Einen Berufswunsch werden Frido und Paul bestimmt niemals äußern, nämlich Journalist zu werden, oder jedenfalls irgendein Schreiber. Sie hassen meinen Job. Besonders jetzt, da ihre Mama ihrem Beruf für Wochen ganz woanders nachgeht und sie ganz auf mich angewiesen sind. Sie lieben Bücher und Geschichten, aber schon Zeitungen sind eher problematisch. Ich kann den Tag nicht beginnen, ohne wenigstens ein paar Seiten querzulesen, während die beiden sich auf dem Bett tummeln. Nur absolute Notfälle – Kometeneinschläge oder ein umstürzender Kaffeebecher – können mich davon abbringen.
Ihnen wäre es lieber, ich würde auch Höhlen aus Bettdecken bauen oder Bilderbücher vorlesen, aber das geht nur am Wochenende, wenn wir nicht um acht zum Kinderhaus aufbrechen. „Und wieso fahren wir nicht später los?“ „Weil ich arbeiten muss. Ihr würdet euch schrecklich langweilen mit mir“, sage ich und verschweige, dass eh keine Zeile zustandekäme, wuselten sie hier oben in meinem Arbeitszimmer herum. Wir haben es ausprobiert. Paul zerlegte mein Stapelarchiv (ich nenne es „open source“, weil das Zeug längst nicht mehr in Schubladen passt und den ganzen Raum okkupiert), Frido quengelte.
Mein Arbeitszimmer ist also keine Wunderkammer, sondern der Raum, der mich ihnen entzieht. Ich glaube, sie verabscheuen sogar das Knarren der schmalen hölzernen Treppenstufen, das Geräusch meines Entschwindens, wenn nachmittags die nette Babysitterin kommt und ich schon wieder keine Zeit zum Spielen habe, weil ich am Vormittag nicht nur recherchiert und organisiert und geschrieben, sondern auch geputzt und eingekauft, eine Lampe repariert und die Betten gemacht habe, weil die Nacht nur sechs Stunden dauerte und mittags eine Siesta fällig war. Was sie mögen, ist, wenn ich Bratsche übe.
Dabei muss ich nämlich nicht allein sein und komme nach unten. Wenn ich mich mit ein paar Etüden fit mache und Stücke nach schweren Stellen absuche, kann Paul ruhig mitsingen oder sogar Trommel, Xylophon und Klavier traktieren, und Frido genießt es, in der Nähe mit einem Comic herumzuliegen. Da wissen sie wenigstens, was ich mache. Ein Instrument, eine Bewegung, ein Ton. Aber schreiben? Da sitzt ihr Papa am Laptop und tut kaum etwas, wie es scheint. Er guckt auf Schirm und Papiere, ab und zu tappert sein Zeigefinger über die Tastatur, und was dabei herauskommt, ist für sie nicht interessant.
Das Laptop ist nur interessant, wenn ich es abends herunterbringe und wir vorm Zubettgehen ein paar Clips mit Maus und Elefant gucken oder sogar einen ganzen Film darüber, wie ein Schiff gebaut wird oder wie Bonbons hergestellt werden. Manchmal habe ich aber tagsüber so viel ins Laptop gestarrt, dass ich erkläre: „Heute will ich das nicht mehr sehen. Ich lese euch was vor.“ Das akzeptieren sie. Und Frido weiß auch, dass alles, was man vorlesen kann, erstmal geschrieben werden muss. Aber reicht es nicht, wenn das andere Leute machen? „Papa, du sollst nicht schreiben“, findet er. „Du sollst mit mir nach Venedig fahren.“ Voll erwischt! Das täte ich jetzt auch am liebsten.
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