee, im März 1864. Im Mantel steht Richard an Bord und guckt ins trübe kalte Wetter überm Wasser. Klein von Statur ist er, bedeutender Kopf, hohe Stirn, der Mund etwas zusammengekniffen. So verbreitet ist sein Porträt noch nicht, dass die andern Passagiere den Fünfzigjährigen erkannt hätten, den Komponisten von Holländer , Tannhäuser , Lohengrin . Im Gepäck hat er das Manuskript von Tristan und Isolde . Unklar, wer das aufführen soll, wer das bezahlen kann. Richard hat Schulden: 12000 Gulden. Das würde heute 240000 Euro entsprechen. Er flieht jetzt in die Schweiz. Mal wieder. Zu seiner Freundin Eliza. Am Tag vorher, Karfreitag, hat er schon einen Grabspruch gedichtet: »Hier liegt Richard Wagner, der nichts geworden / nicht einmal Ritter vom lumpigsten Orden…«

Es gibt noch einen anderen Bodensee-Schnappschuss. April 1945 – wieder gehen Wagners an Bord, in Nußdorf. Sie fliehen vor den Alliierten. Wieland, ältester Enkel Richards, mit seiner schwangeren Frau und zwei Kindern, außerdem seine schwangere Schwester Verena, genannt Nickelchen, und ihr Mann Bodo. Bodo Lafferentz. Er war der Chef der Organisation Kraft durch Freude, hat ganz in der Nähe auch ein Institut zur Entwicklung »sehender Raketen« – Cruise-Missiles für den Endsieg, an den jetzt keiner mehr glaubt. Bodo hat das Schiff organisiert. Als Startkapital und Visumsersatz hat die Reisegesellschaft die Handschrift des Tristan dabei, oder des Parsifal, so genau lässt sich das nicht mehr klären. Die Schweizer Polizei jedoch bleibt unbeeindruckt von den berühmten Noten. Sie stellt die Bootsflüchtigen auf der Mitte des Sees und bittet zum Verhör. Die Wagners sagen, sie würden in der Schweiz erwartet von den Nachfahren der Eliza Wille. Aber als Sympathisanten Hitlers sind sie allzu bekannt. Das Boot muss umkehren.

Der Schlapphut

Wahnfried, Richards Bayreuther Villa mit der Fassadeninschrift »Wo mein Wähnen Frieden fand«, hat 1945 einen Bombentreffer abgekriegt. Die linke Hausseite steht noch, aber die rechte liegt in Trümmern. Nike, Wielands Tochter, die nach der gescheiterten Flucht über den Bodensee zur Welt kam, hat das herabhängende Dach in ihrem Buch Wagner-Theater mit dem »Wotansschlapphut« verglichen, der über das tote Auge des Gottes hängt. Es ist in dieser Familie nämlich üblich, alles auf Richards Werke zu beziehen. Für Cosima war Wahnfried ihr »Walhall«. Winifred hat sogar Rudolf Heß mit Brünnhilde verglichen. Mit seinem Versöhnungsflug nach England 1941 habe der Stellvertreter des Führers nur getan, was dieser selbst nicht tun durfte, wie Wotans Tochter in der Walküre . Ganz unübertroffen ist die Korrespondenz zwischen Cosima und König Ludwig II: »Wotan und Waltraute« (das sind Richard und sie) »grüßen Siegfried. Sachs segnet Walther. Stoltzing begrüßt Walhall. Heil ruft der Gott dem Held.« Und das als Telegramm. Als sich hundert Jahre später Wielands betrogene Ehefrau Gertrud nach anderen Männern umsah, fiel ihre Wahl auf einen Arzt namens Alberich. Zu viel Wagnermetaphern-Folklore tut nicht gut.

Eva, Cosimas zweite Tochter mit Richard, ist nach der weiblichen Hauptfigur in den Meistersingern benannt und eine der verkniffenen Gestalten der Familie. Cosima wollte eigentlich den Komponisten Richard Strauss für Eva als Ehemann haben, doch der zog eine Sängerin vor. Eva hat dann Houston Stewart Chamberlain geheiratet, einen Vertrauten ihrer Mutter. Chamberlain ist der berühmteste Rassentheoretiker seiner Zeit. Sein Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts ist ein Bestseller und avanciert zum Standardwerk für den Antisemitismus in Deutschland. Als Cosima stirbt, bringt Eva die Papiere der Mutter in ihren Besitz, auch die Tagebücher, 5000 Seiten umfassend und Siegfried, dem einzigen Sohn, gewidmet. Der stirbt vier Monate nach Cosima, ohne die Tagebücher je gesehen zu haben. Siegfrieds Frau Winifred erstattet Anzeige, wofür sich Eva grausam rächt: Sie verbrennt den vollständigen Briefwechsel zwischen Richard und Cosima. Die Tagebücher übergibt sie 1935 dem Bayreuther Bürgermeister mit der Auflage, sie 30 Jahre lang unter Verschluss zu halten. Erst 1976 können sie erscheinen. Da hatte der Herausgeber dieser Tagebücher seine Ehefrau übrigens schon an Festspielchef Wolfgang Wagner verloren, aber das ist eine andere Geschichte. Irgendwie auch keine neue…

An allem ist Hütchen schuld

Bayreuth, 1925. Hier steht die Villa Wahnfried noch in ganzer Pracht. Man erkennt Siegfried mit seiner Familie. Obwohl er erst 56 Jahre alt ist, sieht er viel älter aus, eher wie der nette Onkel als der Ehemann von Winifred, die 28 Jahre alt ist. Mit ihr hat er vier Kinder: Wolfgang, Verena, Friedelind, Wieland. Siegfried ist nie richtig aus dem Glashaus herausgekommen, das seine Mutter Cosima um ihn errichtete, den einzigen Sohn, den Erben des Meisters! Jede seiner Talentäußerungen wurde registriert und kommentiert, sein Vater Richard wollte für ihn sogar eine Extraschule gründen. Er hat ihn ja nicht von ungefähr nach dem Helden Siegfried benannt, dem großen Hoffnungsträger im Ring des Nibelungen . Bekanntlich wird er ermordet. Richards Sohn indessen erstickt schier unter der Last des Erbes, das ihm aufgebürdet wird. Er sieht sich zum Komponieren verpflichtet und schreibt 14 Märchenopern mit kuriosen Titeln wie Bruder Lustig oder An allem ist Hütchen schuld . Keine der Opern hat es ins Repertoire geschafft. Ehe er Winifred kennenlernt, zeugt er mit einer Bayreuther Pfarrersgattin einen Sohn, der später diskret als Assistent in die Festspiele integriert wird. Eigentlich neigt er aber zu Männern, auch um der Übermacht seiner Mutter zu entgehen.

Es glänzen die Hörner

Richard hat allen vorgemacht, wie die freie Wagner-Liebe geht. Zürich 1957, hier sehen wir ihn in seinem »Asyl«, einem kleinen Fachwerkhaus, das ihm der Fabrikant Wesendonck auf seinem prachtvollen Anwesen zum Komponieren zur Verfügung gestellt hat, umgeben von vier der wichtigsten Frauen seines Lebens, während es aus der Walküre vorsingt. Das Bild ist fiktiv, das Treffen verbürgt. Im Hintergrund steht Eliza Wille, die Exgeliebte Richards, die den Postillon dAmour gibt zwischen ihm und der nächsten Geliebte. Es ist die jüngere mit dem Mittelscheitel, Richards große, vielleicht größte Liebe – Mathilde, die Gemahlin von Wesendonck. Von der reiferen Dame rechts wird sie »Mistweib« genannt. Sie ist Richards Frau Minna. Auch in der Nähe sind der Liszt-Schüler Hans von Bülow und Cosima, damals 19 Jahre alt, die beiden sind auf Hochzeitsreise. Von diesen Frauen umgeben, hat Richard in drei Wochen seine Tristan -Dichtung niedergeschrieben. Man ahnt, warum Kunst und Leben mitunter nicht zu trennen sind. Acht Jahre später bringt Cosima eine Tochter zur Welt, Isolde, sie ist von Richard und nicht vom Gatten Hans, der aber offiziell zum Vater erklärt wird. Vier Jahre später gebärt Cosima bereits den dritten Wagnerspross Siegfried, und Hans von Bülow, der davon in der Zeitung erfährt, bemerkt sarkastisch: »Das Gebäude meiner Hörner ist somit auf die glänzendste Weise gekrönt worden.«

Noch eine Affäre

Stuttgart, 1966. Wieland Wagner probt Lulu mit Anja Silja. So wie er sich da im Sessel fläzt, mit übereinandergeschlagenen Beinen, könnte er selbst einer der Männer sein, die mit Lulu spielen und von ihr ruiniert werden. So wie Silja vor ihm steht, die 26-Jährige, ist sie Kind und Göttin in einem. Sie war Wielands Geliebte. 1960 kam sie als »Senta« nach Bayreuth, Wielands Frau Gertrud bat das Paar, sich wenigstens während der Proben nicht zu duzen. Für Winifred war die begnadete junge Sängerin nur die »Hure vom Kurfürstendamm«. Sie korrigierte sich dann brieflich: »Nicht Hure, sondern Nutte.«

Schöne Tage mit Onkel Wolf

Auf dem Sofa in Haus Wahnfried sitzt er, mit Anzug und schräg gestreifter Krawatte. Er sitzt ein bisschen da wie ein kleiner Junge, die Hände zwischen den Beinen, im Gesicht etwas vom unsicheren Trotz des Kleinbürgers, der bei Großbürgers gelandet ist, und gleichzeitig erkennt man die Sicherheit dessen, der weiß, dass ihn hier niemand vertreiben kann. Adolf Hitler war in Wahnfried von Anfang an willkommen. Seit 1921 Vorsitzender der NSDAP, machte er zwei Jahre später seinen Antrittsbesuch im Hause des von ihm bewunderten Richard, der seinen Antisemitismus nicht nur in der frühen Schrift über Das Judenthum in der Musik geäußert hat. Evas Mann, Houston Chamberlain, begrüßte den jungen Hitler in Wahnfried als »Lichtgestalt«. Auch Winnie und Siegfried waren begeistert. Für den Tag nach Hitlers Putsch am 9. November 1923, dessen Erfolg sie für sicher hielten, planten sie in München ein Konzert. Als Hitler nach dem Scheitern inhaftiert wurde, wurde ihm das Papier, auf dem er Mein Kampf schrieb, aus Wahnfried ins Gefängnis geschickt. »Meine Frau kämpft wie eine Löwin für Hitler«, schwärmte Siegfried, »großartig!« Der NSDAP-Mann kam nun häufiger, auch nach 1933. In Wahnfried soll er sich immer entspannt haben und trank sogar Schnaps. Die Kinder dürfen ihn Onkel Wolf nennen. Einmal bringt der 16-jährige Wolfgang seinen Schulatlas während der Festspiele zu Hitler, weil dem Führer das Kartenmaterial fehlt, um mit seinem militärischen Stab den Spanischen Bürgerkrieg zu diskutieren.

Der Schrank bleibt zu

In München soll bis heute ein Schrank stehen, von dem leider kein Bild existiert. Verena, »Nickelchen«, habe ihn vor längerer Zeit bei ihrer Tochter Amélie deponiert, so hört man von Familienmitgliedern. Und Amélie verweigere hartnäckig die Öffnung des Möbels. Der Schrank soll den sagenumwobenen Liebesbriefwechsel zwischen Winni und Wolf enthalten.

Die Witwen trinken Tee

»Wie eine Braut«, schreibt Nike in ihrem Wagner-Buch unter ein Bild, das ihre Großmutter mit Hitler zeigt, sie ganz in Weiß, er im schicken Anzug, ringsum Uniformierte. Bis an ihr Lebensende, bis 1980, hat Winifred keinen Hehl aus ihrer Sympathie für diesen Mann gemacht. Er bleibt für sie »USA« – »unser seliger Adolf«. In ihrem berühmt gewordenen Fernsehinterview mit Hans-Jürgen Syberberg erklärte die 87-Jährige: »Der Teil von ihm, sagen wir mal, den ich kenne, den schätze ich auch heute noch, genauso wie früher. Und dieser ganze abzulehnende Hitler, der existiert innerlich für mich eigentlich nicht… Verstehen Sie, alles in meiner Beziehung zu ihm beruht auf absolut Persönlichem.« Mitte der fünfziger Jahre zieht Winifred wieder nach Wahnfried ins Gästehaus, in den »Führerbau«, den sie so nennt wie zu den Zeiten, als Hitler dort übernachtete. Winifreds Domizil wird ein beliebter Treffpunkt der »Ehemaligen«: Es kommen die Naziwitwen Ilse Heß und Emmy Göring, dazu Adjutanten, Piloten, Kammerdiener und Sekretärinnen des »Führers«, Ex-Gauleiter und revisionistische Historiker. Wieland, der das Haupthaus bewohnt, ist entsetzt und lässt eine vier Meter hohe Mauer im gemeinsamen Park errichten. Dahinter sitzen die Hitlerfreunde dann zum Tee in froher Runde und schwärmen von einst, während Winifreds laute Stimme mühelos über die Mauer zum gepeinigten Festspielleiter herüberdringt. Sehr deutsch, die Szene.

Eine höchst umstrittene Persönlichkeit

München, 1947. Erlauchter geht es kaum als bei dieser Pressekonferenz. Der neue Stiftungsrat der Bayreuther Festspiele präsentiert sich der Öffentlichkeit: Ehrenpräsident Thomas Mann nebst einem Komitee von Beratern, zu dem Arnold Schönberg, Paul Hindemith, Karl Amadeus Hartmann und Arthur Honegger gehören… Nicht nur das Foto ist fiktiv, auch das Treffen. Den Entwurf zu so einer Stiftung aber gab es wirklich, er wurde bestellt vom Bürgermeister Bayreuths, und er stammt vom ersten Enkel Wagners. Der hieß Franz Wilhelm Beidler und war der Sohn jener Isolde, die Cosima auch nach Richards Tod nie als sein Kind legitimierte. Isolde heirate später einen Dirigenten, der sogar in Bayreuth Ring und Parsifal leiten durfte. Doch als er von Cosima mehr forderte, warf sie ihn hinaus – und damit war Franz Beidlers Karriere vorbei. Er wurde Kaufmann. Sein Sohn Franz Wilhelm, Jurist, Musikwissenschaftler und Philosoph, floh aus Hitlers Deutschland in die Schweiz: »National unzuverlässig, marxistisch verseucht und jüdisch versippt, wie ich nun einmal bin und natürlich auch bleibe, habe ich in der lieben Heimat nichts mehr zu suchen.« Aus dem ersten Versuch, die Festspiele dem vordemokratischen Blutrecht der Wagners zu entwinden, konnte schon deswegen nichts werden, weil gegen Winifreds Willen die Überführung des Privatvermögens in eine Stiftung nicht möglich war. 1973 sind die Festspiele dann doch in eine Stiftung umgewandelt worden. Thomas Mann übrigens sollte 1953 immerhin zu einem Vortrag nach Bayreuth eingeladen werden. Die Mäzene verhinderten das: Der Literaturnobelpreisträger sei »eine höchst umstrittene Persönlichkeit«. Stattdessen bestellten die »Freunde von Bayreuth« eine Wagnerbüste bei Hitlers Hofbildhauer Arno Breker.

Wieland putzt die Scheibe

Wieland und Wolfgang machen Baupause bei der Gründung von Neu-Bayreuth. Sie sitzen vor Wahnfried, das wieder aufgebaut wird, auch im unzerstörten Festspielhaus gelingt der Neuanfang. »Im Interesse einer reibungslosen Durchführung der Festspiele bitten wir von Gesprächen und Debatten politischer Art auf dem Festspielhügel freundlichst absehen zu wollen. ›Hier gilt’s der Kunst‹«. schreiben sie 1951 bei den ersten Festspielen nach dem Krieg ins Programmheft. Schon als Knaben waren die beiden Rivalen mit unterschiedlichen Talenten hervorgetreten. Während Wolfgang gegen Entgelt mit einem Leiterwagen Gäste zum Grab Richard Wagners karrte, übte sich Wieland als Maler und fotografierte – auch Onkel Wolf. Indessen gelten die Brüder nach 1945, anders als ihre Mutter, politisch als hinreichend unbelastet, um Bayreuth neu zu starten. Macher Wolfgang und Künstler Wieland ergänzen sich gut. Der eine setzt sein Bayreuther Schulkameraden-Imperium für die Festspiele ein und beschafft Geld, der andere entrümpelt die Bühne und erfindet für den Ring jene Weltenscheibe, die zum Inbegriff einer neuen, abstrahierenden Ästhetik wird. Auch Wolfgang inszeniert, und bis 1960 hat jeder der beiden fast alle großen Wagnerwerke einmal auf die Bühne gebracht. Dabei kopiert der Jüngere den Älteren, ein Schatten, vor dem Wieland zunehmend häufig an andere Bühnen floh, zumindest sieht seine Tochter Nike das so. Wieland stirbt 1966 an Lungenkrebs. Wolfgang wird alleiniger Leiter der Festspiele und bleibt es bis heute.

Wummi Weltmann

Bayreuth, 1976. Der dominante Typ im weißen Dinnerjackett, der nach Weltmann mit einem Hauch Halbwelt aussieht und rauchend seine Gäste übers Festspielareal führt, als seien sie zu Besuch auf seiner Jacht, ist Wummi. So lautet bis heute der Spitzname des zweiten Urenkels von Richard, Wolf-Siegfried, 1943 geboren. Er gilt als der Lebemann des Clans. Wie eigentlich alle Wagnernachkommen wollte auch Wummi mal Hügelchef werden, setzt sich aber ab nach Mallorca, reüssiert seither als Bauunternehmer und hält Hof in großem Stil. Letzteren bewies er schon bei seinem ersten Skandal. Weil er als 22-Jähriger das Auto eines Freundes kaputt gefahren hatte und Geld brauchte, entnahm er der Rumpelkammer von Wahnfried ein kleines Bild und ließ es in München versteigern. Es handelte sich um ein Liszt-Porträt von Ingres, gewidmet Cosimas Mutter, der Gräfin d’Agoult. Wummis Großmutter Winifred tobte und ließ das Bild für 36000 Mark zurückersteigern. Auch bei der Partnerwahl greift Wolf-Siegfried eher hoch und nimmt zur zweiten Ehefrau die große Blonde, die auf dem Foto von 1976 noch mit dem schmächtigen Mann ganz rechts verheiratet ist. Zugeknöpft und distanziert, scheint er hinter seiner Sonnenbrille zu ahnen, dass Eleonore Gräfin Lehndorff, Tochter des Hitler-Attentäters Heinrich Graf von Lehndorff, genannt Nona, bereits der genuin Wagnerschen Vereinnahmungskraft des Gastgebers zu erliegen beginnt.

Toby versaut die weiße Jacke

1994, am Buchstand vorm Festspielhaus. »Doch, wir haben das Buch«, sagt die Verkäuferin und greift unter den Tresen, »aber machen Sie’s nicht so offensichtlich, der Wolfgang Wagner hat das nicht so gern.« Soeben ist das Buch seiner Schwester Friedelind erschienen, Nacht über Bayreuth, geschrieben 50 Jahre zuvor in New York. Friedelind ist die Querulantin unter den Siegfriedskindern, sie ist 1940 emigriert, gegen die Drohung ihrer Mutter, die sie zum Dableiben zwingen wollte: »Wenn du nicht hören willst, wird der Befehl erteilt, daß du vertilgt und ausgerottet wirst!« In ihrem Buch hat Friedelind dann ausgepackt über das braune Bayreuth und an Grotesken nicht gespart wie etwa der Begegnung zwischen Friedelinds Schäferhund und dem prominentesten Festspielgast. »Jedesmal, wenn der Führer gestikulierte, glaubte Toby, es sei eine Aufforderung, an seinem Freund hochzuspringen, und Hitlers weiße Jacke wurde ruiniert…« Auch Wolfgangs Sohn hat eine Abrechnung mit den dunklen Seiten der Familie in Buchform gebracht: Wer nicht mit dem Wolf heult . Das liest sich aber ungleich steiniger als Friedelinds Buch. Am schönsten ist der Satz, den Gottfried in den frühen 1970ern seinem Vater entgegengeschleudert haben will: »Es wäre wohl Zeit, dass du endlich an einer Demo teilnimmst, statt dich als Dessertlieferant einer internationalen inhumanen Bourgeoisie anzudienen.« Während Friedelind (laut ihrer Herausgeberin Eva Weissweiler) nur der Festspielparkplatz gestrichen wird, trifft es Gottfried härter: Entzug der Festspielkarten.

Die falsche Kandidatin

2001. In allen Zeitungen werden Fotos von Eva gedruckt. Eva ist Wolfgangs Tochter aus erster Ehe, sie soll nach einem Beschluss des Stiftungsrats die Bayreuther Festspiele übernehmen. Drei Kandidatinnen standen zur Auswahl: Wolfgangs Ehefrau Gudrun, die scharfzüngige Nike, die ihren Onkel einen »Striese seines Ahnen« nannte und vieles am Grünen Hügel ändern wollte, und die gemäßigtere Eva, Wolfgangs Tochter aus erster Ehe. Einst war sie Papakind und Mädchen für alles am Grünen Hügel, bis Wolfgang sich scheiden ließ, Eva zu ihrer Mutter hielt und der Vater die Tochter verstieß. Eva wird aber nicht Festspielchefin, denn ihr Vater ist nicht bereit, zu ihren Gunsten zurückzutreten. Er pocht auf seinen lebenslänglichen Vertrag. Der Stiftungsrat gibt klein bei.

Nietzsche spricht ein Schlusswort

Tribschen, 1869. Friedrich Nietzsche hilft beim Einrichten eines Puppentheaters für Richards Kinder. Der junge Philosoph sieht in dem Komponisten »die leibhaftige Illustration dessen, was Schopenhauer ein Genie nennt«. Das Genie lässt sich die Bewunderung gern gefallen, und da der Gast sich zudem rettungslos in Cosima verliebt, ist er zu allem bereit und erledigt neben seiner Professur in Basel auch Einkäufe für das hohe Paar. Später wird Nietzsche zum geistvollsten und radikalsten Kritiker Wagners. Bayreuth stößt ihn ab: »Mir graut vor jedem dieser langen Kunst-Abende.« Für Wagners Leben findet er Worte, die auf die ganze Dynastie bis heute passen: Es sei »eine groteske Komödie«.

Ursprünglich veröffentlicht in der Zeit am 16.04.2008