“Auf einmal kam Ascheregen vom Bühnenhimmel”

Annette Dasch hat ein Faible für die Operette- und die “Czárdászfürstin” von 1915 wurde für sie zur Brücke über die Stille des Sommers 2020. Eine Begegnung und ein Telefonat mit der Sopranistin

Die Csárdásfürstin

«Mir ging das Herz auf», sagt Annette Dasch am Telefon über die erste Probe zur Csárdásfürstin, die in Zürich nach drei Monaten Zwangspause stattfand, im Juni. Da habe sie gemerkt, was ihr wirklich fehlte. Nicht das Auftreten und der Applaus, wie viele vermuteten. «Nein, das Miteinander im Probenraum! Einfach zur Arbeit gehen und mit anderen zusammen sein und mich freuen, was die anbieten, was entsteht, an Auseinandersetzungen, an Humor, nach so langen Wochen im Garten mit immer denselben drei Gesichtern…» Wobei die ihr sehr lieb sind, ihr Mann und ihre Kinder, und es ihr geholfen hat, «von Tätigkeit zu Tätigkeit zu leben: Jetzt muss Frühstück gemacht werden, jetzt lese ich mal wieder Jim Knopf vor.» Doch es kamen auch viele Gedanken.

Dass die Csárdásfürstin das richtige Stück für eine seltsame Zeit sein könnte, zeichnete sich schon an jenem sonnigen Rosenmontag ab, als ich die Sopranistin zum ersten Mal traf, eine hochgewachsene, strahlende Frau mit lockiger Löwenmähne. Regisseur Jan Philipp Gloger hatte im Spiegelsaal dem Ensemble sein Konzept für die Operette erläutert, die Emmerich Kálmán vor dem Ersten Weltkrieg zu komponieren begann und im Krieg vollendete. Fünf Megareiche werden per Jacht in die Klimakatastrophe schippern, und Sylva Varescu, die «Csárdásfürstin», als besseres Escort Girl mit an Bord gehen… Einen Tag nach diesem Treffen meldete die Schweiz ihren ersten Covid-19-Fall. Drei Wochen später wurden die Proben abgebrochen, zur Freude von Fanny und Hans, acht und sechs Jahre alt, die ihre Eltern – beide sind Sänger, Annette ist mit dem Bariton Daniel Schmutzhard verheiratet – nun immer bei sich hatten. «Mir kamen in der Zeit viele Gedanken über die Notwendigkeit dessen, was wir tun. Ich habe mir erlaubt, mir vorzustellen, was geschieht, wenn der ganz grosse Rummel aufhört. Ob es nicht an der Zeit ist, die Dinge anders zu machen, als immer wieder die alten Stücke aufzuführen. Jetzt gerade hatte ich mit meinem Mann einen Duettabend, open air, kleines Publikum, Schubert. Diese Details, an denen wir uns abarbeiten, Legato herstellen und die Wortdeutlichkeit bewahren, diese Farbe auf dieser Silbe – ich weiss so viel über diese Musik, aber für wen?»

Interessant, dass gerade Annette Dasch solche Fragen zulässt. Sie kennt ohnehin Zweifel und Brüche, mochte sich nie festlegen lassen, hat als moderierendes Naturtalent ein neues TV-Kultur-Format entwickelt, den «Dasch-Salon», und schon beim Treffen im Februar skeptisch über die «Liebe zum Vertrauten» gesprochen. Beim Opernpublikum gehe sie manchmal so weit, «dass die Traviata so und so sein muss, immer gleich, wie Weihnachten. Dafür ist das Theater nicht da.» Wohl gerade weil sie sich über so etwas Gedanken macht, hat die Fortsetzung der Proben im Juni sie begeistert. «Kurios ist das richtige Wort. Wir standen da, Endzeit in der Antarktis, haben gelacht und gesagt, das kann doch gar nicht sein, derartig passend, das Konzept ist schon lange entworfen!»

Dazu kommt, dass das Genre Operette für Annette Dasch «gar nicht dieses Geigenseligkeitsding ist. Es gibt total unvorhersehbare Momente, in denen die Musik eine Schicht berührt, wohin kein Wagner dringt. Und kein Mozart. Ich habe schon so viele Fledermäuse gemacht, und immer noch passiert es, dass einer singt, ‹Brüderlein und Schwesterlein›, und ich bekomme eine Gänsehaut. Es gibt auch in der Csárdásfürstin so eine Melodie für Sylva und Edwin, wo etwas passiert bei mir – das ist überhaupt nicht kitschig, nur simpel und wahr.»

Musik hat sie wie ihre drei Geschwister von Anfang an gemacht, als Tochter der Berliner Sängerin Renate Dasch. «Ich habe alles mitgenommen, was es am Gymnasium gab. Schulchor, Schulorchester, Klarinette… und mitten in der Pubertät fing ich an, mit einer sehr fraulichen Stimme zu singen. Der mädchenhafte Hauch war völlig weg. Ich konnte Sängerinnen imitieren und habe im Schulchor losgeschmettert mit einer nicht kleinen Stimme. Das war aber gar nicht in Mode, sondern die Alte Musik.» Dass man sie abschätzig eine «Walküre» nannte, traf die Heranwachsende. «Ich dachte, wenn ich mit meinem riesigen Körper jetzt auch noch so singe… dazu konnte ich nicht stehen!»

Also hielt sie sich an Barockstars wie die ätherische Emma Kirkby, unterstützt von ihrer ersten Gesangslehrerin, «alles sehr vordersitzig, leicht, ohne Vibrato. In der Pubertät hat man Angst vor vielen Dingen, und mit fünfzehn, sechzehn wollte ich nur geistliche Musik singen. Oper war für mich oberflächliches Chichi! Dann hat mich ein Freund mitgenommen in eine Generalprobe der Götterdämmerung. Da habe ich erlebt, wie Deborah Polaski sang, diese riesige Frau mit ihrer riesigen Stimme, und kapiert, was das bedeutet, wenn so eine einfach mal ganz aufmacht! Dann habe ich mich langsam, mit vielen inneren Kämpfen, dem Klang genähert, der mir natürlicherweise gegeben ist.» Der Dirigent Fabio Luisi hörte die 24-Jährige bei einem Wettbewerb. «Er hat mir grosse Romantik zugetraut. Bei ihm habe ich gelernt, wie man sich Strauss und Wagner so nähert, dass der überbordende Eindruck entsteht und doch der analytische Blick bleibt, zwei Zentimeter Distanz zwischen dem Stück und mir selbst.» Enorm wichtig war auch Nikolaus Harnoncourt. «Er konnte eine Arie vom Anfang bis zum Ende schon im ersten Ton denken. ‹Ich sehe, dass Sie Takt für Takt singen und nicht schon bei der Apotheose sind.› Da ging mir ein Universum auf. Man muss nicht unbedingt etwas zeigen, aber denken.»

Eine, die mit 34 Jahren als Elsa in Bayreuth debütierte und ein Jahr später als Figaro-Gräfin an der MET – kennt die überhaupt Lampenfieber? «Eher zunehmend! Die Erwartungen werden grösser, und man hat auch mehr Narben. Manchmal kommt das wie durch die Brust ins Auge – warum jetzt, warum heute? Man muss sich deswegen nicht geisseln. Dann geht’s halt mit schlotternden Knien da raus. Abenteuerlust gehört auch dazu.» Und ein Plan B, wenn auch nur als Spiel der Fantasie: Ein zweites Leben als Dachdecker. «Drei Jahre lang das Handwerk lernen und es bis zur Rente ausüben, unter freiem Himmel! Das hat mich mal gereizt. Man hat was geschaffen, und es sieht ja auch toll aus, so ein Dach, wenn die Schindeln genau übereinander gehen…»

Das erzählte sie lachend im Februar. Inzwischen klingt sie keineswegs, als sei das Dachdeckerdasein infolge Lockdown zur ernsthaften Option geworden. Im Gegenteil, gerade ihre Ungewissheiten scheinen in der neuen Produktion bestens aufgehoben zu sein. «Als wir den Schluss probten, wo wir in den Antarktis festsitzen, kam auf einmal Ascheregen vom Bühnenhimmel. Normalerweise werden Sänger auf so etwas vorbereitet, diesmal nicht. Der Dreck flog kübelweise, wir waren total überrascht und haben gelacht, geheult, gehustet gleichzeitig. Es war so eine Endzeitstimmung: Scheissegal, her damit! Lorenzo, unser Dirigent, sah das, und meinte, so müsst ihr das immer spielen! Und so fühlt man sich ja auch die ganze Zeit mit Corona, wie ein begossener Pudel.»

Immer neue Hürden, eine kalte Dusche folgt der andern. Wie geht die Csárdásfürstin mit schrägen Zeiten um? «Sie hat nichts mehr vom glamourösen Star, vor dem die Leute halb in Ohnmacht fallen. Sie ist Entertainerin auf dem Boot. Edwin ist wirklich in sie verliebt, weil sie ein guter Typ ist, impulsiv, schnell und heiter. Wenn die Stimmung kippt, kann sie alle dazu bringen, Party zu machen. Eine Stimmungskanone.» Mit Wärme sagt Annette das am Telefon, während eines ihrer Kinder die Mama bittet, jetzt doch mal fertig zu werden, und es besteht kein Zweifel, dass in dieser Rolle auch einiges von ihr selbst mitschwingt. Dazu gehören, nicht zuletzt, der Zweifel und die Fragen, die man braucht, um Kunst zu einer wahren Antwort werden zu lassen.

Dieser Text entstand für das MAG 77 der Oper Zürich, erschienen im September 2020 – online auch hier zu lesen – und ist urheberrechtlich geschützt. Das Szenenfoto aus der “Czárdásfürstin” – mit Annette Dasch in der Mitte – machte Toni Suter.