Einfach nur über den Frühling zu schreiben, das steht ja sofort unter Weltfluchtverdacht. Man kann auf die Haikudichter verweisen, die seit Jahrhunderten immer nur auf die Jahreszeiten und ihre Zeichen in der Natur blicken, in fünf und sieben und fünf Silben, aber es sind Dichter. Und sie brauchen nicht viel Platz dafür. Kolumnisten sind angehalten, ein Minimum an Aktualität zu bieten. Wenn sie schon nicht über das Innenleben von Piloten und die Erbschaftssteuer räsonieren, über die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen dem Zertrümmern sumerischer Skulpturen und dem Kappen von Kulturetats, dann sollte wenigstens Putin mal wieder vorkommen.
Ja, soll er doch! Putin hat in Russland die Sommerzeit abgeschafft. Neulich dachte ich noch, das wäre derzeit einer der wenigen Gründe, in die russische Föderation auszuwandern, die gegenüber den USA auch noch den Vorteil hat, dass man dort nicht sofort erschossen wird, wenn man vor einem Polizisten wegläuft, man muss vorher wenigstens die Regierung kritisiert haben. Aber jetzt scheint mir, Zar Wladimir verpasst doch etwas mit dieser Morgenstunde. Auf einen Schlag bin ich nicht mehr eine Stunde zu früh im Dunkeln aufgewacht, sondern pünktlich und mit Sonnenaufgang. Außerdem schön, dass es abends um acht noch so hell ist wie um sieben.
Kurz bevor ich trotzdem viel zu früh einschlafe, auf dem Sofa zusammengebrochen beim Versuch, einen richtig langen Text im New York Review of Books im Netz zu lesen und zu verstehen, lausche ich noch dem saurierartigen Röcheln unserer Untermieterin, der Eule, beim Beuteflug. Und morgens begleitet das Tschilpen zahlreicher Vögel, die ich immer noch nicht auseinanderhalten kann, das Auseinanderfalten von Nachrichten über die orthodox österlich inspirierte Allianz von Griechenland und Rußland und weitere Allianzen und Mesalliancen, die ich noch schlechter auseinanderhalten kann als die Vögel. Der Frühling ist gekommen, die Welt ist wieder weit.
Der Mirabellenbaum in der Südostecke hat weiße Blüten, der wilde Wein an der Südwand treibt aus rötlichen Knospen schon Blätter hervor, nah und fern brummen die Rasenmäher, die dunkle Jahreszeit scheint auf einem anderen Planeten stattgefunden zu haben. Das ist alles wunderbar, und jedes Mal glaubt man, dass jetzt überhaupt die Welt besser wird. Dabei kann man schon froh sein, dass es überhaupt noch Vögel, Weinlaub und Bäume gibt. Nun ja. Etliche Bäume dienen den Männern im Dorf dazu, für ihre frühlingshafte Unrast eine Ausdrucksform zu finden. Sie fällen, sägen, spalten wie die Besessenen, schweigsam und ohrenbetäubend.
Wenn ich mir ansehe, wieviele Holzstapel hier ringsum in die Höhe wachsen, wundert es mich, dass nicht die komplette norddeutsche Tiefebene schon baumfrei ist. Aber auch das ist das Besondere am Frühling – man gewinnt aus den Widersprüchen der Welt Hoffnung statt finsterer Aussichten: Wächst wohl alles nach! Na prima. Dann kann ich ja getrost die Holzkohle auf den Grill werfen.
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