Noch bis vor zehn Jahren hat sie gekellnert, um durchzukommen. Inzwischen singt die Sopranistin in Bayreuth. Ein Treffen mit Daniela Köhler, die jetzt ihre erste Ariadne an der Oper Zürich gestaltet
Sie geht zielstrebig durch das rappelvolle Café am Limmatufer, als wäre da ein Tisch für uns reserviert. Dann dreht sie sich lächelnd um: „Der passt doch, oder?“ Tatsächlich. Das ruhigste und schattigste Plätzchen ist zufällig frei, in der Ecke unter Bäumen. So muss das wohl sein, wenn die Götter ihre Hand im Spiel haben wie in so vielen Opern, in denen Daniela Köhler singt – jetzt gerade hat sie Ariadne auf Naxos geprobt. Dass sich ins Terrassengespräch bald der Lärm einer nahen Großbaustelle mischt, passt aber auch. Diese Sopranistin ist nicht darauf bedacht, irgendein hehres Image zu pflegen. So schlackenlos die Töne ihrer Sieglinde, Brünnhilde, Salome, Ariadne leuchten, so geerdet ist sie, so offen erzählt sie. „Vor fünfzehn Jahren habe ich die Partie schon mal gelernt“, sagt sie über die Ariadne, die sie jetzt erstmals verkörpert, „da war ich in Karlsruhe im Opernstudio. Meine Stimme war noch an einem ganz anderen Punkt. Ich atme jetzt anders, tiefer, dadurch ändert sich die Position der Muskulatur während des Singens, vom Beckenboden bis zum Kopf. Deshalb war es jetzt wichtig, die Partie neu zu lernen.“
Viele Details gehören dazu, die auch die Unterschiede zwischen Wagner und Strauss beleuchten, sozusagen ihren Hauptkomponisten. „Bei Strauss muss man an manchen Stellen filigraner sein. Wenn Ariadne singt ,wie leichte Vögel‘, ein hohes a, dann sollte man sich auf diesen Ton nicht zu sehr draufsetzen. Bei Wagner, wenn´s nach oben geht, darf man ein bisschen was geben. Bei Strauss ist es oft schön, wenn´s zurückgeht.“
Mit besonderer Sensibilität hat Richard Strauss ja auch die Psyche dieser Frau erkundet, die von ihrem Geliebten Theseus auf einer Insel zurückgelassen wurde und ahnt, dass er sie sitzenliess. Eine nicht nur antike Situation. „Dass eine Frau auf einen Mann wartet, das gibt es, glaube ich, öfter“, sagt Daniela Köhler lachend. „Aber sie ist da ja gestrandet, so lange, dass sie schon ans Sterben denkt. Im Prinzip könnte sie auch schon seit dreißig Jahren warten.“ Würde das szenisch mit ihr funktionieren? Besonders weit von der 30 ist die Sängerin offenkundig nicht entfernt. „Auf der Bühne geht ja alles“, meint sie. „Man kann zu jedem werden, sowohl optisch als auch emotional, wenn man tief genug eintaucht.“ Nicht in jede Rolle taucht sie ohne Mühe ein. „Wenn ich den Text von Brünnhilde lese, kann ich vieles nachvollziehen, bei Sieglinde auch. Salome fand ich immer menschlich schwierig. Und Elektra, eine erschreckende Figur! Was die durchgemacht hat, um an diesen Punkt zu kommen! Da ist man manchmal auch froh, dass man nicht so sein muss.“
Ariadne ist ihr da näher. „Wenn sie singt, ,ein Schönes war, hieß Theseus-Ariadne, und ging im Licht und freute sich des Lebens‘ – diese Euphorie, wenn man verliebt ist, ist ja sehr leicht nachvollziehbar. Und die Ernüchterung, wenn man da wartet, und er kommt nicht wieder… Sie kommt mir relativ gesund vor!“ Und wie ist es mit ihrer anderen Rolle in diesem Opernhybriden zwischen Antike und Entertainment, der Primadonna im Prolog? Eine Karikatur? „Nein! Ich finde, mit dem Gedanken darf man nie an eine Partie herangehen. Die Person, die ich darstelle, nimmt sich selbst ja ernst. Deshalb muss ich die auch ernst nehmen, egal, ob ich die mag oder nicht oder schräg finde. Sie ist ja ein Mensch mit Anliegen, Bedürfnissen und Sorgen, und sie ist es auch, die dann die Ariadne spielt. Die Ariadne hat durch das Warten eine gewisse Passivität entwickelt, sie schaut nach außen und versucht ihre Schlüsse zu ziehen. Die Primadonna erwartet dagegen, dass sich die Umwelt auf sie einstellt.“
So eine ist Daniela Köhler selbst wahrhaftig nicht. Dazu war der Weg zu lang und zu steinig, den sie bis zu ihrem Durchbruch gegangen ist, bis zu dem Tag vor sieben Jahren, an dem sie in Bayreuth vorsang. Auf diesen Weg kam sie halb zufällig. Aufgewachsen in einem Städtchen bei Karlsruhe, lernte sie wie ihre Schwester ein Instrument und sang in Chören. „Unsere Eltern hatten keine musikalische Ausbildung, wollten aber, dass das Teil unseres Lebens wird.“ Als ihr Klarinettenlehrer merkte, dass die Motivation nachließ, „so mit fünfzehn“, schlug er ihr Gesangsunterricht vor. „Das habe ich relativ unbedarft gemacht. Ich konnte mir ganz lange nicht vorstellen, dass Sänger ein richtiger Beruf ist, mit dem man seinen Lebensunterhalt verdient.“ Als sie nach dem Abitur als Gesangsstudentin in Stuttgart aufgenommen wurde, rechnete sie mit einem Job als Musikschullehrerin. Stattdessen bekam sie einen Ausbildungsplatz im Opernstudio Karlsruhe – und eine großartige Gesangsprofessorin.
„Den richtigen Lehrer zu finden ist eine sehr persönliche Sache. Das Instrument ist ja der Körper! Wenn man sich da mit einem Menschen nicht ganz wohl fühlt…“ Ingrid Haubold, die selbst einmal viel und gut Wagner sang, sei die einzig Richtige für sie gewesen.. Die Technik, die sie bei ihr lernte, hilft ihr noch heute. Und natürlich die Entdeckung von Wagners Musik. „Bei ihm hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, jetzt kann ich einfach loslassen, es strömen lassen, den Körper ganz öffnen!“ An der Hochschule hatte man dies Fach für sie „zu früh“ gefunden. „Da hatte ich beim Singen lange das Gefühl, dass ich die Luft anhalten muss, weil die anderen es sonst zu grob oder zu laut finden. Wagner hat mich unglaublich entspannt. Wenn der hohe Ton laut ist, dann ist er laut! Er hat dazu beigetragen, dass ich den Körper richtig einsetzen konnte.“
Aber dann stand Daniela Köhler mitsamt befreiter Stimme erstmal auf der Straße. Während gute junge Sängerinnen sonst meist vom Opernstudio ins Ensemble wechseln, wechselte in Karlsruhe die Intendanz; für die neue Leitung „war ich die Uninteressanteste im Haus.“ Bei hundert Theateragenturen bewarb sie sich, nur zehn würdigten sie einer Antwort. Dafür siegte sie 2010 beim internationalen Gesangswettbewerb in ´s-Hertogenbosch, wo der Casting Director des Liceu in Barcelona sie hörte. Sie sang ihm die Partie der Helmwige vor, eine von Wagners Walküren, und wurde damit für 2014 engagiert. „Bis dahin habe ich immer nebenbei gekellnert“, sagt sie. Als es endlich soweit war, lernte sie in Barcelona Heidi Steinhaus kennen, und die wurde ihre Agentin. „Ohne die Heidi wär´s nichts geworden“, sagt die Sängerin. Ein Vorsingen bei Katharina Wagner kam zustande, es folgte eine Zusage für Bayreuth 2020.
„Als es hieß, sie wird im neuen Ring singen, haben sich überall Türen geöffnet“, sagt Daniela Köhler, eher sachlich als jubelnd. „Leute, die mich nicht mal zum Vorsingen hatten einladen wollen, sagten, sie kann das bei uns natürlich auch so machen! Dabei war nicht mal klar, welche Rolle es sein würde.“ Es wurde die Brünnhilde im Siegfried, „aber erst 2022, denn 2020 blieben wir ja alle erstmal zu Hause.“ Es folgten ein weiterer Bayreuther Sommer und die Sieglinde in der Zürcher Walküre, begleitet vom Glück, unter Gleichen zu sein: „Die Kollegen, die mit mir Wagner sangen und singen, haben ja auch alle große Stimmen. Es ist eine unheimlich schöne Erfahrung, dass man sich nicht zurückhalten muss und den Duettpartner dabei noch hört.“
„Vielleicht ist das eine unpassende Frage: Gibt es aus der Kellnerinnenzeit etwas, was Sie mitgenommen haben in Ihren Beruf?“ Daniela Köhler antwortet fast schon in die Frage hinein. „Dass ich nicht der Mittelpunkt der Erde bin. Und dass es Leute gibt, die ganz andere Probleme haben, existentielle.“ Sie lernte unter den Kellnerinnen Frauen kennen, die ganze Familien durchbrachten, „die haben sieben Tage in der Woche gearbeitet, es waren tolle Menschen. Wir beschäftigen uns im Theater mit existentiellen Dingen, aber meistens haben wir selbst diese Probleme nicht. Und ich bin nicht das non plus ultra. Das ist auch gar nicht nötig.“ Sie lacht, stellt beiläufig die leeren Tassen und Wassergläser aufs Tablett, und ehe ich auch nur nachdenken kann, hat sie es schon auf der linken Hand und trägt es durchs Café. Gelassenen Ganges, profimäßig. Gelernt ist gelernt.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Er erschien im MAG 114 der Oper Zürich, September 2024. Premiere von Ariadne auf Naxos ist am 22. September 2024. Es dirigiert Markus Poschner, Regie führt Andreas Homoki.