Kategorie-Archiv: Kolumne

Die volle Drohnung

Alle wollen jetzt Drohnen haben, sogar die Deutsche Bahn. Sie könnten im Winter den ICEs vorausfliegen, mit gezielten Feuerstößen die Gleise vom Schnee befreien und eingefrorene Weichen auftauen. Wenn doch mal ein Zug steckenbleibt, kann die über ihm schwebende Drohne reizvolle Luftaufnahmen der Umgegend in den Zug senden und den Passagieren die Zeit vertreiben. Für diesen Service werden die Fahrpreise um 150 Prozent erhöht, aber soviel ist der Fortschritt wert. Halt, Quatsch, Blödsinn! Die Bahn ist doch nicht bescheuert. Sie will Drohnen haben, stimmt, aber nur ganz kleine, für die Jagd auf Graffitisprayer. Mit Wärmebildkameras sollen sie über den Abstellgleisen schweben, wo die Künstler ohne Auftrag gern Waggons dekorieren.

Ist die Bahn wirklich noch im Gleis? Das Entfernen der Spraykunst kostet im Jahr 7,6 Millionen Euro. Ein kleiner Elektrohubschrauber mit Kamera kostet 60000 Euro. Wenn man mit 7,6 Millionen Euro solche Hubschrauber einkaufen geht, kriegt man 127 Stück, da sind aber die Wartungskosten noch nicht mit drin, auch nicht die Wachmannschaften, die losziehen sollen, wenn sie von der Drohne auf einen in kreative Hitze geratenen Sprayer aufmerksam gemacht worden sind. Der Sprayer wird dann festgehalten, bis die Polizei kommt, so der Plan. Das setzt voraus, dass der Sprayer die Drohne über sich gar nicht bemerkt und brav weiterarbeitet, bis der Wachmann sich hinter ihm räuspert. Und kommt man, alle Abstellgleise zusammengerechnet, mit 127 Drohnen aus?

Wer diese Pläne für sparsam hält, muss schon ziemlich zugedrohnt sein, aber das sind offenbar alle, die der Faszination autarker Fluggeräte erliegen. Was sind schon 60000 Euro neben den 508 Millionen, die Deutschland für einen halbblinden Großflieger bezahlt hat? Nicht gerechnet den Auftritt der Militärkapelle zur Ankunft sowie 54 Millionen Euro für Flugtests. Das sind Zahlen, die beflügeln! Wenn man über sich so ein Gerät taumeln sieht und weiß, darin stecken umgerechnet 30000 Kitaplätze oder zehn Jahresetats eines Staatstheaters samt Orchester, Schauspiel und Ballett, muss man sich um die Zukunft doch nicht sorgen. Super, wieviel Geld so da ist! Die volle Drohnung! Warum also soll nicht auch die Bahn ein paar Fliegerle kaufen?

Ich bin aber für ein angstfreies Verhältnis zwischen Drohne und Sprayer. Seine Arbeit am Zug könnte live ins Internet übertragen und dort sofort von einer Jury bewertet werden. Offensives Fensterzuschmieren und monotones Tagging führen zum Einsatz der Wachmannschaft („Signature Strike“), kreative Ansätze zum Abwurf von PR-Material („Target Strike“), in dem der Sprayer auf Ausstellungsmöglichkeiten und Bildungsmaßnahmen bis hin zur Kunsthochschule aufmerksam gemacht wird. Die besten Sprayer werden zusätzlich eingeladen, weltweit Großdrohnen bunt zu machen und damit fit für den zivilen Einsatz – Verkehrsregelung, Katastrophenhilfe, Almabtrieb. Und, wie gesagt, Schnee vom Gleis ballern. Vielleicht doch nicht so bescheuert…

Mungos mögen nicht nur Mangos

Mango, Mingo, Mungo“, sagte Frido und griff sich noch eine gelbe Schnitte. Er und Paul lieben Mangos, Frido besonders, seit er feststellte, dass der Kern einer Mango Ähnlichkeit mit dem Faustkeil der Höhlenmenschen hat. „Mungo?“, sagte ich, „Mungos gibt es wirklich.“ „Kann man die essen?“ „Es sind Tiere. Menschen essen keine Mungos. Die sind froh, wenn Mungos in der Nähe sind. Mungos fressen nämlich Giftschlangen.“ Hätte ich mir das mal verkniffen. Jetzt wollte er alles über Mungos wissen. Ob sie auf vier Beinen laufen. Wie groß sie sind. Und ob sie auch Mangos essen. „Da muss ich mal nachgucken.“ Die Größe schätzte ich erstmal auf etwas über Katze.

Am nächsten Tag erwachte Frido als „Giftschlangenfresser“. „Du meinst, du bist heute ein Mungo?“ „Ja. Ich tue auch ein paar Giftschlangen in meine Tasche.“ Ich erklärte ihm, dass sich Mungos keine Vorräte toter Schlangen anlegen, um sie mit in den Kindergarten zu nehmen. Er müsse die Schlangen im Wald jagen. „Aber Giftschlangen gibt es nicht wirklich, oder?“ „Doch, aber nicht bei uns, jedenfalls keine ganz gefährlichen. In Indien gibt´s die. Da leben auch die Mungos.“ Als er abends nicht baden wollte, fiel mir nur ein doofer Elterntrick ein, Bestechung. „Wenn du gebadet hast, könnten wir mal im Laptop gucken, ob es was über Mungos gibt.“

Er war umgehend im Wasser und rief: „Einen Mungofilm!“ „Mal schauen.“ Dann trafen wir uns auf dem Sofa. Erstmal las ich nach, dass die Tiere 35 Zentimeter lang werden, plus Schwanz, und dass sie außer Schlangen, Skorpionen, Eidechsen und Vögeln auch Obst mögen, „also wahrscheinlich essen sie auch Mangos.“ Man kennt die Menschen schlecht, wenn man glaubt, dass auf Youtube Filme zu finden sind, die Mungos beim Obstverzehr zeigen. Natürlich geht es ums Drama. „Cobra vs. Mongoose“, das wird als erstes angezeigt. Mir wurde schon beim Startbild blümerant.

Die Schlange biegt sich da mit aufgeblähtem Hals und prägnantem Brillenmotiv dem possierlichen Pelztier entgegen. „Also…“ sagte ich, „ich gucke vielleicht mal weiter…“ „Nein! Das da!“ Uff. Play. Der Kampf begann, und ich übersetzte, was der Sprecher erzählte. Dass Kobras scheu sind und gern ihre Ruhe haben. Dass der Mungo sie ärgert, und dass sie ihn beißen will. „Er lässt sich aber nicht beißen. Sonst ist er tot. Er weicht immer wieder aus, weil er sich wahnsinnig schnell bewegen kann. Das kennt die Schlange nicht. Normalerweise schnappt sie zu, und dann ist Schluss. Wenn es länger dauert, wird sie müde. Dann schnappt der Mungo zu.“

Jetzt hoffte ich, dass das auch glückte, sonst würde mein frisch gebadeter Mungo die Nacht nicht in seinem Bett verbringen. Nach zwei Minuten, die mir wie zehn vorkamen, war die Kobra zur Delikatesse geworden. Natürlich ist das nichts für Vierjährige. Aber ich habe viel gelernt. Und Frido erwachte am nächsten Morgen als ausgeglichener Klammeraffe. Der Mango blieb er treu.

Der Text erschien am 11.5.13 in der HAZ und ist urheberrechtlich geschützt

Wrooomm! Wir fahren nach Hannover

Was ist denn das für eine Schlaftablette?!“ Vor mir kroch ein Ferrari durch Gehrden. Mit 35 Stundenkilometern. So ist Gehrden. Gerade jetzt hatte ich nicht die Zeit, mich auf das Tempo des Städtchens einzulassen. „Warum sagst du Schlaftablette“?“ erkundigte sich Frido interessiert von hinten. „Weil ich euch rechtzeitig bei Oma und Opa abliefern will, damit ich meinen Zug kriege, und… das darf doch nicht wahr sein! Soll ich dich über die Kreuzung tragen?… Ahhh!“ „Warum sagst du ahhh?“ „Weil dieser Schwa… dieses Auto vor uns endlich abgebogen ist.“ Ich ließ Emmas Triebwerke aufheulen und überwand die extreme Gehrdener Gravitation. Wrooommm…

Paul schrie. „Gibst du ihm was von den Mangos ab?“ „Das sind meine.“ „Ich weiß, aber er schreit sonst die ganze Zeit.“ Wenig später hörte ich Paul zufrieden schmatzen. „Danke“, sagte ich, über den Schnellweg schießend, „was soll DAS denn?“ „Ist das ein Stau?“ fragte Frido. „Ja. Ich verstehe nicht, warum die Leute immer gleichzeitig mit der Arbeit fertig sind. Und warum sie freitags bloß bis zwei arbeiten. Mist.“ „Wieso ist das Mist?“ „Weil…ah, na bitte. Nein, da ist schon der nächste. Hallo, Hallo! Nun bewegt euch doch mal!“ „Warum fahren die Autos nicht, wenn grün ist?“ fragte Frido.

„Sie können nicht alle gleichzeitig losfahren“, sagte ich. „Zuerst fährt der erste, dann hat der zweite Platz und fährt auch. Wenn der letzte dran ist, ist wieder Rot. So wie jetzt.“ Ich bremste. Paul verlangte Nachschub. „Gibst du ihm noch was von der Mango?“ „Paul kaut aber noch.“ „Egal. Gib ihm trotzdem was.“ Grün. „Was machst DU denn da!“ herrschte ich ein Auto an, das einen Spurwechsel in Zeitlupe vollführte. „Er kann dich nicht hören“, merkte Frido an. „Genau. Sonst würde ich auch nicht so schimpfen. Das machen viele Autofahrer so. Es ist völlig idiotisch, man wird davon nicht schneller … Nein, NICHT bremsen! Müssen die denn alle Auto fahren?“

Ich ließ Emma an ein paar Schlaftabletten vorbeihuschen und erklärte weiter: „Ich würde auch nicht schimpfen, wenn ich die Leute kennen würde. Wenn im Auto vor uns Lena säße oder der Vater von Friedrich, würde ich nicht sowas Fieses sagen… Also was soll das denn werden? Eine Stadtbesichtigung?“ Rathaus, fünf vor drei, jetzt noch bis Lister Platz, Parkplatz suchen, Übergabe, U-Bahn, ICE um 15.31, wie sollte das gehen? „Na sowas!“ „Warum sagst du na sowas?“ „Weil diese Ampel sonst nie grün ist!“ Emma tänzelte auf zwei rauchenden Reifen um den Emmichplatz und fuhr die Flügel aus.

Paul beschwerte sich. „Seine Mango ist runtergefallen“, sagte Frido. Die Bödekerstraße glitt als liquides Streifenmuster vorbei. Hyperraumsprung auf einen Parkplatz direkt vorm Haus. „Paul weiß gar nicht, dass wir gefahren sind“, behauptete sein Bruder, als wir ausstiegen. „Er denkt, Emma steht, und draußen bewegt sich etwas!“ Wenn das so wäre, spräche es ja für meine besonnene Fahrweise. Der Jüngste bilanzierte den Trip mit seinem Lieblingswort: „So!“

Der Text erschien am 27.4.13 in der HAZ und ist urheberrechtlich geschützt