Kategorie-Archiv: Kolumne

Hoffnungsträger in Pyjamas

Rex Kramer hieß er! Soeben rausgefunden. Gefahrensucher Rex Kramer! Weit, weit werden wir zurückkatapultiert in die 70er, in ein Land vor dieser Zeit, in eine Welt freier, politisch inkorrekter Menschen, zu einem Woody Allen, der noch witzig war… und das alles wegen Paul. Seit seinem zweiten Geburtstag scheint er sich für die Laufbahn eines Gefahrensuchers entschieden zu haben. Von jeher kühn, will er es nun wirklich wissen und setzte sich jüngst eine Holztonne auf den Kopf, um halbblind durch die Wohnung zu stapfen.

Er trug einen Pyjama und rote Filzschuhe mit Elefantendekor und streckte die Arme aus wie jemand, der einen Schlafwandler karikiert und dabei von Bill Watterson gezeichnet worden ist, dem Erfinder von Calvin und Hobbes. Dumpfe Juchzer drangen unter dem Holz hervor, während das kleine Wesen mit dem Tonnenkopf knapp Herd und Tisch touchierte. Während ich mich erhob, um seine Route zu sichern, erschien der nächste Deformierte. Frido hatte in seiner Werkstatt einen Legostein inhaliert, der nun seine Nase ausbeulte.

„Ich will, dass das da rauskommt!“, jammerte er. Nur keine Panik, dachte ich und sah uns an diesem grauen Sonntagvormittag schon in der Klinik sitzen. „Halt mal dein rechtes Nasenloch zu. Tief durch den Mund einatmen. Luft anhalten! Und jetzt durch die Nase ausstoßen!“ Pffft – plopp. Das blaue Steinchen schoss über den Tisch, Frido sah mich an wie einen, der jedes Problem lösen kann. Unterdessen hatte Paul in der Waschküche den Altflaschenkorb vom Regal geräumt. Klirr. Scherb. „Jetzt reicht´s. Runter mit der Tonne!“

Als ich nach dem Fegen in die Küche zurückkam, war Frido in seiner Werkstsatt verschwunden, und Paul hatte ein Playmobilmännchen in den Toaster gesteckt. Es klemmte, darum war es ihm nicht gelungen, den Hebel herabzudrücken. „Soll das ein Witz sein?“ fragte ich ihn. „Heiß!“, sagte er und zeigte ernsthaft auf den Toaster. Und ich dachte: Gefahrensucher. Er ist ein Gefahrensucher. Woher nur kenne ich das Wort? War das nicht in einem Film von Woody Allen? Nicht ganz. Der Film wurde 1977 von John Landis gedreht: „Kentucky Fried Movie“.

Allen, damals 41, spielt in einer Episode einen Typen in einem lächerlichen, pyjamaartigen Kampfanzug, der sich einen Mopedhelm aufsetzt, als „Rex Kramer, Gefahrensucher“ vorgestellt wird und dann zu einer Gruppe Farbiger mit herrlichen Soulfrisuren hoppelt, die vor einer Mauer debattieren. Er stellt sich zwischen sie, ein schmächtiges Bürschlein, brüllt „NIGGER!“ und läuft weg. Sie reagieren zuerst erstaunt und setzen ihm dann fast etwas pflichtbewusst nach. Wir fanden das so um 1980 im Programmkino sehr witzig, und das ist es noch immer. Und außerdem so locker, human und souverän, dass man sich in den 2010ern plötzlich wie im klammen Mittelalter vorkommt.

Für die Zukunft setze ich daher meine Hoffnungen auf Gefahrensucher wie Paul, dem ich das erhellende Wiedersehen mit Rex Kramer auf youtube verdanke.

Der Text ist urheberrechtlich geschützt

I read the news today, oh boy…

25 Cent und 58,4 Millionen Dollar. Man kann die beiden Beträge nicht vergleichen, die an ein und demselben Tag in der Zeitung zu finden sind. Sie haben auch gar nichts miteinander zu tun. Oder? 25 Cent erhält Namanvu Luganywa, eine 38jährige Frau im Kongo, wenn sie den ganzen Tag lang im Bachbett gekauert, mit einer durchlöcherten Blechschüssel den Schlamm durchsiebt und genug von den Steinchen gefunden hat, Zinnerz, ohne das man kein Smartphone bauen kann, keinen Computer. 25 Cent am Tag. Dafür, so die „Süddeutsche“, kann sich die Frau drei fritierte Hefeteigbällchen kaufen.

58,4 Millionen Dollar. Soviel hat jetzt ein Kunstsammler dem Auktionshaus Christie´s in New York für einen Hund aus Blech bezahlt, den tonnenschweren „Balloon Dog“, von Jeff Koons den Luftballons nachgebildet, die von Straßenhändlern zur Hundeform verknotet werden, vier Ballons für die Beine, einer für den Rumpf und so weiter. Die F.A.Z. schreibt dazu in leise verzweifelter Ironie: „Das Geld muss halt irgendwo hin.“ Immer mehr Menschen haben so viel Geld, dass sie tatsächlich nicht zu wissen scheinen, wohin damit. Privatjets sind nicht teuer genug, und jeder hat schon einen.

Jedenfalls jede dieser Lichtgestalten, die durch Fleiß, Genie, Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen sowie Investionen in nachhaltige Energien und den Kampf gegen den Hunger zweifellos jeden Cent verantwortungsvoll verdient haben, der zu ihrem Milliardenvermögen zählt, sorry, kleiner Witz. Natürlich ist es denen sehr recht, dass es auf ihrer Vermögensetage tatsächlich soziale Gestalten wie Joanne K. Rowling und Bill Gates gibt. Und natürlich weiß trotzdem jeder, dass bei Christies, unter anderem, der gigantische Mehrwert jener Steinchen über den Tisch geht, von dem bei Frau Luganywa nichts landet.

Dieser Mehrwert plus die Summen, die man ihm durch legale und heimliche Zockereien noch zusätzlich entlocken kann, erreichen Dimensionen, in denen sich die Leute sozusagen die Wertgegenstände ausdenken müssen, die sie noch reizen können. Wenn es dabei ein blöder Hund von Koons auf 58,4 Millionen bringt, ist das Geld, kunsthistorisch gesehen, verbrannt. Denn seinen Wert bezieht das Designobjekt zu 99,7 Prozent aus den Projektionen des Marktes, es bleiben 0,1 Prozent lustiger Einfall, 0,1 Prozent Materialwert und 0,1 Prozent Symptomkraft, immerhin sagt der Ballonhund etwas über unsere Zeit.

Er besteht aus Blasen, die nicht platzen können. Dass Koons´ Kunst trotzdem eine solche Blase ist, ändert nichts daran, dass auch grandiose Werke aus der Öffentlichkeit verschwinden, für noch mehr Geld. 142,2 Millionen Dollar wurden für Francis Bacons „Three Studies of Lucian Freud“ bezahlt. Kein Museum könnte das bezahlen – schon weil den Museen jene Steuergelder fehlen, die die Geldvermehrer gar nicht erst entrichten. So checken wir zwischen Frau Luganywa und anonymen Oligarchen ratlos unseren Kontostand und freuen uns, dass die Sonde Cassini wunderschöne Fotos vom Saturn gefunkt hat. Wenigstens da draußen scheint die Menschheit Fortschritte zu machen.

Der Text ist urheberrechtlich geschützt

Die Welt ist nicht genug

Nicht, dass Frido seinem kleinen Bruder nichts gönnt! Aber viele Geschenke für den einen und keines für den anderen, das geht gar nicht, wenn der andere erst vier Jahre alt ist. Also lag auch für den Älteren ein Paket bereit, als wir zu Pauls zweitem Geburtstag ein Lied sangen und den Festsaal betraten. Übrigens war Frido seinerseits nicht unvorbereitet. Ein paar Geschenke hatte er sich sicherheitshalber selbst gemacht mit dem Hinweis, er sei jetzt Findus und habe wie dieser Kater drei Mal im Jahr Geburtstag, zufälligerweise auch heute.

Findus bekam also von Frido einige Feuerwehrfahrzeuge aus Lego, kühn und sinnreich entworfen, eines mit drehbarer Leiter, eines mit Düsenantrieb, eines doppelstöckig. Und für Paul hatte er Fahrzeuge aus Baufix zusammengeschraubt und in Zeitungspapier eingewickelt. Unser Buch kam gut an, denn es fehlte noch in seiner Findus-Sammlung. Einfach wurde es trotzdem nicht. Paul verstand das mit dem Geburtstag noch nicht, aber durchaus, dass das fast alles für ihn war, was da wartete. Seit einiger Zeit ist das Wort „meiner“ sein wichtigstes.

Er fand indessen das Auspacken so herrlich, dass ihn die Geschenke selbst gar nicht so interessierten. Er riß kleine Fetzen vom Geschenkpapier und reichte sie mir feierlich zur Verwahrung. War ein Geschenk enthüllt, wandte er sich dem nächsten zu, während Frido die Sachen näher in Augenschein nahm. Ein Traktor aus Holz, ein Buch mit Klappfiguren, ein Anhänger für den Traktor. „Ein schöner Anhänger“, sagte er im Ton des Sachkundigen, „den kann man kippen.“ Dann führte er Paul vor, wie man die Teile aus dem neuen Baukasten zusammenstecken konnte. Aber der fand einen Luftballon viel interessanter.

„Kriegt Paul noch mehr Geschenke?“, erkundigte sich Frido besorgt, denn es wurden ein paar Gäste erwartet. „Kann schon sein“, sagte ich, „aber wenn du Geburtstag hast, dann kriegst DU viele Geschenke und Paul nicht. So ist das nun mal. Und vorher ist sogar noch Weihnachten. Außerdem hast du ja das Findusbuch gekriegt.“ „Und die Feuerwehrfahrzeuge!“, erinnerte er mich. „Genau!“, rief ich, „drei fantastische Fahrzeuge!“ „Aber das REICHT mir nicht!“, brach es aus ihm heraus. Zwischen Einsicht und Empfinden liegen nun mal Welten. Ich weiß das von mir selbst, vergesse es aber immer gern.

Irgendwie ging es dann doch noch ganz gut. Der Kuchen war begehrt und reichte für alle. Was noch so an Geschenken kam, ging im Trubel von sieben Kindern unter. Die drei ältesten, darunter Frido, zogen sich irgendwann zurück und durften nicht gestört werden, schon gar nicht von Paul, dem sie die Tür vor der Nase schlossen. „Fido bött!“, sagte er beleidigt, was „Frido ist blöd“ bedeutet. Aber richtig wütend war er nicht. Abends hielt er seinem Bruder die Geburtstagskrone hin. „Fido bittäh!“ Der probierte sie aus. „Die ist mir zu klein“, sagte er und plazierte sie liebevoll wieder auf Pauls Haupt. So hat der kleine König dann noch unangefochten bis zum Schlafengehen regiert.