Ein Flughafen in der Abendsonne kann etwas Mildes, Dahingehendes haben, gerade ein sehr großer, von dem man doch annimmt, dass er niemals ruht, dass ohne Unterlass die Schritte zwischen den Gates klackern und stapfen und die Koffer rollen und die Laufbänder. Aber es gibt diese Stunde zwischen sieben und acht, zwischen den Gates 12 und 13. Auf einmal klingt das Lachen einer kleinen Gruppe wie auf dem Dorf, wo so etwas auffällt, Konturen in die Stille werfend, und man vernimmt, wie das Laufband anhält, weil niemand kommt.
Und dabei ist es noch hell, die Sonne steht golden im Nordwesten, „Achtung, dringender und letzter Aufruf für… wir möchten Ihren Flug schließen.“ Wann wird hier der letzte aller Flüge geschlossen? Auf solche Ideen kommt man ganz schmerzfrei bei Sonnenuntergang. Denn irgendwann wird dieser riesige Flughafen ja nicht mehr gebraucht werden. Es wird andere Möglichkeiten des Reisens geben oder viel weniger, es ist gewiss, denke ich, dass diese gewaltigen Hallen verfallen oder umgenutzt sein werden, übermorgen in 200 Jahren.
Die Kathedralen des Mittelalters werden noch immer stehen und noch immer wird man darin beten; es fällt doch auf, wie gut sich ausgerechnet jene Bauten halten, die metaphysischen Zwecken gewidmet sind. Ich finde es nicht hilfreich zu überlegen, was in 200 Jahren sein kann, ich weiß nur, dass das keine sehr lange Zeitspanne ist. Balzac, schrieb der nicht neulich erst „Verlorene Illusionen“ und schilderte eine moderne Druckerpresse? So genau, als wolle er dem herablassenden Blick der Späteren seine Realität entgegensetzen.
Während das Licht immer orangefarbener wird und die lachende Gruppe verschwunden ist, finde ich es reizvoll, den Blick der Späteren, auch wenn ich ihre Umstände nicht kenne, selbst anzunehmen, nicht herablassend, sondern staunend. Was ist das da für ein verglaster Raum, auf dessen Scheiben der Umriss eines Dromedars zu erkennen ist und darunter die Zeile „Smoking can kill“? Das hätte man noch im 20. Jahrhundert nicht gewusst. Aber vielleicht wird man irgendwann nicht mehr begreifen, was das überhaupt war: „Smoking“.
Was sind das für Frauen, die gleichartige Kostüme tragen und gleichartiges Lächeln und schwarze knappe Schuhe mit hohen Absätzen, die so auffallend gepflegt aussehen und sich anders bewegen als die anderen Menschen, obwohl auch sie Rollkoffer hinter sich herziehen? Was heißt „Travel Value and Duty Free“? Späterer, dort bekommt man, was zum „Smoking“ gebraucht wird, in Hülle und Fülle. Aber man darf es nur in der Glaskabine verwenden? Ist es Teil eines Ritus? Ja, ich glaube schon. Und das da, diese Stapel von… Papier?
Zeitungen. Es gibt noch Zeitungen, aber immer mehr werden verschenkt, wie hier, um die Auflage hoch zu halten. „Bootsunglück – EU sieht keine Mitschuld“, „Terror erschüttert Saudi-Arabien“, „Ägypten feiert neuen Suezkanal“, „Griechenland-Hilfspaket könnte sich verzögern“, „Innenministerium wusste früh von Ermittlungen“. Das ist alles noch ganz frisch, jeder, der es lesen kann, weiß, worum es geht. Man könnte Wetten abschließen, ab wann welche Überschrift erklärungsbedürftig ist.
Besonders dankbar sind die Späteren immer für Hinweise auf das Wetter, auf den Tag genau. Da sind die Epochen wie Nachbarn am Zaun, unter den Wolken rücken sie zusammen. Also, als Höchsttemperatur für diesen Tag waren 38 Grad angekündigt, und überwiegend werde die Sonne scheinen, am 7.8.2015 in Deutschland. Das traf zu. Jetzt ist sie untergegangen, und auf einmal ist wieder Hochbetrieb, die Schritte klackern und stapfen, und ich muss vorm Boarding schnell noch eine rauchen. Wieso? Das, Späterer, erklär ich dir später…
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