Wenn die Wellnessglöckchen läuten

Gerade war ich dabei, einen Barockmusiker des Jahres 1626 mit einer Muskete jüngster Bauart auszurüsten, unter fünf Kilo schwer, ein Meter vierzig lang, ohne Stützgabel einsetzbar, eben die Sorte, mit der die Schweden ein paar Jahre später die kaiserlichen Truppen bei Leipzig schlagen würden. Warum ich das tat, tut nichts zur Sache, jedenfalls hing ich an dem Nachmittag irgendwie zwischen den Welten, geborgen im Schreibasyl der Kölner Freunde, nur physisch anwesend, als ungefähr um halb sechs mein neues Handy die Wellnessglöckchen ertönen ließ, für die ich mich vorläufig entschieden hatte.

„Ja, hallo?“ „Hallo… ich habe hier…etwas ganz Irres“, hörte ich meine Frau mit flackernder Stimme sagen. Sie hatte in der Post den Brief einer Hamburger Rechtsanwaltskanzlei gefunden, an mich adressiert. Da die einzige Kanzlei, mit der wir sonst zu tun haben, eine steuerberatende ist, konnte es sich hier nur um ein ganz neuartiges Problem handeln. Und da sie als Regisseurin über eine rasend schnell arbeitende Fantasie verfügt, hatte ein Blick auf den Umschlag genügt, mich in einen Rechtsstreit verwickelt zu sehen, den ich ihr schonend verschwiegen hatte. Unerträglich. Sie hatte den Umschlag sofort geöffnet.

„Nichts Schlimmes“, sagte sie jetzt kichernd. „Die wollen dir einen Preis verleihen.“ „Jaja“, sagte ich und starrte abwesend auf eine Liste der Geschützarten, die im 30jährigen Krieg verwendet wurden. „Die Leute schrecken vor gar nichts mehr zurück, um einen reinzulegen. Rohrgewicht 70 Zentner, meine Güte… Was für ein Preis?…Oh….ja, den gibt es, kenne ich….wie bitte?“ Sie wiederholte die Summe. „Du machst wohl Witze.“ „Klar, das habe ich mir alles ausgedacht. Auch die Namen aller Preisträger bis jetzt.“ Es folgten an die zwanzig Autorennamen, die ich alle kannte, weil sie ziemlich berühmt waren.

So ähnlich wie die des Kuratoriums, zu dem auch der Rechtsanwalt gehörte, dessen Kanzlei den Brief auf den Weg gebracht hatte. „Das glaube ich nicht, ehe ich es sehe“, sagte ich, während vor meinen Augen eine Rotte schwedischer Reiter durchs Zimmer raste und drei Dörfer niederbrannte. Schwere Realitätsverluste. „Ich fotografier´s dir und maile es gleich“, sagte sie und kicherte wieder, während im Hintergrund die Jungs offenbar die Küche auseinandernahmen. „Ciao.“ Bald machte es pling, der Brief war da. Es stimmte alles. So etwas kann man nicht fälschen. Allein schon die Formulierungen!

Das war einer der besten Texte, die ich seit langem gelesen hatte, einer von denen, die den Leser treffen, beglücken und nervös machen. Da konnte ich nicht mithalten. „Wenn Sie so liebenswürdig sind, uns die Annahme des Preises mitzuteilen…“ Ich starrte auf mein Tagewerk. Dem Musiker sank die Muskete aus der Hand, ich tappte aus dem Zimmer. Zum Glück war ein Therapeut im Haus, dem ich mich anvertrauen konnte. „Wie schön, dass dir das bei uns passiert“, sagte er mit seiner beruhigenden Stimme, lächelte und setzte einen grünen Tee auf. Vielleicht sollte ich öfters mal in Köln arbeiten.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die Verleihung des Ben Witter Preises 2015 soll am 21. September im Literaturhaus Hamburg stattfinden.