Auch ein Rollstuhl kann abheben

Wäre Paul nicht von der Schaukel gefallen, dann hätten wir jetzt nicht die Erdratte im Garten und den Maulwurf. Die Hügelketten der beiden zingeln gerade die Staudenbeete ein. Nie gehabt, sowas. Die kundige Nachbarin meint, dass die Wühltiere normalerweise Wiesen meiden, auf denen Hufe trappeln oder Kinder rasen. Und Paul rast seit zwei Wochen nicht, er robbt, oder er steuert seinen kleinen Rollstuhl über die Wege, voller Stolz auf das Gerät und sein in schickem Blau fixiertes Bein. Der Schaukelsturz im Kinderhaus hatte nämlich einen Riss im Knochen zur Folge, und jetzt lernen wir von Paul, dem Vierjährigen, wie man mit so einer Malaise umgeht: Gut gelaunt.

Für ihn ist der Rollstuhl eher eine Vorstufe des Motorrads, das er später fahren möchte, wenn er nicht gerade mit dem Privatjet unterwegs ist, der auch auf seiner Liste steht. „Dafür musst du aber Geld haben“, wendet Frido mahnend ein, sein älterer Bruder. „Und einen Privatjet braucht man nicht unbedingt“, sage ich, während wir zu dritt Gras und Moos von alten Pflastersteinen kratzen, „du könntest mit einer Yacht anfangen.“ Paul breitet die Arme aus, während er da auf seiner Decke sitzt, und produziert Fluggeräusche. „Ich will alles auf einmal haben“, sagt er. Vielleicht ist das ja wirklich kein schlechter Ansatz, um beizeiten auf dem Motorrad zur eigenen Yacht brausen zu können.

Mit den Vorstellungen seiner Eltern deckt sich der Traum von mehr oder minder umweltschädlichen Statusgeräten nicht, aber der Traum vom sorgenfreien Leben zu Lande, zu Wasser und in der Luft wurzelt natürlich bei uns allen tiefer, als ein Maulwurf je graben könnte. Ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn meine Söhne mich, dann achtzig oder so, zu schnittigen Sprints durchs Mittelmeer einlüden. Paul stünde am Steuer, und Frido würde verklärt auf die Stationen des Odysseus hinweisen, die er jetzt schon bestens kennt…

Okay, zurück auf den Boden der Tatsachen! Es ist schon kurios, dass die Wühler mit ihrer Arbeit auf der Südseite just zu der Zeit begonnen haben, da wir die Nordseite verschönern. Wir legen die Feldsteine frei, die dort vor hundert oder hundertfünfzig Jahren als Pflaster eingesetzt wurden. „Ein Vermögen“, meint ein Nachbar, der vorbeikommt. Tausende von Euro würde es heute kosten, so etwas neu zu verlegen. Selbst für den einzelnen Wackerstein am Feldrand nähmen die Bauern ja schon Geld. „Na dann“, sage ich, „wir sitzen also bereits auf einer Yacht.“ Frido findet das prima. Paul hat indessen genug vom Auskratzen der Fugen, legt den Schraubenzieher weg und lässt sich auf sein Motorrad heben. Auf den Feldsteinen kann er keine Runden drehen, aber im leeren Stall.

Vorher aktiviert er noch diverse Motoren, die, für uns nicht sichtbar, überall an seinem Gefährt angebracht sind. Wir hören die Aggregate aufheulen, während er da drin herumkurvt. Zaubermacht der Fantasie! Gegen Erdratte und Maulwurf hilft sie allerdings nicht. Am besten sei es, sagt die Nachbarin, unsere Katze nicht zu füttern. Dann werde sie die Ratte jagen. Tatsächlich sitzt die Katze jetzt vorm frischesten der Hügel. Sie schaut interessiert zu, wie die Ratte herausschaut, das tut die wirklich – und bleibt gelassen wie ein Forscher.

Es wird das beste sein, wir machen es den Viechern richtig ungemütlich. Wir richten entlang der schwarzen Hügel für Paul und seinen Rollstuhl eine Rennbahn, einen Privatjetflugplatz und einen Yachthafen ein.

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