Kategorie-Archiv: Kolumne

Wo bleibt die Antwort auf Arecibo?

Die Botschaft umfasste überschaubare 1679 Bits, aber sie enthielt präzise Angaben über Größe, Zusammensetzung, Intelligenz und Standort des Absenders. Schlau, wie er war, hatte er die Botschaft binär codiert. Nur wer auf die Idee kam, die Bit-Summe in ihre Primfaktoren 23 und 73 zu zerlegen, um aus diesen ein Rechteck zu basteln, konnte im entstehenden Mosaik erfahren, aus welchen Elementen und wie die DNS aufgebaut ist, dass der aus ihr entfaltete Absender im Schnitt 176,4 Zentimeter groß sei, dass es von seiner Art gut 4,2 Milliarden Exemplare gebe und dass sie alle auf einem Planeten lebten.

Die Lage und Umgebung des Planeten war ebenso präzise angegeben wie die des Observatoriums, von dem aus die Botschaft zum Kugelsternhaufen M13 im Sternbild Herkules gefunkt wurde: Arecibo in Puerto Rico. Am 16. November 1974 verließ die Botschaft an mögliche Außerirdische unsere Erde. 40 Jahre ist das jetzt her, und von einer Antwort hat man noch nichts gehört. Aber ob das ein Grund zur Beruhigung ist? Schwer beunruhigt war nämlich damals der nobelpreistragende Astronom Martin Ryle. Er befürchtete eine Invasion außerirdischer Intelligenz inklusive Kolonisation und Ausbeutung.

Und Evolutionsbiologe Jared Diamond erinnerte an die selbstmörderische Torheit des letzten Inkaherrschers, der den technisch überlegenen Spaniern von seinen Schätzen erzählte und den Weg zur Hauptstadt wies. „Um Himmels willen unsere Sender abschalten!“, forderte er im Buch „Der dritte Schimpanse“. Tja. Womöglich sind sie längst da. Wer kann schon hineinschauen in die Schaltkreise jener 72 Millionen von 7,2 Milliarden Erdbewohnern, die bereits über die Hälfte des weltweiten Vermögens verfügen? Sollte man mal Jean-Claude Juncker beiläufig auf den Kugelsternhaufen M 13 ansprechen?

Womöglich wäre es aber auch prima, sie kämen endlich. So, wie es auf dem Planeten zugeht, könnte ein bisschen außerirdische Intelligenz ganz hilfreich sein, und es ist ja nicht gesagt, dass Typen, die den Umgang mit Binärcodes schon im pränatalen Stadium beherrschen, sich genauso bescheuert und brutal aufführen müssen wie seinerzeit die Spanier im Inkareich. Der Mensch schließt gar zu gern von sich auf andere, im Guten wie im Schlechten. Aber wenn wir glauben, es müssten erst andere kommen, um die menschliche Zivilisation gründlich zu verwüsten, dann unterschätzen wir uns ein bisschen.

Vielleicht haben sie in M 13 ja auch beschlossen, vorsichtshalber erstmal eine Sonde zu schicken, zur unverbindlichen Kontaktaufnahme, mit Form, Größe, Gewicht und Inhalt eines ihrer Durchschnittsgehirne, gut ummantelt. Und freuen sich nun, dass unsere Sonde „Philae“ auf dem gelandet ist, was wir für den vier Kilometer großen Kometen 67 P Tschurjumow-Gerassimenko halten.

Dieser Text erscheint am 15.11.2014 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und ist urheberrechtlich geschützt

Rembrandt tauscht den Glühzünder aus

Am besten gäbe es überhaupt keine Krankheiten und Pannen. Am zweitbesten ist es, wenn sie einen wenigstens zum passenden Zeitpunkt treffen. Da ich als temporärer Alleinerzieher nicht krank werden darf, haben es höhere Mächte so eingerichtet, dass mich eine Malaise nur dann niederstreckt, wenn Frido und Paul in Obhut ihrer Großeltern sind. Dann hänge ich einen Nachmittag herum und trinke Fencheltee, esse trockenes Brot, träume nachts zehn Mal nacheinander denselben Blödsinn und bin am nächsten Morgen wieder fit. Mit den Pannen, scheint es ähnlich zu sein, unberufen, möge es so bleiben.

Ich hatte den ganzen Tag mit pestkranken Erfurtern des Jahres 1683 verbracht, also am Schreibtisch, und es wurde immer kälter. Ich litt Hunger wie sie (denn die Bauern brachten nichts mehr in die Stadt, und ich hatte mich seit dem Frühstück nur von Kaffee ernährt), also führte ich die Kälte aufs Thema und die Erschöpfung zurück. Ich wollte soviel wie möglich schaffen an dem Tag ohne die Jungs! Aber die Heizkörper selbst waren kalt, und am Heizgerät leuchtete eine rote Lampe, die ich nicht kannte. Ich rief, da es ein Samstagabend war, sofort den Notdienst an. Der Mann hatte einen netten holländischen Akzent.

Er fand ziemlich schnell heraus, dass der Glühzünder defekt war. „Das ist wohl länger nicht gewartet worden?“ Er zeigte mir die brüchige, rostige Halterung des Zünders. „Zehn Jahre?“ Ich holte eine Rechnung. Zuletzt war der Glühzünder vor zwei Jahren ausgetauscht worden, für alles in allem 85 Euro. „Hm“, sagte Herr van Rijn, denn so hieß er, wie Rembrandt. Zahlreiche Holländer tragen berühmte Namen, es ist halt ein kleines Land, dessen Goldenes Zeitalter so viele Leuchten hervorbrachte, dass dort bis heute jeder zweite Leuwenhoek oder Ruisdael oder Huygens oder Rubens heißt. „Hm“, sagte also Herr van Rijn.

Dann holte er einen neuen Glühzünder aus dem Wagen und stellte fest, dass der keine Fassung hatte. Also musste er wieder die alte, rostige nehmen. Das hatte sein Vorgänger wohl auch schon getan, damit war für ihn das Rätsel gelöst. Es komme auch gar nicht so auf die Fassung an, meinte er und schraubte. Fluff, das Gerät ging an, na bitte. Wenn Frido und Paul kommen, ist alles schön warm wie immer. Hätte ich am Montag angerufen, dann wäre frühestens am Donnerstag jemand gekommen, sagte er, ich könne von Glück sagen. Jetzt bin ich gespannt auf die Rechnung. Zuletzt nahm die Firma 42 Euro pro Stunde.

Wenn das mein durchschnittlicher Stundensatz als Freischaffender wäre, hätte ich den Stall schon längst zum Konzertsaal umgebaut. Dabei kann ich das bisschen, was ich kann, auch nicht schlechter als van Rijn, egal welcher. Aber darüber zerbrach ich mir jetzt nicht den Kopf. Ich war dankbar. Die Heizung war in genau dem Moment erkaltet, als auch der Glühzünder in meinem Kopf nicht mehr konnte, und wieder warm, ehe mich die Panik vorm Nachtfrost packen konnte. Die Panne hatte mich für heute von der Pest erlöst und mir den goldenen Boden des Handwerks gezeigt. Was will man mehr?

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Venedig wäre eine prima Alternative

Einen Berufswunsch werden Frido und Paul bestimmt niemals äußern, nämlich Journalist zu werden, oder jedenfalls irgendein Schreiber. Sie hassen meinen Job. Besonders jetzt, da ihre Mama ihrem Beruf für Wochen ganz woanders nachgeht und sie ganz auf mich angewiesen sind. Sie lieben Bücher und Geschichten, aber schon Zeitungen sind eher problematisch. Ich kann den Tag nicht beginnen, ohne wenigstens ein paar Seiten querzulesen, während die beiden sich auf dem Bett tummeln. Nur absolute Notfälle – Kometeneinschläge oder ein umstürzender Kaffeebecher – können mich davon abbringen.

Ihnen wäre es lieber, ich würde auch Höhlen aus Bettdecken bauen oder Bilderbücher vorlesen, aber das geht nur am Wochenende, wenn wir nicht um acht zum Kinderhaus aufbrechen. „Und wieso fahren wir nicht später los?“ „Weil ich arbeiten muss. Ihr würdet euch schrecklich langweilen mit mir“, sage ich und verschweige, dass eh keine Zeile zustandekäme, wuselten sie hier oben in meinem Arbeitszimmer herum. Wir haben es ausprobiert. Paul zerlegte mein Stapelarchiv (ich nenne es „open source“, weil das Zeug längst nicht mehr in Schubladen passt und den ganzen Raum okkupiert), Frido quengelte.

Mein Arbeitszimmer ist also keine Wunderkammer, sondern der Raum, der mich ihnen entzieht. Ich glaube, sie verabscheuen sogar das Knarren der schmalen hölzernen Treppenstufen, das Geräusch meines Entschwindens, wenn nachmittags die nette Babysitterin kommt und ich schon wieder keine Zeit zum Spielen habe, weil ich am Vormittag nicht nur recherchiert und organisiert und geschrieben, sondern auch geputzt und eingekauft, eine Lampe repariert und die Betten gemacht habe, weil die Nacht nur sechs Stunden dauerte und mittags eine Siesta fällig war. Was sie mögen, ist, wenn ich Bratsche übe.

Dabei muss ich nämlich nicht allein sein und komme nach unten. Wenn ich mich mit ein paar Etüden fit mache und Stücke nach schweren Stellen absuche, kann Paul ruhig mitsingen oder sogar Trommel, Xylophon und Klavier traktieren, und Frido genießt es, in der Nähe mit einem Comic herumzuliegen. Da wissen sie wenigstens, was ich mache. Ein Instrument, eine Bewegung, ein Ton. Aber schreiben? Da sitzt ihr Papa am Laptop und tut kaum etwas, wie es scheint. Er guckt auf Schirm und Papiere, ab und zu tappert sein Zeigefinger über die Tastatur, und was dabei herauskommt, ist für sie nicht interessant.

Das Laptop ist nur interessant, wenn ich es abends herunterbringe und wir vorm Zubettgehen ein paar Clips mit Maus und Elefant gucken oder sogar einen ganzen Film darüber, wie ein Schiff gebaut wird oder wie Bonbons hergestellt werden. Manchmal habe ich aber tagsüber so viel ins Laptop gestarrt, dass ich erkläre: „Heute will ich das nicht mehr sehen. Ich lese euch was vor.“ Das akzeptieren sie. Und Frido weiß auch, dass alles, was man vorlesen kann, erstmal geschrieben werden muss. Aber reicht es nicht, wenn das andere Leute machen? „Papa, du sollst nicht schreiben“, findet er. „Du sollst mit mir nach Venedig fahren.“ Voll erwischt! Das täte ich jetzt auch am liebsten.

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