Da haben wir den Salat

Schweigen als Teil eines Rituals hat Tradition, bei Teezeremonien und Karthäusermönchen. Schweigen ist Gold, behauptet gar der Volksmund, der indessen oft da verstummt, wo er protestieren sollte. Schweigen kann Besinnung oder Feigheit signalisieren, aber selten war es so ambivalent wie im New Yorker Lokal „Eat“. Das macht jetzt von sich reden, weil dort geschwiegen wird. Wer quatscht, fliegt raus und muss vor der Tür essen. Erst wenn der Koch nach vier Gängen in die Hände klatscht, reden alle wieder. Der Laden ist ausgebucht.

Dass New Yorker ein gewisses Stillebedürfnis haben, kann man verstehen. Nicht nur im Straßenverkehr, auch in Kultlokalen wurden schon mal bohrmaschinenstarke 96 Dezibel gemessen, was sich auch der Abkehr von schweren Gardinen und hussenbehängten Stühlen verdankt. Eine Reporterin des „Guardian“ hat jetzt im „Eat“ mitgeschwiegen und war fasziniert, jede Umdrehung der Pfeffermühle in der Küche hören zu können, ehe sie sich,wie sie behauptet, in ihrem Salat verlor, durch nichts von den Aromen abgelenkt.

Rauchern hingegen, die schon lange überall vor den Lokaltüren stehen müssen, erschließt sich ein ganz anderer Aspekt. Ihr Verdacht, dass hinter rigorosen Verboten nicht das Motiv der Entgiftung, sondern der Entmündigung steckt, wird hier bestätigt durch Leute, die sich freiwillig mundtot machen lassen. Essen ist der kommunikative Akt schlechthin, seit an den ersten Höhlenfeuern die Sprache entstand. „Wer allein isst, stirbt allein“, sagen die Italiener. Mit dem Tischgespräch wird auch das Interesse am andern suspendiert.

Es sind die Pioniere der Unterwerfung, die sich einreden, der Salat beginne nun erst zu ihnen zu sprechen. „Kinder bei Tisch, stumm wie die Fisch´“, hieß es in der Kaiserzeit. Zum regressiven Amerika passt die Schwarze Pädagogik als Avantgarde hervorragend. Wir halten uns lieber an Englands großen Lebensphilosophen Dr. Johnson. „Der Mensch hat bis jetzt nichts erfunden, was so glücklich macht wie ein gutes Wirtshaus“, fand er vor 250 Jahren. Gerade dort genoß er „free conversation and an interchange of discourse… “

Der Text erschien am 19.10.13 in der HAZ und ist urheberrechtlich geschützt