Zehn Jahre Rauchverbot

Eine historische Begebenheit aus dem Mailand des Jahres 2005

Einerseits sind Gruppen ideale Biotope für Verblödung und Peinlichkeit. Was mancher sich sonst zum Glück nicht traut, macht er im Schutz der Gruppe gern: rülpsend und rufend durch den ICE marschieren („is das hier´n Schlafwagen oder was?“), Fremde anfassen („Polonäse Blankenese“), Schusswaffen einsetzen (Uniformvereinigungen). Andererseits gibt es ohne Gruppen keine revolutionäre oder auch nur prärevolutionäre Aktion. Einer solchen bedurfte es unlängst in einem Restaurant zu Mailand. Bekanntlich haben sich die Italiener unter Burlesconi das Rauchen in Lokalen verbieten lassen und auch in jenen Bars, die nach wie vor Zigaretten an der Kasse verkaufen dürfen.

Dagegen ist wenig zu machen, es handelt sich um eine demokratisch herbeigeführte Entmündigung mit schizophrenen Anteilen. Und die Sänger, mit denen ich in Mailand am Tisch saß, fanden es gar nicht schlimm, dass ich zum Rauchen rausging. Bis das Chlor kam. Die Kellner wollten die große und letzte Runde loswerden und machten die Küche schön weit auf, in der ein penetrant stinkendes Reinigungsmittel offenbar gleich mit dem Gartenschlauch auf die Kacheln gespritzt wurde. Stechender Geruch schlich über Weingläser und in die Nüstern der Gäste, die sich sofort beschwerten. Erfreulicherweise konnten einige von uns Italienisch. „Il puzzo! Schifoso!“ rief einer, „Gestank! Ekelhaft!“

Ein Kellner zeigte achselzuckend auf seine Armbanduhr. Der Wein war noch längst nicht leer. Eine Sängerin meinte, da wäre ihr mein Qualm tausendmal lieber. Ich blickte auf das Rauchverbotschild an der Wand. Da saß ich nun gehorsam qualmfrei und inhalierte Chlorgas. Das Abendleben im Abendland hatte einen Grad von Absurdität erreicht, der nur in den Untergang führen konnte. Unsere Gruppe war wortwörtlich stinksauer. Ich fischte meine letzte Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Allein hätte ich das nicht gewagt, nun aber spürte ich einen so berauschenden wie beunruhigenden Hauch von Heldentum. „Ach, ich liebe es, wenn jemand radikal ist“, rief die schönste Frau am Tisch. Ich rauchte radikal weiter und aschte in die leere Schachtel.

Der Dirigent hielt unterdessen ähnlich heldenhaft die Kellner in Schach und erklärte ihnen, in Deutschland müsse man keinen Wein bezahlen, dessen Genuß durch Reinigungsmittel getrübt würde. Das war frei erfunden, aber grandios. Verunsicherung ergriff das Personal. Ausgerechnet die klischeegemäß als brav und berechenbar geltenden Deutschen brachten den als lebensfroh und aufmüpfig geltenden Italienern die Revolte ins Land. Erst als ich ausgeraucht hatte, kam ein Kellner und zeigte mir das Schild „Vietato fumare“. Ich lächelte und knüllte demonstrativ die Schachtel zusammen. Er lächelte auch, fischte ein Feuerzeug aus der Tasche und ließ es wieder verschwinden…

Natürlich wird sich nichts ändern, sobald. Aber wenn dieses dunkle Zeitalter vorbei ist, bin ich wenigstens mal im Widerstand gewesen.

Dieser Text erschien am 19.11.2005 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und ist urheberrechtlich geschützt. 2005 hatte Italien als eines der ersten europäischen Länder ein allgemeines Rauchverbot eingeführt. In Deutschland trat die Mehrzahl der Rauchverbote erst 2008 in Kraft.