Wenn Bach in der Kirche stört

Eine Freundin von mir orgelt ab und zu in Gottesdiensten. Neulich kam etwas Neues dazu: In der Kirche wurde meditiert, ob sie die passende Musik machen könne? Sie versuchte es mit Bach, aber das passte nicht. Mental viel zu anstrengend, dabei komme man nicht zur Einkehr und Ruhe. Man werde nächstes Mal CDs nehmen. Es gibt genug von diesen Wellness-Kompilationen. Eso-Geklingel, weichgekochte Gregorianik, flauschige Pentatonik, was man halt so zur Massage braucht. Jetzt also auch in Kirchen, sie versuchen ja alles. Ich kriege davon nicht so viel mit, ich bin kein Kirchgänger.

Allerdings spiele ich oft Sakralmusik, in Kirchen wie in Konzertsälen, und bin vollkommen überzeugt von ihrer Größe, egal, ob es katholische oder protestantische, lateinische, italienische, deutsche Texte sind. Monteverdi und Verdi, Buxtehude und Bach, Mozart und Beethoven – der Wahnsinn! Natürlich werden die Werke nicht geändert. Egal ob es lateinische Messtexte oder rankenreiche deutsche Barockdichtungen sind, gespielt wird, wie es da steht, und bis jetzt hat noch kein Zuhörer erklärt, er habe als Mensch der Gegenwart „ganz andere Bedürfnisse“ und suche nach „neuen Ausdrucksformen“.

Diese Begriffe fand ich jetzt in einem Gemeindebrief. Der Pastor erzählte von seinen Erfahrungen mit Konfirmanden. Sie wünschten sich, „dass unsere Gottesdienste lebendig, verständlich, unterhaltsam und abwechslungsreich“ sind. Wenn ich ab und zu doch mal in einen Gottesdienst gerate, merke ich, dass diese flockigen Kriterien längst die erstaunlichsten Verrenkungen hervorbringen, kuriose Mischungen aus Exegese und Leitartikel, eilfertiges Aufgreifen gerade geläufiger Reizthemen, zwischendurch neue Kirchenlieder irgendwo zwischen Gospel und Kitsch mit handgesägten Reimen.

Im venezianischen San Marco, wo im 17. Jahrhundert ein ungeheurer Schatz von Kirchenmusik entstand, hörte ich fromme Schlager in Terzen von der Empore triefen; Monteverdi muss da im Grab rotieren. Vielleicht ist es schräg, große Sakralmusik mit einem kleinen Gottesdienst zu vergleichen, aber jedenfalls sind die Konzerte besser besucht. Womöglich schätzen die Leute die Herausforderung durch eher nicht unterhaltsame, dafür aber formal strikt durchorganisierte Bemühungen großer Geister um Transzendenz.

Ich will nicht, dass in Kirchen wieder zu Kreuzzügen aufgerufen und der Ehebruch gegeißelt wird, aber etwas Stolz einer steinalten Institution würde mich als Konfessionslosen mehr interessieren als ein Serviceanbieter, der die Leute „abholt“ und Fun & Wellness mit einem Kreuz oben drauf organisiert. Eine Punkattacke wie die von Pussy Riot in der Moskauer Kathedrale würde bei uns komplett verpuffen. Jeder würde denken, es ist eine coole Konfirmandenaktion! Diese Toleranz ist ja wunderbar. Aber wenn Bachs Choralvorspiele in der Kirche stören, kriegt der Populismus selbst schon etwas Intolerantes. Und vor dem möchte man irgendwo auch mal sicher sein.