Mit Koeppen durch ein anderes Rom

Ich weiß nicht, wann ich dieses Buch zuerst las. Es gibt ja Leute, die sich sogar Lektürekarten anlegen, in denen genau steht, wann sie was warum so und so fanden. Ich lese „Der Tod in Rom“ jetzt zum gefühltermaßen siebten Mal, seit ich, vielleicht, achtzehn war. Der knappe Roman spielt im Rom der 1950er, größtenteils unter Deutschen, die dort in ganz unterschiedlicher Mission unterwegs sind. Wolfgang Koeppen bringt es fertig, einen dieses Rom schmecken zu lassen, das ewige, eine Mischung aus Marmorkühle und Abgasen und dem Fischgestank abendlicher Marktplätze, es ist ein Rom, das ich liebe, aber durch diese Stadt bewegt sich bei Koeppen ein breitschultriger Altnazi: der Tod in Rom.

Er heißt Judejahn, war ein hohes und brutales Tier und ist es immer noch, nun in Diensten obskurer Araber, für die er Waffen besorgt. In Deutschland ist er angeklagt, aus Deutschland sind seine opportunistischen Verwandten auf Urlaub gekommen, einst braun, nun reingewaschen, ängstlich überascht, den düsteren Schwager hier zu treffen. Damit nicht genug, es schleicht auch noch sein zum Priester verkeuschter Sohn namens Adolf durch die Stadt und der zum schwulen Komponisten mißratene Sproß des urlaubenden Bürgermeisters Pfaffrath, Siegfried, der sich von seiner Familie losgesagt hat und zu deren Erstaunen hier eine prominent besetzte Uraufführung seiner Musik bekommt.

Diese Anballung konflikttauglicher Personen (es sind noch nicht mal alle!) ist fast unglaubwürdig und doch gar nicht, denn Koeppen verbindet alles in musikalischer, einfühlender, nie festklebender Sprache, das Sprachnetz schwingt bunt und römisch und bringt dabei lauter Abgründe zum Vorschein, auch so etwas wie eine zeitlose, von Göttern zu belachende Komik der Abgründe. Die Sprache kann auch ganz hart und kellerstufig werden, präzise ist sie immer, bedrängend nie, man kann in ihr leben, möchte man sogar. Und kommt dabei nicht nur dem Komponisten sehr nah, dem selbstzweifelnden Ich, sondern auch einem anderen Menschen: dem Nazi, der noch einmal töten und sterben wird.

So alt ist er nicht. Sechzig vielleicht, rüstig, ein geiler Bock auch, der einer Kellnerin nachstellt, aber eben doch jenseits des Gipfels, in (da vielleicht gar nicht so irrer) Hoffnung auf ein Viertes Reich. Gewissermaßen passiert ihm das Schlimmste, das so ein Typ sich denken kann, der stolz ist, über Leichen gehen zu können: Er erweckt Mitgefühl! Wir wissen besser, dass er hinüber ist, als er. Man freut sich sogar, wenn er, die Großratte, zwei schräge Söldner zusammenstaucht, deutsche Massenmitmörder im Exil, die ihm ans Leder wollen. Mit einer Klarheit, die an Sartres „Kindheit eines Chefs“ denken lässt, öffnet Koeppen diesen Mörder, in dem ein unsicherer kleiner Junge steckt, Gottlieb.

Es ist eine Zwischenwelt, auf die Koeppen blickt, eine Transitzone der Geschichte, nicht vermessbar, zu erkennen nur in so behauptungsfreier Sprache. Thomas Mann, auf dessen Novelle „Der Tod in Venedig“ nicht nur Koeppens Titel sich bezieht – sein Judejahn als negativer Aschenbach, sein junger Komponist als Mann auf der Suche auch nach dem homoerotischen Eros – ist dagegen ein Monstrum der Behauptungssprache, des Geschichtlichmachens. Ihn lässt Koeppen weit hinter sich, in einer Freiheit, die selten und beglückend ist. Also, wenn Sie noch was für den Sommer brauchen… man kann das Buch sogar in Rom lesen und vorm Pantheon ein Bier dazu trinken. Das hält es alles aus.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt