Der Dachboden als Wunderkammer

Am Schluss habe ich dann noch Don Quijote und Sancho Panza rausgestellt. Sorry, Großvater! Irgendwann in seinem beinahe hundert Jahre langen Leben muss er sich die Holzskulpturen in Spanien gekauft haben. Als Leser hatte er einen gediegenen Geschmack, er bevorzugte die so genannte Weltliteratur, aber von Kunst verstand er nichts. Und so standen jahrzehntelang der Ritter von der traurigen Gestalt und sein dickbäuchiger Helfer in seinem Bücherzimmer, geschnitzter Kitsch, den keiner haben wollte, als der Hundertjährige sein eigenes letztes Kapitel beendet hatte.

Ich nahm mich der beiden Figuren an und stellte sie auf den Dachboden. Dort blieben sie zwölf Jahre lang, bis jetzt. Jetzt wird entrümpelt. Morgen kommt der Sperrmüll. Opas Skulpturen auf den Sperrnüll, bist du von Sinnen? Das hat niemand gesagt, aber ich habe es mich kurz gefragt. Bei Ebay reinstellen? In der Familie rumfragen? Im Dorf? Das Dorf hat 680 Einwohner, die wissen seit Tagen, dass ich am Straßenrand Gerümpel aufschichte. Einen alten Koffer hat sich schon jemand genommen, und einen Geigenkasten aufgemacht, ohne die erhoffte Stradivari zu finden.

Ha, die habe ich schon selbst abgestaubt… Schön wär´s. Aber man macht durchaus Funde bei so einer Entrümpelung. Gleich am Anfang fand ich eine Karte des Dichters Peter Rühmkorf, handgetippt, mit Zeichnung, an mich! Lang vermisst, für mich persönlich ein Kracher, auch wenn ich mir dafür keine Yacht kaufen kann. Mit so etwas gerät man da im Dämmerlicht zwischen Staubwolken auf lichte Höhen. Anderes reißt mich in eigene vergangene Alltage so zurück, als stöberte ich im Nachlass einer verschrobenen Type aus dem 19. Jahrhundert.

Für Paul und Frido ist es die reine Wonne, da oben stöbern zu dürfen. Ein Schatz nach dem andern! Ein leeres Kompasstäschchen, am Gürtel zu befestigen. Puppen aus den 60er Jahren, von denen ich ihnen alle Namen sagen kann: Ajax, Rago, Jule, Plups, Fips… die möchten sie alle den ihren vorstellen, vor allem der Charlotte und der Lina. Oh nein, ruft ihre Mama entsetzt, Milben! Also gut, nur ein paar dürfen mit runter. Die anderen – werden nicht entsorgt. Das geht einfach nicht. Frido sichert sich eine schwere, verbeulte Spiegelreflexkamera.

Außerdem hätte er gern das Bakelittelefon, drei alte Koffer, eine Bernsteinkette – die Kette darf er haben. Dafür kriegt Paul das komische Aufklappding, in dem sich drei Frösche bewegen würden, wenn das Federwerk noch ginge. Sie finden vier kleine Hubschrauber zum Aufziehen, einer funktioniert noch, anno 1995 in Leipzig erworben. „Warum hast du so viele Hubschrauber gekauft?“, fragt Frido. „Weil sie so billig waren. Ich dachte, wer weiß, wozu sie mal gut sind.“ „Damit wir sie jetzt finden!“, sagt er strahlend. Ja, vielleicht war das der Sinn der Sache.

Aber der Sinn des Entrümpelns ist, Platz zu schaffen, und der entsteht dabei auch im Kopf. Fünfzehn Paar alter Schuhe und dreißig Kilo Elektroschrott zu entsorgen, das lässt einen schweben. Und es macht den Geist so geräumig, dass ich begreife: Ich beleidige weder meinen Opa noch Miguel de Cervantes, wenn ich den Ritter und den Bauern an den Straßenrand stelle. Ihre Vorbilder sind sowieso unsterblich. Mein Opa braucht sie nicht mehr, ich auch nicht, und der internationale Kunstmarkt…oops. Vielleicht sollte ich doch mal schauen, wer das geschnitzt hat?

Zu spät. Weg sind sie! Na bitte.

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