Warum ist die »Kleine Nachtmusik« so berühmt?

Acht Fragen an den Mozart-Experten Ulrich Konrad zu einem Stück, das jeder kennt

Kann man das Schöne an der Kleinen Nachtmusik erklären?

Man sollte es versuchen, gegen die verharmlosende Vorstellung von Mozart als einem göttlichen Medium, eine Art Music Box, in die die Götter oben ihre Münzen reinwerfen, damit unten die Werke rausklingeln. Was auffällt, ist die Reduktion der Mittel. Im selben Jahr hat Mozart Don Giovanni geschrieben. Man muss sich vorstellen, was dort etwa in der Komtur-Szene passiert, das sind kompositionstechnisch ungeheure Dinge! Aber in der Nachtmusik gibt es kaum Kontrapunktik oder Modulationen. Der Anfang verläuft mit mathematischer Genauigkeit. Zwei Takte Anfangsgeste aufwärts, die rundet sich in zwei Takten abwärts, eine geschlossene Einheit, und darauf antwortet ein genauso dimensionierter nächster Abschnitt. Ein vollkommen regelmäßiger Periodenbau. Als wolle Mozart zeigen, wie abgerundet diese Einheiten sind, setzt er die Pausen. Der Kontrast in Takt 18 ist dann in Bewegung und Dynamik so deutlich abgehoben, dass ihn der Hörer ganz unangestrengt wahrnimmt.

Ist die Harmonik – dauernd G-Dur und D-Dur – nicht reichlich simpel?

Tonika und Dominante sind in unserer Harmonik Elementarspannungen, sie werden erst ereignishaft, wenn der Komponist harmonisch weiter ausgreift. Kommt bei Strauss in der harmonisch mäandernden Alpensinfonie so eine einfache Kadenz, ist man in einer ganz anderen Welt. In der Kleinen Nachtmusik fehlt dieser Rahmen. Hier wird kein modulatorischer Weg zur Grundtonart entwickelt, die dann wie eine Befreiung eintritt. Hier ist die Befreiung einfach da. Darin liegt ein Teil der Wirkung. Faszinierend ist, wie trotz der Einfachheit nie der Eindruck von Simplizität entsteht. Die Reduktion erscheint ja beinahe als besondere Kunstfertigkeit: Mozart gestaltet mit drei oder vier Harmonien einen ganzen Satz und hinterlässt trotzdem den Eindruck der Mannigfaltigkeit. Vielleicht ist das Stück eine hoch kunstvolle Etüde über die Frage: Wie weit kann ich Musik elementar machen, »ohne ins Leere zu fallen«, wie Mozart sagt. Ein Versuch, ganz nahe an der Leere, sagen wir ruhig: am Unpersönlichen vorbeizugehen.

War die Kleine Nachtmusik schon immer so berühmt?

Nein, bis ins 20. Jahrhundert hinein war sie nicht so bekannt wie Don Giovanni und Die Zauberflöte, die von Anfang an hoch geschätzt wurden. Auch Mozarts Klavierkonzerte, für uns heute Inbegriff des Konzertierens, wurden im 19. Jahrhundert vergleichsweise gering geschätzt. Neben Liszt fand man die zu einfach. Ähnlich ging es auch der Kleinen Nachtmusik. Es wurde sogar bezweifelt, ob sie von Mozart ist – zu simpel sei sie gemacht. Um 1900 gab es dann eine starke Bewegung unter dem Schlagwort »Zurück zu Mozart!«. Gegen Wagner und das Großaufgebot an musikalischen Mitteln wandte man sich dem Klassizistischen und Spielerischen zu. In dieser Zeit beginnt die zunehmende Wertschätzung der Nachtmusik. Richtig populär wurde sie schließlich durch einen Spielfilm, eine deutsche Produktion von 1939 mit dem Titel: Eine Kleine Nachtmusik. Und heute ist sie eine Ikone der »klassischen« Musik. Sie steht für Mozart und das Schöne der Musik schlechthin, sie gilt als unhinterfragbar.

Es ist Mozarts letzte Serenade. Hat er eine Bilanz der Gattung gezogen?

Ich glaube nicht, dass Mozart in dieser Dimension gedacht hat. Wer sich anschickt, letzte Gattungsbeiträge zu liefern, denkt historisch. Der ganze späte Strauss schreibt dauernd letzte Werke. Aber es ist sehr wohl so, dass bestimmte musikalische Funktionen in der Lebenswirklichkeit ihren Ort verlieren, so wie die Kantaten nach Bach. Es ist nicht auszuschließen, dass die Serenade als Form geselliger Kommunikation zu jener Zeit ersetzt wurde durch anderes. Mozart hat nie intentional »letzte Werke« geschrieben. Das zu unterstellen ist Teleologie post festum, davon halte ich nichts.

Wie kam die Kleine Nachtmusik zu ihrem Namen?

Mozart schrieb den Titel in sein Werkverzeichnis. Wir haben aus der Entstehungszeit, August 1787, keinerlei Hinweise für einen Komponieranlass. Aber es muss einen Auftrag oder einen Anlass gegeben haben. Nichts ist falscher als die Vorstellung, Mozart habe aus einem gewissen Drang heraus und mit Blick an den Himmel Werke geschrieben. Die Nachtmusik erfüllt die Funktion der Serenade, die zum Abend gespielt wurde, ein Genre geselligen Musizierens im späten 18. Jahrhundert. Dass ein Kontrabass dabei ist, deutet auf ein Streichorchester hin. Die Noten existieren nur unvollständig – ein Menuett fehlt, laut Werkverzeichnis waren es fünf Sätze. Bei der Frage, was »klein« heißen könnte, wäre ich vorsichtig mit der Übertragung des Begriffs auf etwaige Kleinheit der Ansprüche. Auch wer die Sonata facile für Klavier gut spielen will, weiß, dass das kein »einfaches« Stück ist. Vielleicht entspricht das, was uns in der Nachtmusik so bewusst klein entgegentritt, der Inkaufnahme eines bestimmten Rahmens. Jedenfalls wird das Stück schon durch den Titel individualisiert. So ein Titel kann nur einmal vergeben werden – wie Ein Deutsches Requiem.

Klingt die Kleine Nachtmusik überhaupt nächtlich?

Wer das Persönliche und Bekenntnishafte vermisst, trägt etwas an die Nachtmusik heran, was Mozart mit ihr nicht im Sinn hatte. Musik muss nicht bekenntnishaft sein, sie kann auch das elementare Spiel von Formen sein. Was erklingt und was der Gehalt ist, fällt hier zusammen, wie Rot nur Rot bedeuten kann und nicht das Symbol für die Liebe sein muss. Wenn ich aus der Kleinen Nachtmusik eine große, tiefe, nächtliche Nachtmusik machen will, komme ich in Nöte. Das Stück weist nicht über sich hinaus.

Was ist auffällig an Mozarts Handschrift in der Kleinen Nachtmusik?

Sie hat alle für Mozart typischen Merkmale. Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, hier fließen die Noten aus einer perfekten Komponiermaschine aufs Papier. Wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass es Spuren der Arbeit gibt. Verschreiber, Versehen, diese typischen Wischer: Wenn Sie mit Tinte schreiben und sofort korrigieren, müssen Sie nur drüberwischen, dann ist die Tinte noch nicht eingezogen, das ergibt diese Kometenschweife. Im farbigen Original, das sich leider in Privatbesitz und unter Verschluss befindet, würde man besser die unterschiedlichen Tintenfarben sehen. Mozart schreibt zuerst die Hauptstimmen – das nennt er »Komponieren«. Und wenn er den Rest hinterher ausfüllt, nennt er das »Schreiben«.

Schadet es der Musik, wenn sie so oft gespielt wird wie die Nachtmusik?

Die medial hergestellte Unentrinnbarkeit erzeugt Gleichgültigkeit. Diese Musik perlt an uns ab. Wir sind nicht mehr in der Lage, sie wirklich zu hören. Wie wenn man zu viel von einer Süßigkeit in sich hineinmampft: Es wird einem schlecht, man bekommt Ekel davor. Für das spezifische Gewürz dieser Musik – das nicht sehr scharf ist – sind unsere Trommelfelle nicht mehr bereit. Es fehlt auch an Vertrautheit mit den Regeln, nach denen Mozart spielt. Das Gegenstück zur Nachtmusik ist ja der Musikalische Spaß, in dem Mozart gegen alle Gesetze verstößt und der Kenner dauernd das Lachen unterdrücken muss. Fatal ist aber, dass der Spaß in den Ohren vieler heute ganz normal, ganz richtig klingt, weil sie die Feinheiten nicht verstehen. Ich habe das sogar bei angehenden Musikern erlebt. Andersherum hat das betont Richtige in der Nachtmusik einen intellektuellen Anspruch, der kaum noch wahrgenommen wird. Mozart sagte selbst: »Ich liebe Zuhörer, die mitdenken.« Wenn Intelligenz klingen könnte, dann so wie in der Kleinen Nachtmusik.

Ulrich Konrad ist Professor für Musikwissenschaft in Würzburg. Zuletzt erschienen ist sein Buch »Wolfgang Amadé Mozart« im Bärenreiter Verlag, Kassel, 34,95 €

Ursprünglich veröffentlicht in der Zeit