Kein, keiner, am keinsten

Das jüngste Beispiel kommt aus Hamburg, vom ersten Piratenprozess auf deutschem Boden seit 400 Jahren. Der deutsche Verteidiger der somalischen Seeräuber fand, dass der Staatsanwalt die sozialen Umstände der Kriminellen nicht genug berücksichtige. Er werde sogar seiner Rolle „in keinster Weise“ gerecht. Ich hatte bis dahin schon fast Verständnis entwickelt für Männer, die mit Maschinenpistolen auf Besatzungsmitglieder feuern, so eingehend schilderte der Artikel das Elend in der Heimat der Angeklagten, aber jetzt stutzte ich, wie immer, wenn ich diesen Pseudosuperlativ höre oder lese: „In keinster Weise“.

Der epidemische Gebrauch des „keinst“ ist nicht neu. Schon vor fünf Jahren fand es ein genervter Surfer bei Google 900.000 Mal. Und schon vor 36 Jahren stellte Eike Christian Hirsch es in „Deutsch für Besserwisser“ in eine Reihe mit beliebten Wortverdrehungen der 1970er: „Noch und nöcher. In keinster Weise. Pirmanonsens. Noblenz-koblenz…“ Damals wurde die „keinste Weise“ also noch spaßig gebraucht. Man wusste, sie war schräg. So sieht sie noch der aktuelle Duden online, der die Wendung als „umgangssprachlich scherzhaft“ durchgehen lässt. Aber wer sie heute gebraucht, versteht keinen Spaß.

Was mich an ihr stört, ist nicht so sehr, dass es ein falscher Superlativ ist, da man ein Pronomen nicht steigern kann, schon gar kein „unbestimmtes Fürwort“, noch weniger ein so absolutes unbestimmtes Fürwort. Weniger als nichts geht nicht, solange nicht die Teilchenkollisionen im CERN Schwarze Löcher in die Sprache schlagen. Mich stört, dass diese Verdrehung gerade den Leuten zwischen den Zähnen herausfährt, die es richtig, richtig ernst meinen und keine weitere Diskussion wünschen. Wenn selbst Juristen sich ihrer bedienen, ist es kein Wunder, dass die Rechthaberei so um sich greift.

Beim „Wortschatz“-Portal der Uni Leipzig, das täglich automatisch Online-Veröffentlichungen wortstatistisch auswertet, finden sich „keinst“-Zitate von Aufsichtsratvorsitzenden, Politikern, Ministeriumssprechern und auffallend oft Jürgen Klinsmann, der sogar „in keinster Sekunde“ an den Abgang dachte, ehe er ging. Oft geht es um Dementi und heiße Eisen. Zensur, Militär, Banken, Fußball. Und jeder zweite User, der sich in einem Internetforum aufregt, versucht den Schaum vorm Mund mit „keinster Weise“ zum Argument zu nobilitieren. Die Wendung ist fast schon ein Indiz für Demagogie.

Mittlerweile sind die Piraten verurteilt, zu Haftstrafen zwischen zwei und sieben Jahren. Der Richter sagte: „Die Behauptung, arme somalische Fischer hätten gar keine andere Wahl, als sich der Piraterie zu verschreiben, ist unzutreffend.“ Er sagte nicht, sie sei „in keinster Weise zutreffend“. Zwei der Piraten sind erst neunzehn und haben ihre Strafe schon im Arrest verbüßt. Sie sind jetzt frei und gehen in Hamburg zur Schule. Dass ihr Deutschlehrer mit der Sprache so behutsam umgeht wie ihr Richter, ist in jedester Weise wünschenswert.