„Der Auftrittsmonolog, boah, Hammer!“

Nach dem Scarpia ist vor dem Holländer: Eine Begegnung mit Michael Volle, weltweit gefeierter Bariton und schwäbischer Pfarrerssohn

Als Sänger ist er schon am Telefon sofort zu erkennen. Als unkomplizierter Mensch übrigens auch. Keine Umstände, kein „Da muss ich nach New York“. Starke, von guter Laune vibrierende Stimme, im Hintergrund Kinder. Er sei in Berlin, der Termin egal, sagt Michael Volle, vielleicht nach der Probe für „Tosca“? Und nachdem die ihn, den Scarpia, abgestochen hat, an einem frühlingshaften Wintermittag in Berlin-Charlottenburg, erscheint er am Künstlereingang: Ein Bariton wie von Rodin geformt, aber alles andere als statuarisch. Das große, markante Gesicht ist immer in Bewegung.

Während wir drinnen die Treppen hochgehen, erzählt er von den beiden Kindern, vier und sechs, aus der zweiten Ehe, und den großen Töchtern aus der ersten, die ihn heute besuchen und anderntags als fiesen Polizeichef in einer glatt 46 Jahre alten Inszenierung der „Tosca“ in der Deutschen Oper beobachten werden. Die „Tosca“ an der Wiener Staatsoper, wo er ebenfalls den Scarpia singt, wird sogar in einer Regie von 1959 gegeben. Aber wo Staub liegt, fliegt er weg, wenn Volle sich in eine Rolle schmeißt. „Schon vom Temperament her umwerfend“, bejubelte die F.A.Z. seinen Salzburger Hans Sachs.

Ich komme gar nicht zum Fragen, da ist er vom Scarpia schon beim Holländer, „denn mein erster Scarpia in London war unmittelbar vor dem ersten Holländer, hier in Berlin, und das hat sich gut verbunden, grad vom Belcanto her, das hat für den Holländer so viel gebracht!“ Gut verbunden hat sich vieles bei diesem Spätzünder, wie er sich selbst gern nennt. So gut, dass er sich, mit 55 Jahren, immer noch wundert, wie das alles so kam, und sich erst recht freut, dass er nun als Holländer wieder nach Zürich kommt, wo er acht Jahre lang im Ensemble gesungen hat, bis 2007: „Pereira, der Intendant, hat mir Enormes zugetraut!“

volle als scarpia

Volle als Scarpia in London, 2013, Regie: Jonathan Kent, Foto: Tristram Kenton

Mehr jedenfalls, als Michael Volle selbst sich zu Beginn seiner Laufbahn zutraute. Er war sich nicht mal sicher, ob er Sänger werden sollte, obwohl er von Kind an gesungen hat, wie alle seine sieben Geschwister in einem schwäbischen Pfarrhaus. „Die Kirchenmusik durchdrang das Leben. Jeder musste ein Instrument lernen, Choräle wurden rauf und runter gesungen.“ Aber Oper war für viele in der Familie Sünde und Halbwelt, Schauspiel auch, „igitt, Teufelszeug!“ Wohin bloß mit der Spiellust, die Michael Volle, wie er sagt, „gegeben ist“ und seine szenische Intensität so konkurrenzlos macht?

Das schwäbische Pfarrhaus ist ja auch nicht gerade eine Brutstätte für Bühnenmenschen, oder? „Nee, mehr für Terroristen, Dichter und Sozis!“ Er lacht schallend im getäfelten leeren Saal hinter der Deutschen Oper. „Auf dem Land in Württemberg damals war der Pfarrer im Fokus, wie der Bürgermeister und der Doktor, und seine vielen Kinder auch. Ich glaube, dass ich dadurch ein bisschen lernte, mich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Ein Bruder ist Schauspieler, noch einer auch Sänger geworden. Aber ich wusste lange nicht, wohin.“ Lehrer vielleicht? Oder doch Bratscher? Zu diesem Instrument war er von der Geige gewechselt. Er sang auch, aber überwiegend Sakralmusik.

„Da hat mir mein Freund, der Sänger Manfred Schreier, gesagt, probier das, werde Sänger, du hast das im Hals!“ Er war 25 Jahre alt, aber „die Stimme noch lange nicht da, wo sie hin konnte. Wenn ich in der Stuttgarter Hochschule auf eine Prüfungsbühne trat, sagte man zuerst, oh toll, diese Erscheinung, und wenn ich anfing zu singen: hm, hm.“ Erst Metternich brachte die Wende. Nicht der Diplomat aus Schuberts Zeit, sondern Josef Metternich, einstiger MET-Star, später legendärer Gesangslehrer. „Er hat mir den entscheidenden Tritt in den Hintern gegeben, um die Stimme vom Kopf in den Körper zu kriegen.“

Mit 30 Jahren wurde Michael Volle in Mannheim engagiert, 130 Vorstellungen in der ersten Spielzeit, erste Erfolge, heilsame Dämpfer: „Mein Bruder, der Schauspieler, hat mir zu meinem Papageno deutlich gesagt, dass ich sehr an der Oberfläche bleibe, ich solle versuchen, wirklich tief zu gehen.“ Zwanzig Jahre später, kürzlich nach Michael Volles Scarpia in der Wiener „Tosca“ meinte ein Burgschauspieler: „Ich wusste gar nicht, dass du so´n Arschloch sein kannst!“ Volle strahlt: „Das tut sehr gut, muss ich sagen.“ Es scheint ihn immer noch zu überraschen, wenn ihm jemand ein Kompliment macht.

Er, der als Hans Sachs in einer Liveübertragung der „Meistersinger“ aus der MET in den Kinos zu erleben war, den die Kritiker schon zwei Mal zum „Sänger des Jahres“ wählten, den Daniel Barenboim dazu brachte, mitsamt der Familie nach Berlin zu ziehen – ihm liegt die Starrolle nicht. „Ich bin zur Demut erzogen worden, was für meinen Job nicht immer gut ist und doch gut, gerade wo es so viel um Künstlichkeiten geht, auch im sozialen Miteinander.“ Darum  sieht er sich immer nur als „Teil eines Werkes“, und selbst für diese Formulierung entschuldigt er sich noch: „Das hört sich sehr pathetisch an…“

volle als holl2

Volle als Holländer in Zürich, 2016, Regie: Andreas Homoki, Foto: T & T Fotografie

Er mag abgründige und vielschichtige Typen, „Pizarro und Telramund jucken mich nicht.“ Aber Golaud, Don Giovanni, Wotan, Hans Sachs, „dem werd´ ich noch viele Facetten abgewinnen!“, das rätselhafte Ich der „Winterreise“, die Volle in Zürich mit seinem festen Begleiter Helmut Deutsch interpretieren wird, und den Holländer natürlich. „Der Auftrittsmonolog, boah, Hammer! Im Grunde genommen ist er ein unglaublich frustierter Mensch, der, weil er einmal Mist gebaut hat, dieses Schicksal erleidet. Und der sich sehr sehnt nach Ruhe, Heimkommen, Partnerschaft… um so größer wiederum seine Enttäuschung im dritten Akt, als er etwas falsch versteht, sonst würd´s ja anders ausgehen…“

Fragen ihn bei einer Neuproduktion auch mal Regisseure, was er sich zu so einer Figur denkt? „Das würd´ mich sehr verwundern“, meint Volle verwundert, „da würde ich fragen, kennst du das Stück nicht?“ Er erwartet von Regisseuren Konzept, Handwerk, Verständnis für die Musik. „Nur, wie man zu ihr hinkommt, da gibt´s tausend Wege.“ Er könne sich mittlerweile dank stimmlicher Erfahrung noch mehr auf die Szene einlassen, zugleich habe er festgestellt: „Pass auf, dass du deine Ekstase mehr kontrollierst. Es darf nicht dazu kommen, dass der Gesang darunter leidet. Ich habe mich schon beim Beckmesser in Bayreuth dabei ertappt, dass ich zuviel gab.“

Er findet es schade, „dass sich ganz viele Leute nicht mehr trauen, etwas zu kritisieren, wenn man einen gewissen Status hat. Mein Ranking ist mir wurscht. Ich mach´, was ich kann. Aber wenn Barenboim kommt und sagt, ich will den ganzen  Ring und einen Liederabend mit dir machen, dann merk´ ich schon…da hätt´ ich ja nicht im Schlaf dran gedacht früher!“ Nicht nur seine Position, überhaupt die der Oper erlebt er als privilegiert. „Es ist eine Insel, auf der wir uns bewegen. Was wir da machen, hat per se nichts mit Flüchtlingsproblemen zu tun, auch wenn es etwas Grundsätzliches ist, was die Menschen brauchen.“

Der große Nachteil dieses Traumjobs sei, dass er so familienunfreundlich ist. Wenn Michael Volle und seine Frau, die Sopranistin Gabriela Scherer, zugleich unterwegs sind, „geht es nur mit einer vollangestellten Nanny. Das ist nicht ideal.“ Aber nächstes Jahr kommen die beiden kleinen Töchter mit – wenn nämlich ihre Eltern zusammen in der Pariser „Zauberflöte“ auftreten. „Das wird mein erster Papageno seit langem – weil ich keinen mehr kriege! Die Leute sagen, wenn er Wotan und Sachs macht, kann er keinen Mozart mehr singen, was vollkommener Humbug ist. Da sag´ ich ganz arrogant, ich kann mehr denn je stimmlich variabel sein.“ Jetzt lässt die Demut nach!

„Ich kann heute einen Scarpia machen und morgen eine Matthäuspassion und übermorgen eine Winterreise. Na gut, ein Tag dazwischen ist besser“, der Sänger lacht. „Die Winterreise, das sind 70 existentielle Minuten. Man ist nackt und bloß. Da lässt sich nichts verstecken.“

Dieser Text erschien im Februar 2016 im Magazin des Opernhauses Zürich (Nr.36, S. 30) und ist urheberrechtlich geschützt