Himmelsfenster mit vier Palmen

Ach, Malle! „Na, auch zum Ballermann?“, wird unsere Sopranistin vom Sicherheitsbeamten in Hannover gefragt. Nett gemeint. Aber da lärmen auch schon die kurzgeschorenen Mittdreißiger in weißen T-Shirts, vor denen sie dann sitzen muss. Sie übersteht den Flug nur, indem sie sich über Kopfhörer das bordeigene Audioprogramm antut und sogar Andrea Berg noch erträglicher findet als das, was die Ballermänner hinter ihr hören lassen. Und die Damen hinter mir! Was die so von sich geben, vor allem die Blondine! Vielleicht ist es wirklich nicht so schlimm, wenn sie nicht wählen gehen.

Im Flieger nach Malle wird erstmal jedes Klischee krachend bestätigt. Ich habe schon vorher gewissen Personen von Stand nur mitgeteilt, ich begäbe mich „auf Konzertreise nach Spanien“, damit sie nicht pikiert die Braue heben: Auf Mallorca macht der Musik? Da, wo sie Bier aus Eimern trinken? Aber es gibt dort tatsächlich auch Kreise, die keinen Aufwand scheuen, um von elf Musikern protestantische Sakralmusik aus dem Thüringen des späten 17. Jahrhunderts aufführen zu lassen. Und aus dem Jahrhundert stammen die einzigen Ballermänner, die sie mögen, eiserne Geschütze vor der Kathedrale.

Die sandgelbe Kathedrale von Palma ist ein Wunder, und gleich daneben steht das eigentümlichste Bauwerk mit Blick aufs westliche Mittelmeer, der Palacio Real de la Almudaina, unser Arbeitsplatz. Es ist eine aufs zehnte Jahrhundert und die Araber zurückgehende Festung, in der sich ein Gewirr von Sälen und Gängen entwickelte im Laufe der Zeit, ein Empfangspalast der spanischen Könige mit einem atemberaubend schönen Innenhof. Vier Palmen in der Mitte und ein Brunnen, Steinlöwen, Balkons aus der Renaissance, romanische und gotische Bögen. Wer da den ganzen Tag probt, gerät aus der Zeit heraus.

Wenn man nach oben blickt, in das große Rechteck, das die Dachkanten bilden, spürt man die Weite des knallblau seidigen Septemberhimmels – und sieht Wolken in zwei Richtungen segeln. Die spanische Flagge mit dem Königswappen flattert zum Meer hin, während von dort weit oben lichte Flöze aus Zirruswolken angeweht kommen. Da kann einem schwindlig werden. Unterdessen taucht hinten im Hof, halb unter Arkaden, immer mal ein Auto auf, um dann durch ein Tor in Richtung Kathedrale zu verschwinden. Oder ein Motorrad. Oder ein Militärjeep. Mitunter auch Sammlerstücke.

Wer weiß, was noch alles in den Tiefen des Palastes parkt. Man würde sich nicht wundern, wenn auch mal ein mittelalterlicher Reitertrupp hochkäme, gefolgt von ein paar Sarazenen … Und das Publikum, das abends den Hof füllt, hat die Ausstrahlung einer höfischen Gesellschaft. Unwillkürlich hält man Ausschau nach dem Königspaar. Abendwinde wirbeln von den Mauern, als wir beginnen, aber wir sind vorbereitet. Die Wäscheklammern an den Noten wirken wenig festlich, manchmal schwankt ein Pult bedrohlich. „Estás, oh Dios, encendido de ira hacia mi?“ Nein, der Allmächtige ist uns wohl gesonnen, alles geht gut.

Nach diesem Abend scheinen mir am nächsten Morgen auf dem Rückflug selbst die deutschen Ballermänner ein wenig verwandelt. Nicht mehr so laut, fast ein wenig vergeistigt. Vielleicht machen sie ihrerseits auf dieser Insel spirituelle Erfahrungen, von denen wir nichts ahnen? Malle kann auch ganz bueno sein.

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