Kategorie-Archiv: Kolumne

Autarkie, jetzt oder nie

Maschinen haben uns im Griff. Alle klagen darüber, trotzdem glaubt es irgendwie keiner so richtig, denn man fühlt es ja nicht direkt. Meistens. Wenn man nicht einen Rasenmäher hat wie ich, einen, den man nicht abstellen kann. Das Gerät hasst Warmstarts. Wer eine kleine Pause machen will, dem wird von dem alten roten Benziner eine große Pause aufgezwungen, 30 Minuten mindestens. Wer ihn anschmeißt, muss am Stück mähen. Perpetuum mobile. Das Ding zieht den Gärtner hinter sich her wie der Rottweiler den Pensionär.

Und damit ging ich nun ans Werk, obwohl mir die Aufsichtspflicht über zwei Jungs von zwei und fünf Jahren oblag. Ich erklärte Frido und Paul, dass es sein müsse und sie solange Wasser aus der Regentonne holen und ein paar Beete bewässern könnten. Das taten sie auch erstmal. Vermutlich. Ich muss es vermuten, weil ich auf der Ostseite des Hauses anfing, die Regentonne aber auf der Westseite steht. Der Mäher brüllte, Frido erschien. „Was macht Paul?“ rief ich. „Er spielt im Sandkasten“, sagte Frido und setzte sich ins gemähte Gras.

Ich beeilte mich, zum Südteil vorzudringen, von wo aus man den Sandkasten sieht, fräste dort eine Schneise am Staudenbeet und sah, wie sich Paul erhob und im Haus verschwand. Mist. Wenn er nun in mein Zimmer kletterte… Aber da kam er schon wieder heraus, in den Händen eine Tüte Apfelsaft und einen Becher, und stellte sich an den Gartentisch. Ich drehte lärmend meine Runde im Westteil und schob wieder nach Osten. Dort hatte Frido begonnen, eine Steinreihe durchs Gras zu legen. Vom Haus zum alten Kirschbaum. Schön.

Wieder eine Kurve nach Westen. Wo war Paul? Da kam er aus dem Haus, erneut einen Becher in der Hand, einen kleineren, in den er jetzt Saft goß, um ihn auszutrinken. Er hatte offenbar eine Bar eröffnet, deren Keeper und Kunde er war. Wenden. Die Steinreihe wuchs langsam, mit großer Sorgfalt wählte und legte Frido die handgroßen Granitbrocken, die er von der Hauswand holte. Er war jetzt im „Flow“, jener kreativen Stetigkeit und Konzentration, ohne die Kunst nicht entstehen kann und die auch dem Rasenmähen zuträglich ist.

Mir gefielen die Mähnähte, die sich parallel durchs Gras schwangen. Paul hatte inzwischen Becher in jeglicher Größe vor sich, das ganze Spielküchensortiment bis zum Fingerhut. Er trank aus immer kleineren Gefäßen. Auch ein Projekt! Just als ich wendete, stapfte er wieder ins Haus. Das war mir jetzt doch zuviel Risiko. Ich schnappte mir Bindfaden vom Gartentisch und band dem brüllenden Mäher Gashebel und Haltestange zusammen. Als ich ins Haus ging, kam mir Paul entgegen, mit neuer Saftbox. „Oh. Kommst du an den Kühlschrank ran?“

Er ging stolz an mir vorbei wie einer, der Besseres zu tun hat, als blöde Fragen zu beantworten. Er hatte den Kühlschrank sogar wieder richtig zugemacht. Ich nahm die letzten Runden in Angriff. Um sechs waren wir alle fertig! Frido und ich hatten unsere Land Art vollendet. Paul rülpste. „Prost“, sagte ich, „auf die Autarkie!“ „Aber Papso“, sagte Frido, „das heißt Antarktis.“

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Happy Birthday, Dr. Alzheimer!

Wer denkt bei Ferrari noch an Enzo, den Rennfahrer? Es gibt Personennamen, die Begriffe wurden. Sie haben sich losgelöst von ihren Trägern und stehen nur noch für bestimmte Errungenschaften. Den Arzt Alois Alzheimer, der heute vor 150 Jahren in Unterfranken zur Welt kam, muss man schon fast dafür bedauern, dass er als erster jene Erkrankung beschrieb, die derzeit 15 Millionen Menschen betrifft und zum Alltagswortschatz zählt. Wer hat nicht schon mal gesagt, „ich glaub, ich hab´Alzheimer“, nur weil er die Schlüssel nicht findet?

Das ist nicht zynisch. Wir malen diesen Teufel an die Wand, um ihn zu bannen. Je mehr man sich merken muss und will – Pincodes, Passwörter, Infoflut, hunderte E-Mails, und hatte ich dem Smartphone schon gesagt, dass es die Kaffeemaschine anstellen soll? – desto mehr vergisst man. Gemessen an den Anforderungen sind wir alle defizitär, und vielleicht tröstet es dabei sogar, dass Alzheimer ja auch ein Name für ein schönes fränkisches Bier sein könnte. So wie Barre in Ostwestfalen, nach Brauereigründer Ernst Barre benannt.

Dass man auch ohne Alkohol und Alzheimer den Kopf verlieren kann, motivierte 1789 den Revolutionspolitiker Joseph-Ignace Guillotin zur Einführung eines Geräts, in dessen Schatten er seither steht. Dagegen leistete der Engländer Charles C. Boycott unfreiwillig einen Beitrag zu gewaltfreier Politik. Als Gutsverwalter in Irland unangenehm aufgefallen, wurde er 1880 von allen Pächtern gemieden. Seither heißt jede Ächtungsaktion Boykott. Ein solcher könnte die Bahn dazu bringen, den „Wuermeling“ wieder einzuführen.

Franz-Joseph Wuermeling setzte als Minister unter Adenauer anno 1956 eine DB-Fahrpreisermäßigung für Familien mit mindestens drei Kindern durch. Der Volksmund machte aus der Bescheinigung wahlweise „Karnickelpass“ oder eben „Würmeling“. Und noch bis 1999 reisten Kinder von 10 bis 18 für die Hälfte, es gab sogar eine „BahnCard Wuermeling“. Das haben die Bahnchefs längst vergessen. Kinderreiche Familien sind in der geriatrischen Festung Europa ohnehin selten geworden. Alzheimer selbst gründete noch eine.

Nachdem nämlich sein erster Patient der neurodegenerativen Erkrankung erlegen war, verliebte er sich in dessen Witwe und bekam mit ihr drei Kinder. Das war nicht wirklich ein Triumph der Medizin, aber immerhin vorweg eine Entschädigung für den schaurigen Ruhm, den der Name heute genießt.

Dieser Text erschien am 14.6.14 auch in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und im Tagesspiegel und ist urheberrechtlich geschützt

Stubenhocker und Heckenschere

Was tun, wenn man so viel zu tun hat, dass die Zeit nicht reicht? Manche Leute beherrschen das time management und kommen gar nicht erst in solche Lagen. Andere zerteilen mutig den Wust der Aufgaben und fangen einfach mal an. Ich neige dagegen zur Notabschaltung und mache erstmal, worauf niemand wartet, was keiner bezahlt, was kompletter Luxus ist und möglichst weit vom Schreibtisch entfernt. Zum Beispiel das, was ich großspurig unseren Pavillon nenne. Der fiel mir ein, als ich zu vier Themen gleichzeitig recherchierte und nicht mehr wusste, ob ich gerade im Thüringen des 17. Jahrhunderts war oder bei Richard Strauss oder… was war da noch?

Genau, der Pavillon. Steht im Garten auf einem schmucken gepflasterten Platz, den ich natürlich Piazza nenne, und ist nichts weiter als ein Holzgerüst, über das bis zum vorigen Dezember eine völlig vermooste Plane gespannt war. Wegen Xaver, dem Sturm, der dann doch über der Nordsee blieb, hatte ich sie abgenommen. Das Gerüst war ebenfalls angemoost und unansehnlich, neue Wetterschutzfarbe musste drauf, also fing ich an zu schmirgeln. Drei Stunden schmirgelte ich und war sehr zufrieden. Aber die Ansprüche wuchsen. Das muss nachgeschmirgelt werden, fand ich anderntags. Und machte weiter.

Dabei stellte ich fest, dass ein paar Bodenbalken durchgefault waren. Ich fand im Stall perfekte Teakholzbretter, von denen mir meine Mitbewohnerin später erklärte, dass sie zu einem kostbaren Designerregal der 60er gehören, sägte sie zurecht und verschraubte alles so professionell, dass bis zum Anstrich schon insgesamt sieben Stunden dahingegangen waren. Unterdessen malten die einen Nachbarn ihre Fenster an, die andern mähten den Rasen, die dritten spalteten Holz für den nächsten harten Winter, von fern hörte man ein Trio für zwei Hunde und eine Kreissäge, kurz, das ganze Dorf war unbezahlt im Freien tätig.

Sowas motiviert. Nach dem Anstrich (drei Stunden) fand ich, nun müsse auch der Steintisch mal gründlich gereinigt werden. Dann vergingen ein paar Tage, in denen meine Forschungen zu Thüringen im 17. Jahrhundert, zu Richard Strauss und mittlerweile drei weiteren Themen immer wieder vom Gedanken an die Plane durchkreuzt wurden. Die konnte man doch unmöglich vermoost, wie sie war, auf dieses herrlich restaurierte Gerüst spannen! Gestern holte ich sie. Drahtbürste, Gartenschlauch, stumpfes Messer zum Abkratzen, zwei Stunden, erstaunlicher Erfolg. Ein leuchtendes Blau kam zum Vorschein.

Aber zwei Drittel sind noch matschgrüngrau, da stecken noch vier Stunden Arbeit drin. Dann bin ich bei sechzehn Stunden! Unbezahlt! Die Recherchen warten! Darum habe ich mir ausgerechnet, dass ich durchs Selbstverschönern mindestens 560 Euro Handwerkerkosten spare. Und mir eingeredet, dass ich am Schreibtisch besser vorankomme, wenn draußen ein schöner Pavillon steht. Und eine Heckenschere ausgeliehen, weil die Buchsbaumhecke neben dem Pavillon ja unmöglich so struppig bleiben kann.

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