Wenn Schreiber Ruhe brauchen, begeben sie sich üblicherweise aufs Land, da sie üblicherweise in Städten leben, die meisten deutschen in Berlin. Unter Ruhe verstehen sie dabei die Weite des Horizonts sowie das Abgeschiedensein vom Brausen der Stadt und ihren vielfältigen Ablenkungen. Das und die Weite habe ich sowieso, in der norddeutschen Tiefenebene, und das Sägen und Spalten von Holz, das bei uns im Dorf mit Inbrunst vollzogen wird, stört mich nicht. Ich brauchte weniger Ruhe als Zeit. Darum floh ich nach Köln, während Frido und Paul ihre Mama, Oma, Opa, Kita in Anspruch nahmen.
Man könnte denken, dass ein nördlicher Dorfmensch, auch wenn er häufiger reist, in einer brodelnden Metropole wie Köln (und es brodelt hier mehr als in Berlin, der Süden atmet näher, Frankreichs Lockruf ist vernehmbar, der breite Rhein glitzert vor Verheißung, lebenslustiger sind sie hier sowieso) sofort den vielfältigen Ablenkungen erliegt. Auch wenn er inmitten all der lustigen Katholiken sein krypoprotestantisches Arbeitsethos voll durchziehen und strikt zehn Stunden mit Pause durcharbeiten will. Aber nein! Das Dorf ist tief in mir drin. Und darum entdecke ich die dörflichen Qualitäten der Stadt.
Auch hier gibt es festes, dem Fremden schnell vertraut werdendes Personal. Die Kettenraucherin auf dem Altenheimbalkon gegenüber, der Mann im Kiosk, der einem immer einen schönen Tag wünscht, die Bäckereifachverkäuferinnen. Im einen Laden gibt es gute Croissants bei einer schlechtgelaunten Dicken, im andern mittelgute Croissants bei einer lächelnden mediterranen Aphrodite. Mein Bewegungsradius ist auf den Zentimeter genau so groß wie zu Hause. Zum Mittagspausengang in den Lindenthaler Stadtpark ist es ebenso weit wie in die Felder rund ums Dorf, und weiter bin ich an keinem Tag gekommen.
Doch einiges verschiebt sich. Mit Freuden sehen meine Freunde, dass ich acht statt sechs Stunden schlafe und erst um zehn mit der Arbeit beginne, das gehört sich einfach so für eine großzügige Stadtvilla, ebenso ein Frühstück mit Croissants, den mittelguten. Sonst fange ich, nach Knabenbetreuung, Kita-Shuttle und Hauswirtschaft, schon um neun mit der Arbeit an, brauche dafür aber um eins schon eine Pause. In Köln brauche ich keine, ich nehme sie, was für ein Luxus! Mit dem Einkaufen ist es auch so. Keine Pflicht, keine Einkaufsliste, man schaut halt mal, und obwohl ich gern koche, koche ich hier sehr gerne mal gar nicht.
Der Italiener wartet schon, und der Japaner! Und man kommt dorthin in zehn Minuten zu Fuß statt mit dem Auto. Ein Ausnahmezustand, sicher. Länger als eine Woche kann sich kein normaler Schreiber tägliche Lokalbesuche leisten. Trotzdem weiß ich eigentlich nicht, warum Stadtautoren aufs Land wollen. Vielleicht ist Köln auch anders als andere Städte. Es zerrt nicht. Es brodelt sanft, ohne preußisches Effizienzgehabe. Man spürt den Rhein überall. Dass es eine richtige Großstadt ist, habe ich nur gemerkt, als ich mich beim Einkaufen verlief. Aber, wie sich herausstellte, um gerade mal eine Straße.
Dann hatte ich mein Dorf mit Aphrodite und der Kettenraucherin auch schon wieder gefunden und arbeitete kryptoprotestantisch durch bis zur Misosuppe.
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