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Bond, ein Mann in meinem Alter

Der Helikopter ist abgestürzt, das schottische Landhaus in Flammen aufgegangen, der Erzbösewicht hat in letzter Sekunde ein Messer in den Rücken gekriegt, in Bonds Armen ist seine Chefin gestorben. Abgesehen davon sind ca. 80 Schergen und Schurken, ein Kunstsammler sowie 100 Autos zur Strecke gebracht worden, ein U-Bahn-Zug hat in voller Fahrt die Etage gewechselt, und William Turners „Letzte Fahrt der Temeraire“ wurde zum Anlass eines luziden Dialogs zum Generationenkonflikt zwischen Bond (etwa mein Alter) und „Q“ (Mitte 20). Einer der Filme, nach denen man etwas benommen aus dem Kino in die Nacht tritt und Gesprächsbedarf hat.

„Geh´n wir noch wohin?“, sagt ein Mann neben mir zu seiner Begleiterin. Ich würde auch gern noch wohin geh´n mit meiner Begleiterin, ein bis drei Glas, reden über die Lage der Welt und den wunderbaren Aston Martin, den einst Connery fuhr und den nun Craig aus der Garage holt, woraufhin M, seine Chefin… „Geh´n wir noch wohin?“ Und vielleicht noch einen gebackenen Camembert dazu, wie früher, als ich noch studierte wie dieser Typ, der das fragt, etwas gepresst und scheinbar leichthin, damit er bei einer eventuellen Abfuhr nicht zu düpiert da steht, aber genau diesen Tonfall darf man sich nicht angewöhnen, hätte ich ihm gleich sagen können…

„Geh´n wir noch wohin?“ Ach, wie gerne! Das müsste ich meine Begleiterin gar nicht erst fragen. Wir würden den Abend gern ausdehnen, den ersten zu zweit seit Wochen, aber die Babysitterin wartet auf Ablösung, morgen um fünf muss sie in der Bäckerei auf der Matte stehen, und es ist 23 Uhr! „Ach, ich weiß nicht“, kommt da die Antwort der Frau, Mitte 20, Studentin wohl, „ich hab letzte Nacht nicht so gut geschlafen…“ Da muss ich so lachen wie zuletzt in dem Moment, als M, Bonds Chefin, über seinen Aston Martin DB5, mit dem sie heimlich nach Schottland wollen, knochentrocken sagt, „der ist ja auch gar nicht auffällig“. Nicht so gut geschlafen, tatsächlich?

Diese Zierpuppe sollte mal unsere Nächte teilen. Um zwei und vier hat Paul seine Trainingszeiten. Er ist 14 Monate alt, bereitet sich aber schon auf Stunts für Bond vor. Oder auf einen Bond, der keine Doubles braucht. Nächtliches Balancieren (im Schlafsack, mit Gesang) auf Bettkanten und Eltern, die so zu tun versuchen, als schliefen sie. Nichts, worüber man sich beschweren darf. Wir haben es ja so gewollt. Da muss man durch. Man ist völlig porös, man sieht sich selbst dabei zu, wie die Ziegel aus der Mauer fallen, aber man macht einfach weiter. Da macht uns Bond nichts vor, tut uns aber gut. Soso, die Dame hat letzte Nacht nicht so gut geschlafen? Sie ist noch gar nicht aufgewacht!

Aber man fragt auch nicht „Geh´n wir noch wohin?“! Man sagt „Ich brauche jetzt ein Bier“ oder, was fast aufs gleiche rausläuft, „it takes a certain type of woman to wear a backless dress with a Beretta 70 strapped to her tigh”, aber das fällt einem natürlich immer viel zu spät ein, mit 50 etwa.

Der Artikel erschien am 12.1.13 in der HAZ und ist urheberrechtlich geschützt.

Nur nicht auf Freunde hören

Der Crashkurs dauerte zwei Stunden und hieß „Gebrauchsanweisung für einen Mann“. Unsere Freundin war begeistert. Näheres wollte sie nicht erzählen, nur soviel: Es stimme alles, was der Coach da erzählt habe, sie bereue keinen Cent Kursgebühr, aber für sie und ihren Traummann sei das leider eine Woche zu spät gekommen. Dass alles stimmt, dachte ich, kann doch nur jemand feststellen, der es schon gewusst hat. Und wenn sie es schon wusste, warum handelte sie nicht schon eine Woche früher danach? Aber so einfach ist es nicht. Man weiß eben nicht, was man schon weiß.

Mit manchen Erwägungen wähnt sich ein Mensch so allein, dass er sie als Wahnideen verdächtigt, bis jemand anderes sie ausspricht. Das ist der Moment, in dem wir Michel de Montaigne oder Maria Montessori oder einem Coach mit Gebrauchsanweisung begeistert zurufen: Stimmt alles! Hätt´ ich das bloß vorige Woche schon gewusst oder vor drei Jahren! Dabei, wie gesagt, weiß man ja vieles, man glaubt es sich nur nicht. Honoré de Balzac ließ eine seiner Romanfiguren mit jenen Aktien spekulieren, die dann tatsächlich steil abgingen, während die, die er selber kaufte, abstürzten.

Hätte er mal auf sich gehört! Einmal habe ich selbst in Wertpapiere investiert, vor rund zwölf Jahren. Der Fonds, irgendwas mit Elektronik, befand sich im Sinkflug, befreundete Experten rieten: Kein fallendes Messer auffangen, nicht verkaufen! Ich tat es trotzdem, mir fehlte die coole Souveränität der Geldjongleure, und darum kam ich gerade so mit dem Einsatz davon, während der Fond ungebremst am Boden aufschlug und in Flammen aufging. Kurz, es gibt auch Ratschläge, die man eher NICHT beherzigen sollte, und das sind die kluger und wohlmeinender Freunde.

Was nicht heißt, dass man sie nicht fragen sollte! Rückblickend fand ich heraus, dass ich in genau den Situationen, in denen ich Freunde um Rat fragte, immer genau das Gegenteil des von ihnen Nahegelegten tat. So, als hätte ich ihren Rat nur gebraucht, um herauszufinden, was ich schon beschlossen hatte, wider alle Vernunft. Aber, wie Montaigne sagt: „Der Erfolg läßt oft ganz törichtes Verhalten berechtigt erscheinen.“ Hingegen bereue ich einige Entscheidungen, die ich komplett unberatschlagt traf. „Hinterher ist man schlauer“, sagt dazu der so genannte Volksmund. Schön wär´s. Die Japaner haben gerade eine Regierung gewählt, die knapp zwei Jahre nach dem Super-GAU den Atomausstieg rückgängig machen will. Und Berlusconi hat schon wieder Chancen…

Unsere Freundin jedenfalls wollte einen Rat. Sollte sie zu einer Party gehen, auf die sie sich freute, zu der aber auch ihr frischer „Ex“ erscheinen würde? „Erst recht“, sagte ich spontan, „du musst dich nicht verstecken!“ An ihrer Stelle würde ich, aus eigener Erfahrung, diesem Rat nicht folgen. Alle Kreter lügen, sagte der Kreter… Da hilft uns wohl nur noch der Weltweise Robert Gernhardt: „So geht das nicht und anders schon gar nicht.“

Zeichen? Was meinen Sie damit?

Fortschritt macht auch blöd. Das fiel mir jetzt beim Telefonieren mit einem großen Künstler auf, den ich zu einem kleinen Text überreden wollte. Ich sagte, es müssten nicht mehr als 2000 Zeichen sein. „Zeichen? Was meinen Sie damit? Symbole, Hieroglyphen?“ „Ach so… sorry. Anschläge meine ich. Inklusive…“ Ich verkniff mir das Wort „Leerzeichen“, da mir einfiel, dass für ihn schon „Anschläge“ ein Anschlag auf die Schriftkultur sind, die er rein handschriftlich betreibt. Mit Füllfeder auf Papier. Oder Gänsekiel? Nein, regressiv ist er auch wieder nicht. „Also etwa eine Din-A-4-Seite“, sagte ich. Uff.

„Wohin kann ich Ihnen das schicken?“, fragte er. Ich begann, meine E-Mail-Adresse zu buchstabieren. „Merkwürdig“, sagte er, „was heißt Ett?“ „Ich meine diesen Kringel vor der Domain… ach quatsch, Sie gehen ja gar nicht online. Also, Sie kriegen jetzt meine ganz altmodische Postadresse.“ Es war horizonterweiternd. Dass man bei Zeichen auch an anderes denken kann als an die kleinste Texteinheit, dass eine Adresse in erster Linie den Ort bezeichnen könnte, an dem man wohnt! Und was ich schon für einen Müll von mir gab: „Sie gehen ja nicht online!“ Als könnte man das nicht auch anders sagen.

Ja, aber wie? „Sie gehen nicht ins Netz“? Zu zweideutig, das kann daneben gehen. „Sie halten sich fern vom Geflecht“? Aua. Was geht denn noch, außer „Netz“, auf deutsch? Verknüpfung? Gewebe? Klingt alles wie im Teppichladen. Imgrunde stimmt schon das Bild vom „Netz“ nicht, da sich die Maschen und Fäden dauernd ändern. Je länger ich nachdenke, wie ich einem computerfernen Menschen in bewährten Worten erklären könnte, was es heißt, „online zu gehen“, damit er nicht glaubt, man würde dabei irgendwie Gassi geführt, desto mehr scheint mir, dass wir verbal der Technik weit nachhinken.

Nicht, dass es an Wörtern gebräche. Im Gegenteil! Für jede Innovation wird ein neuer Begriff eingeführt, dem neue Floskeln folgen. Es geht einfach zu schnell. Warum das Telefon so heißt, leuchtet noch 120 Jahre nach seiner Erfindung ein. Aber wie wird das in 120 Jahren mit „Smartphone“ sein? Warum heißt eine knapp schokoladentafelgroße Medienzentrale mit der Rechenkapazität von tausend Menschenhirnen „Schlautöner“? Weil eh kaum jemand weiß, wie es funktioniert. Ich weiß auch nicht, was genau passiert, wenn ich online gehe. Vielleicht doch an der Leine, gassigeführt von Algorithmen und Alligatoren?

Aber ja! Im Kühlwasserbecken des Google-Rechenzentrums, South Carolina, plantscht tatsächlich ein Alligator. Das passt, immerhin wird der älteste Teil unseres Gehirns auch „Echsenhirn“ genannt, und mehr wird auch nicht übrig bleiben, wenn wir immer mehr Gedächtnis outsourcen, äh, auslagern! Wir sollten öfters telefonieren mit Leuten, denen bei Zeichen auch noch Hieroglyphen einfallen, ohne dass sie dafür Synonyme nachgoogeln müssten. Schon ein kleiner Stromausfall sollte uns ein Zeichen sein.

Der Artikel erschien am 1.12.12 in der HAZ und ist urheberrechtlich geschützt.