Goethe war auch nur neidisch

Das klassische Cabrio hat 1 PS und zwei Räder, also jenes, in dem schon die Klassiker fuhren. Goethe, 40 Jahre alt, hob es in einem Brief an seine Freundin eigens hervor, als er mal in einem Einspänner mit vier statt zwei Rädern fuhr. Cabriolets benutzte er sonst selten, es waren schon damals Luxusgeräte, und etwas abfällig erwähnte der Dichter die „Poesie der Leute auf den Sophas und in den Cabriolets“, derer also, die es bequem im Leben haben. Goethe war selbst nicht gerade mittellos, aber „etwas zu leiden sind wir bereit“, so umriss er seine Haltung gegenüber der Weltsicht der Cabriolisten. Es verläuft eine bruchlose Linie von den offenen Kütschlein zu den Cabrios von heute. Sie sind Luxus, und vom Laffen bis zum Leader benutzt man sie, um sich zu zeigen.

Das macht die Leute neidisch, erst recht, seitdem die Verdecke sich wie von Geisterhand entfalten und wieder zusammenlegen. Früher wurde man für den Neid auf Cabriofahrer ja noch ein wenig entschädigt, wenn man sie am Straßenrand die Plane aus der Versenkung zerren sah, weil sich ein Wölkchen vor die Sonne schob. Aber die james-bond-artigen Szenen, die uns jetzt die omnipotenten Kraftwagen bieten, sind schwer zu verknusen. Obwohl der Vorgang in seinen Grundzügen ja nicht komplexer ist als eine Knoblauchpresse, finde ich es faszinierend, zuzusehen, wie ein Auto sich selbst einen Hut aufsetzt. Dass aber der Besitzer sich in meinen Blicken sonnt, das nervt.

Neulich beobachtete ich vor einem Parkhaus die Neidattacke zweier Männer in einem Billigauto, die in der Schlange hinter einem Cabrio standen und zusehen und abwarten mussten, wie das Verdeck sich elegant zusammenlegte. Sie hupten wie die Blöden, und man konnte ihnen ansehen, dass sie so etwas wie „Komm in die Gänge, du Arsch“ riefen. Dabei hätten sie selbst sich in dem schicken Auto wahrscheinlich doppelt so viel Zeit gelassen und noch betont lässig die Arme rausgehängt. Gegen den Cabrioneid, der in jedem von uns Schachtelfahrern steckt, gibt es abgesehen vom Buddhismus eigentlich nur eine gute Therapie: Sich selbst einmal von Fahrern teurer Freiluftwagen beneiden lassen.

Dafür genügt ein kleiner Oldtimer als Leihgabe für einen Tag. Ich bekam einmal von Freunden einen Fiat Spider geliehen, wunderschönes 60er-Jahre-Design. Wo immer ich fuhr, drehten sich die Leute um, und als ich neben einem aufgeblähten Roadster zu stehen kam, guckte der Fahrer scheel. Sein Hydraulikdach half nichts, der rote Spider siegte durch Schönheit und Bodennähe. Dieses Cabrio hat seine Gattungsbezeichnung wirklich verdient von „cabrioler“, was „Luftsprünge machen“ heißt und seinerseits vom italienischen „capriola“, Bockssprung, kommt. Man spürt jede Delle. Schon die Einspänner der Klassik hüpften so über die Straßen. Dass Goethe sie mit Sofas verglich, ist eigentlich seltsam. Ich glaube, er war doch ein bisschen neidisch.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Er erschien zuerst im Juli 2008 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und zuletzt 2012 im Kolumnenband “Mann, Frau, Affe” im Zu Klampen Verlag.