Was Ordnung angeht, bewege ich mich zwischen Igor Strawinsky (Pingel) und Friederike Mayröcker (Messie). Ich bin eher wie sie und wäre gern mehr wie er. Zur Zeit gebe ich mich Fantasien hin, die selbst Igor, den Kontrollfreak, erbleichen ließen. Es geht um Spielzeug. Man ahnt nicht, wie weiträumig sich Spielzeug verteilen lässt. Bunte Teile überspülen die Wohnung, und hinter einem Wäschekorb findet man unvermutet zwei Holzscheiben, Legos, Fragmente einer Playmobilbahnschranke sowie eines geschmackvollen Personenzugs aus Holz. Und da ist noch eine Banane. Auch aus Holz, bloß gut.
Aber immer häufiger bekomme ich Perfektionsanfälle. Es genügt mir nicht, alles auf einen Haufen zu schieben. Vorhin habe ich sämtliche Bestandteile der Spielzeugküche nach Gattungen in die kleinen Schubladen geräumt. Wurst und Käse hier, Früchte da, Gemüse dort. Dann Besteck und Geschirr. Selbst die sechs hölzernen Schokoküsse kamen wieder in das Schächtelchen, in dem sie angeliefert worden waren. Sechs! Vollständig! Eine Freude vergleichbar der, die ein Kunstsammler beim Erwerb der letzten frei gehandelten Version von Munchs „Schrei“ erlebt – aber nicht mal für Millionen zu haben.
Eine gelbe Scheibe vom Steckspiel suche ich seit Wochen. Eine Zeitlang wurde sie verwendet, um eine Lücke des Personenzugs zu schließen, dessen Aufbauten ebenfalls auf Stäbe gesteckt werden können. Sobald dieser entzückende Zug wieder komplett ist, kommt er in eine Vitrine, Kinderhänden unerreichbar. Das Steckspiel auch. Und alle Legosteine werden nach Größen und Farben geordnet an ein gewaltiges Fries geheftet, das in zwei Metern Höhe die Wände schmückt. Ich möchte all diese schönen Sachen mal beeinander sehen! Defragmentiert!
Achja, und die Kinderbücher! Welch reizvolle Aufgabe, über Ordnungskriterien dafür nachzudenken. Größe? Thema? Herkunftsland? Wie schön wäre ein rein schwedisches Regal! Während ich schlagfeste Glasschaukästen unter dem Legofries aufbaue, dürfen Frido und Paul mit leeren Klorollen spielen, das fördert die Fantasie. Anschließend werden die Rollen datiert und archiviert… ja, anschauen dürft ihr das! Nicht anfassen! Das ist doch kein Spielzeug! Und vielleicht kann man an den Matchboxautos kleine Sender fixieren, zur Ortung?
In Wahrheit habe ich gerade mit buddhistischer Gelassenheit zugeschaut, wie Paul der zwängig sortierten Spielzeugküche die Freiheit wiedergab. Ich gehe in mein Zimmer, wo Frido ein paar Akten mit dem Locher traktiert, sehe souverän über die sich ineinanderschiebenden und teilweise schon paarenden Papierstapel hinweg und freue mich, dass die Zeilen auf dem Bildschirm alle den exakt gleichen Abstand voneinander haben. Das ist doch schon was. Übrigens liegt da die gelbe Scheibe vom Steckspiel. Igor würde sie an ihren Platz bringen. Aber da bliebe sie ja nicht. Hier zwischen den Zetteln ist sie am sichersten, Kontrolle durch Chaos! Und so siegt erneut das Prinzip Friederike.
Der Artikel erschien am 19.1.in der HAZ und ist urheberrechtlich geschützt.