Kategorie-Archiv: Kolumne

Das Schwein und der Stoßfänger

Kannst bequem nach hinten durchsetzen!“, hatte mein Freund vom Bürgersteig aus gerufen, mir beim Einparken helfend, im Dunkeln gegenüber einer Gaststätte. Dann war ich bequem nach hinten gerollt. KRAAACKS. Da stand ein Schwein aus Bronze, eine jener Verschönerungsmaßnahmen, die man in Fußgängerzonen eher erwartet als am leeren Stadtrand von Hannover. Es sollte wohl an die Tiere erinnern, die in dieser Gegend, als sie noch zum Land vor den Stadtmauern gehörte, Eicheln aus dem Schlamm geholt hatten.

Der Skulptur war nichts passiert. Das Schwein hatte sein hartes Bronzeohr in den seitlichen Heckbereich meines Autos gebohrt und ihn hochgebogen. Ich fuhr vorsichtig ein Stück nach vorn, bis Schwein und Auto sich trennten, ging mit meinem Freund ins Wirtshaus, ärgerte mich noch fünf Minuten lang und dann nicht mehr bis zum nächsten Tag. Da ärgerte ich mich sehr. Autos werden mittlerweile wie Spielzeug gebaut und aus möglichst großen Teilen zusammengesetzt. Darum genügte es hier nicht, ein Loch zu flicken.

Es ging darum, ein autobreites Kunststoffteil zu ersetzen, das „Stoßfänger“ heißt und neu um die 260 Euro kostet, die Montage nicht gerechnet. Ich hatte keine Lust, dem dussligen Bronzeschwein um die 300 Euro zu opfern. Das Heck wurde wieder fest ans Auto getreten und mit Klebeband verarztet. Dabei blieb es für anderthalb Jahre, in der wir das Auto nur selten in eine Waschanlage schickten, um das Klebeband zu schonen. Erzieherisch hochwertig dabei: Das Auto konnte für unsere Jungs nicht zum Fetisch werden!

Nicht mal den TÜV störte das mit Klebeband stabilisierte Heck. Aber irgendwann doch mich. Ich fragte in der Autowerkstatt, ob sie uns einen gebrauchten Stoßfänger besorgen könnten. Farbe egal, meinetwegen kariert. Das öde Silbermetallic, in dem derzeit 90 Prozent aller Autos lackiert werden, konnte einen Kontrast vertragen. Der Meister lachte fast verlegen, als sei ein farblich unpassendes Autoheck frivol, aber er machte sich auf die Suche. Es dauert lange. Insgeheim suchte er wohl doch etwas Passendes.

Dann rief er an. Für 120 Euro könne ich das Ding in Celle abholen, bei einer Autoverwertung. Gewerbegebiet an einem grauen Wintertag. Endlose Stapel von Unfallwagen, immer vier bis sechs übereinander. „Alles Unfälle ohne Personenschaden“, meinte der Verkäufer, „das ist das Wichtigste. Scheiß auf´s Auto, wenn der Mensch heile bleibt!“ „Stimmt“, sagte ich und betrachtete das Ersatzteil. Es war schwarz. Es würde fabelhaft zur Heckfensterumrahmung passen und den alten Wagen zum neuen Sondermodell machen.

Eineinhalb Jahre nach der Sache mit dem Schwein steht jetzt ein schicker silberschwarzer Wagen vorm Haus, frisch gewaschen. Kleine Dellen hier und da sieht man nun, ohne den Dreck, deutlicher, aber: Diese Solidität! Es tut doch gut. Man fühlt sich gleich selbst ganz solide und möchte das Haus neu streichen, sich das Rauchen abgewöhnen, auf grünen Tee umsteigen und wieder mit dem Joggen beginnen. Das ist natürlich zuviel auf einmal. Das werde ich auf eineinhalb Jahre verteilen. Diese Frist hat sich ja nun bewährt.

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Der Duft vom großen, breiten Geld

Endlich hatte ich mal wieder Probephiolen abgegriffen, Herrendüfte. Nicht zum Eindieseln, sowas mache ich nicht, ich benutze diese Elixiere nur für das Firnissen nach dem Weghobeln der Affenreste, vulgo Rasur. Tja, was nehmen wir denn da, Rabanne oder Davidoff? „1 Million“ stand auf dem kleinen Sprayer, die Begleitpappe zeigte ein Gefäß in Form und Farbe eines Goldbarrens. Peinlicher geht´s ja nicht. Sprühen und schnuppern, es war akzeptabel. Wenn auch, wie mir schien, mit einem Hauch Kaugummi in der Kopfnote. Also mehr die nostalgisch amerikanische Art von Reichtum.

„Riech mal“, sagte ich, „One Million von Rabanne. So duftet der Erfolg.“ Sie schnupperte am dargebotenen Kinn und warf mit einem Schrei den Kopf zurück. „Das ist ja entsetzlich! Du müffelst wie die Prolls im Erix!“ „Das muss diese Kaugumminote sein“, sagte ich verlegen. Erix, so heißt die Bahn, die die größeren Käffer von Hannover bis kurz vor Hamburg verbindet. Keine Gegend, in der man der Verfeinerung des Lebens großes Interesse entgegenbringt. Wir können froh sein, wenn da überhaupt mal ein Duft zum Einsatz kommt.

Nun musste ich also damit leben, dass meine Mitbewohnerin diesen Duft ablehnte. Pecunia non olet, heißt es ja, aber eine Million stinkt eben doch. „Du riechst komisch“, fand Paul. „Jaja“, sagte ich, „das wird schon wieder.“ Ich musste mir einfach eine ordentliche Kaffeefahne verschaffen, um das prollige Aroma aus den Werkstätten des Paco Rabanne niederzukämpfen. Während ich Kaffee machte, stellte Pauls Mutter fest, mein Hemd sitze ein bisschen eng. Naja, wenn infolge unmäßiger Schreibtischlerei das Gewichtheben entfällt…

„Das sind meine Seitentanks“, erklärte ich. „Ich brauche sie, um die Schwerkraft zu überwinden. Sobald ich meine neue Umlaufbahn erreicht habe, fallen sie ab und schweben herrenlos durchs All.“ „Dann kommt wahrscheinlich auch die Million herbeiflogen, nach der es hier so duftet“, sagte sie erheitert. Man muss sich schon einiges bieten lassen in den frühen Morgenstunden. „Was für eine Million?“, fragte Frido interessiert. „Kriegst du eine Million Euro? Ist das viel?“ „Ja, sehr viel.“ „Mehr als tausend?“ „Ja. Kriege ich aber nicht.“

Nein, ich muss mich mit Probepackungen begnügen, dem Duft vom großen, breiten Geld. Rabanne wird an mir keinen Cent verdienen, so viel steht fest. Obwohl ich zugeben muss, dass sich drei Stunden nach Anwendung die Kaugumminote von „1 Million“ geschmeidig ins Zitrusaroma integriert. Wenn ich dann noch die Schwerelosigkeit erreiche und die Seitentanks abfallen, ist alles wieder gut.

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Der Dachboden als Wunderkammer

Am Schluss habe ich dann noch Don Quijote und Sancho Panza rausgestellt. Sorry, Großvater! Irgendwann in seinem beinahe hundert Jahre langen Leben muss er sich die Holzskulpturen in Spanien gekauft haben. Als Leser hatte er einen gediegenen Geschmack, er bevorzugte die so genannte Weltliteratur, aber von Kunst verstand er nichts. Und so standen jahrzehntelang der Ritter von der traurigen Gestalt und sein dickbäuchiger Helfer in seinem Bücherzimmer, geschnitzter Kitsch, den keiner haben wollte, als der Hundertjährige sein eigenes letztes Kapitel beendet hatte.

Ich nahm mich der beiden Figuren an und stellte sie auf den Dachboden. Dort blieben sie zwölf Jahre lang, bis jetzt. Jetzt wird entrümpelt. Morgen kommt der Sperrmüll. Opas Skulpturen auf den Sperrnüll, bist du von Sinnen? Das hat niemand gesagt, aber ich habe es mich kurz gefragt. Bei Ebay reinstellen? In der Familie rumfragen? Im Dorf? Das Dorf hat 680 Einwohner, die wissen seit Tagen, dass ich am Straßenrand Gerümpel aufschichte. Einen alten Koffer hat sich schon jemand genommen, und einen Geigenkasten aufgemacht, ohne die erhoffte Stradivari zu finden.

Ha, die habe ich schon selbst abgestaubt… Schön wär´s. Aber man macht durchaus Funde bei so einer Entrümpelung. Gleich am Anfang fand ich eine Karte des Dichters Peter Rühmkorf, handgetippt, mit Zeichnung, an mich! Lang vermisst, für mich persönlich ein Kracher, auch wenn ich mir dafür keine Yacht kaufen kann. Mit so etwas gerät man da im Dämmerlicht zwischen Staubwolken auf lichte Höhen. Anderes reißt mich in eigene vergangene Alltage so zurück, als stöberte ich im Nachlass einer verschrobenen Type aus dem 19. Jahrhundert.

Für Paul und Frido ist es die reine Wonne, da oben stöbern zu dürfen. Ein Schatz nach dem andern! Ein leeres Kompasstäschchen, am Gürtel zu befestigen. Puppen aus den 60er Jahren, von denen ich ihnen alle Namen sagen kann: Ajax, Rago, Jule, Plups, Fips… die möchten sie alle den ihren vorstellen, vor allem der Charlotte und der Lina. Oh nein, ruft ihre Mama entsetzt, Milben! Also gut, nur ein paar dürfen mit runter. Die anderen – werden nicht entsorgt. Das geht einfach nicht. Frido sichert sich eine schwere, verbeulte Spiegelreflexkamera.

Außerdem hätte er gern das Bakelittelefon, drei alte Koffer, eine Bernsteinkette – die Kette darf er haben. Dafür kriegt Paul das komische Aufklappding, in dem sich drei Frösche bewegen würden, wenn das Federwerk noch ginge. Sie finden vier kleine Hubschrauber zum Aufziehen, einer funktioniert noch, anno 1995 in Leipzig erworben. „Warum hast du so viele Hubschrauber gekauft?“, fragt Frido. „Weil sie so billig waren. Ich dachte, wer weiß, wozu sie mal gut sind.“ „Damit wir sie jetzt finden!“, sagt er strahlend. Ja, vielleicht war das der Sinn der Sache.

Aber der Sinn des Entrümpelns ist, Platz zu schaffen, und der entsteht dabei auch im Kopf. Fünfzehn Paar alter Schuhe und dreißig Kilo Elektroschrott zu entsorgen, das lässt einen schweben. Und es macht den Geist so geräumig, dass ich begreife: Ich beleidige weder meinen Opa noch Miguel de Cervantes, wenn ich den Ritter und den Bauern an den Straßenrand stelle. Ihre Vorbilder sind sowieso unsterblich. Mein Opa braucht sie nicht mehr, ich auch nicht, und der internationale Kunstmarkt…oops. Vielleicht sollte ich doch mal schauen, wer das geschnitzt hat?

Zu spät. Weg sind sie! Na bitte.

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