Irgendwann kam ich mit dem „Mondlied“ als Einschlafhilfe für Frido nicht mehr aus, mochte keine weiteren Wiegenlieder lernen und ersann lieber selbst welche, Fortsetzungsgeschichten zu extrem frei schweifenden Melodien und naheliegenden Sujets, zu einer nach „Emma“ modellierten Lokomotive etwa, die sich dauernd umlackieren ließ, durch halb Europa reiste und es auf mehrere Folgen brachte, zur kleinen Giraffe, deren Hals jeden Tag länger wurde, zum Kranwagen Heppo, der mit seinem Fahrer Beppo überall hilft. Von dem erzwang Frido rund 23 Episoden, vor seinem vierten Geburtstag.
Damals widmete ich dem Thema schon mal eine Kolumne und war sicher, das improvisierte Fortsetzungslied habe nun seinen Zenith überschritten. Da kannte ich Frido wohl nicht gut genug. Wenig später entstand, von ihm stets mit Wünschen und Motiven gespeist, das geradezu gewaltige Epos vom Nashorn Ditta und dem Affen Hubsiticka, die im afrikanischen Urwald einem gewissen Kapitän Hansen und einem Jungen namens Frido halfen, den Zauberberg zu finden, auf dem anderswo ausgestorbene Riesenhirsche und Höhlenbären ein Heilkraut bewachen. Es war ein Abenteuer, das ich selber schon spannend fand.
Niemals hätte ich mir zugetraut, in solchen Dimensionen zu fabulieren. Dabei müsste ich doch wissen, dass Regelmaß, Termindruck und Erfolg beim Publikum inspirierender sind als neun von zehn Musen. Frido vereint das alles. Er gleicht dem Redakteur, der auf rechtzeitige Abgabe pocht, und dem Leser, der ein Echo schenkt, zugleich ist er Lektor, der schon in statu nascendi Alternativvorschläge macht oder Fußnoten ergänzt haben will: „Wozu braucht man Leuchttürme? Wie funktioniert ein Drehspiegel? Wann schlafen Delphine?“ Zur Zeit sind wir mit dem Delphinlied sehr maritim orientiert.
Alle zwei, drei Abende eine neue Folge. Und alles geht dahin, unfixiert, wie der Wind übers Wasser. Das finde ich schön. Was sich Eltern für ihre Kinder ausdenken und ausgedacht haben an Liedern und Geschichten, würde ungeheure Bibliotheken füllen oder allerlei Festplatten, wäre es alles bewahrt. Was da brodelt, merkt die Welt mitunter, wenn eine Astrid Lindgren oder ein Michael Ende etwas davon in Bücher retten. Aber die genügen auch, finde ich. Es wird doch eh schon so besessen alles gespeichert, als wäre es sonst nicht real.
Fridos und meine Loks und Riesenhirsche und Kranwagen und Delphine, das Chamäleon und die wandernde Tür und was weiß ich noch alles – die sind in ihren paar Minuten real genug, wie der Wind, wie lebendige Musik. Was der uralte Affe im Wald dem Kapitän Hansen über das Zauberkraut sagte, habe ich längst vergessen. Ich bin aber sicher, dass Frido es findet, wenn er es braucht.
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