Wackelige Angelegenheit

Es wackelt. Es wackelt sehr, während unten schon der Welfenspieß zu erkennen ist, oder Telemax, oder wie der Funkturm nun heißt. Es wackelt immer schlimmer. Auf die Sturmtiefs ist auch kein Verlass mehr. Die angekündigten mit Namen wie “Xaver“ werden Brisen, aber die namenlosen … „hui“, ruft sogar eine der Stewardessen hinter mir, wenn auch heiter. Sie sind beide lustig. In Frankfurt hat ein Passagier, der am Eingang keine Brezel mehr abkriegte, gescherzt, dann fliege er nächstes Mal mit Air Berlin und nicht mit Lufthansa, da haben sie gesagt: „Der kriegt kein Getränk.“ Natürlich kriegte er trotzdem eins.

Dann wurde auch schon aus der Reiseflughöhe ins Sturmtief gewechselt. Wenn wir schon abstürzen müssen, möchte ich nicht ausgerechnet in, bei oder auf Hannover fallen, das fände ich würdelos. Nichts gegen Hannover, aber ein Absturz muss Größe haben. Die hat eine Stadt für den, der in ihr aufwuchs, naturgemäß nur selten, zudem ist Größe wirklich nicht die hiesige Spezialität. Und meine? Einer muss Flugangst haben, das hilft allen, hat mir mal ein Therapeut gesagt. Die Angst, die die andern nicht haben, versammelt sich in ihm, es ist eine Aufgabe. Das ist magisches Denken, aber es verleiht, nun ja, Größe.

Ich und der Pilot (wie er wohl aussieht? Werden seine Knöchel schon weiß am Joystick?) retten die Landung im sturmgezausten Niedersachsen. Aber selbst als die Maschine angedockt hat, wackelt sie noch. Die etwas ältere Stewardess (ich weiß, sie heißen längst anders, aber ich sage auch Schaffner zum Zugbegleiter) sagt zur jüngeren: „Du, das ist immer noch der Wind!“ Ich frage sie, ob sie schon mal eine windigere Landung erlebt habe. Sie zögert. „Na, ein Sturm… das ist dann schon so.“ „Und wir müssen gleich wieder zurück!“, ergänzt die jüngere, die Blonde. Ich wundere mich: „Kein Feierabend?“

„Oh nein. Wir müssen sogar noch nach Warschau.“ „Da kommen Sie ja nicht vor Mitternacht zur Ruhe“, sage ich, über die Maßen redselig, wie Überlebende so sind. Die lustige Blonde, fast stolz: „Ja. Und wir waren heute schon in Birmingham!“ Dazu fällt mir nichts mehr ein, aber dafür bellt nun mein Nachbar übern Gang, der mit den Brezeln, in sein Handy: „Wer spricht da? Wie bitte?“ „Air Berlin wahrscheinlich“, mutmaßt die Blonde und grinst breit: „Die wären jetzt abgestürzt.“ Der Wind hat sie eindeutig nicht unbeeindruckt gelassen, und sie ist eindeutig stolz auf ihren Piloten. Ja, wie sieht er denn nun aus?

Wie ein Chef, um es mal französisch zu sagen, denn in Frankreich bedeutet Chef vor allem Küchenchef. Tatsächlich steht der Pilot, ein schlanker grauhaariger Mann mit feinem Gesicht, am Ausgang in der Haltung und mit dem Lächeln, womit extrem gute Küchenchefs nach fünf überragenden Gängen ihre Gäste verabschieden. In der sicheren Bescheidenheit jener Profis, denen wir unser leibliches Wohl anvertrauten und die gut damit umgegangen sind. „Danke für die exzellente Landung“, hätte ich sagen mögen und tat es nicht. Warum nicht? Warum es nicht hier nachholen? Danke für LH-Flug 054 FRA/HAJ, Freitagnachmittag.

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