Kategorie-Archiv: Kolumne

Eine Floskel macht Karriere

Selten konnte man Aufstieg und Verfall einer Redewendung so schön beobachten. Ich vernahm sie erstmals vor genau sieben Jahren in einem Hamburger Kino und mochte sie sofort und bin ihr treu geblieben, auch als sie Karriere machte, um sich griff, als jeder Depp sich mit dem immer dünner werdenden Hauch des Neuen, sanft Trotzigen dieser Wortfolge wohlfühlte. Dabei habe ich modische Floskeln sonst immer abgelehnt, vom dumpfen „und tschüss“ bis zum scheingebildeten „Firnis der Zivilisation“.

Ich war mit einer Freundin in „Fluch der Karibik“ gegangen, jenen Teil, von dem ich nur noch weiß, dass irgendwann Leute in einem überdimensionalen Hamsterrad einen Tropenwaldabhang hinabrollen, sehr lustig. Man wusste, dass man sich amüsieren würde, und kommentierte behaglich die Werbung vorweg, und zu irgendeinem peinlichen Detail irgendeines Werbeclips sagte meine Begleiterin, keine Hanseatin, aber nördlich unaufgeregt: „Das geht gar nicht“. Fand ich herrlich. Vielleicht war die Wendung da wirklich erst ein paar Tage alt.

Es war eine gelassen klare Positionsbestimmung, ein Verweis auf Maßstäbe, von denen man in einem gewissen Alter findet, dass sie objektivierbar sind, ohne dass man die Absicht hätte, sie weltweit durchzusetzen. Und es ging ja schließlich auch nur, sagen wir, um den geschmacklosen Henkel einer Tasche oder um ein vorsintflutliches Frauenbild in der Autoreklame. „Das geht gar nicht.“ Ehe ich sie selbst aussäen konnte, vernahm ich die Wendung schon hier und da und bald auch ernster eingesetzt, bei echtem Unmut.

Der Rest ist beschleunigte Sprachgeschichte, so sehr, dass ich nicht der erste, sondern eher hundertste Kommentator des Umstands bin, dass die Wendung seit dem 24. Oktober 2013 zum diplomatischen Wortschatz transatlantischer Beziehungen zählt. Es waren sehr schöne Gedanken dabei, einer zitierte Hegel, ein anderer malte sich aus, Angela Merkel hätte ja auch eine andere Modewendung nutzen können und zur Bespitzelung ihres Funkgeräts „Wie geil ist das denn!“ sagen. Ja, hey, da hätte sie Format bewiesen!

Eine mit 70.000 Unterschriften bewaffnete Petition, in der die Bundeskanzlerin zu einer „angemessenen Reaktion auf die NSA-Affäre“ aufgefordert wurde, hatte sie nicht zur Kenntnis genommen, es war da ja auch nur um die Überwachung aller gegangen. Selbst nun, da Merkel sich betroffen sah, sagte sie einen Satz, in dem das steigernde „gar“ letztlich mildernd wirkt, fast so wie „eigentlich“. Dezidiert und resigniert. Womit sie, das ist ihre Stärke, ein weiteres Mal präzise die Haltung der meisten Deutschen spiegelt.

Auf diesem Level zeigte die Floskel jene Passivität, der sie vielleicht ihren Aufschwung verdankt – just in Jahren, in denen die Welt in Schräglage geriet, aber die wenigsten sie retten wollten. Es ist einfach netter, im Kino zu sitzen und „das geht gar nicht“ zu sagen. Aber das geht nun leider gar nicht mehr.

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Da haben wir den Salat

Schweigen als Teil eines Rituals hat Tradition, bei Teezeremonien und Karthäusermönchen. Schweigen ist Gold, behauptet gar der Volksmund, der indessen oft da verstummt, wo er protestieren sollte. Schweigen kann Besinnung oder Feigheit signalisieren, aber selten war es so ambivalent wie im New Yorker Lokal „Eat“. Das macht jetzt von sich reden, weil dort geschwiegen wird. Wer quatscht, fliegt raus und muss vor der Tür essen. Erst wenn der Koch nach vier Gängen in die Hände klatscht, reden alle wieder. Der Laden ist ausgebucht.

Dass New Yorker ein gewisses Stillebedürfnis haben, kann man verstehen. Nicht nur im Straßenverkehr, auch in Kultlokalen wurden schon mal bohrmaschinenstarke 96 Dezibel gemessen, was sich auch der Abkehr von schweren Gardinen und hussenbehängten Stühlen verdankt. Eine Reporterin des „Guardian“ hat jetzt im „Eat“ mitgeschwiegen und war fasziniert, jede Umdrehung der Pfeffermühle in der Küche hören zu können, ehe sie sich,wie sie behauptet, in ihrem Salat verlor, durch nichts von den Aromen abgelenkt.

Rauchern hingegen, die schon lange überall vor den Lokaltüren stehen müssen, erschließt sich ein ganz anderer Aspekt. Ihr Verdacht, dass hinter rigorosen Verboten nicht das Motiv der Entgiftung, sondern der Entmündigung steckt, wird hier bestätigt durch Leute, die sich freiwillig mundtot machen lassen. Essen ist der kommunikative Akt schlechthin, seit an den ersten Höhlenfeuern die Sprache entstand. „Wer allein isst, stirbt allein“, sagen die Italiener. Mit dem Tischgespräch wird auch das Interesse am andern suspendiert.

Es sind die Pioniere der Unterwerfung, die sich einreden, der Salat beginne nun erst zu ihnen zu sprechen. „Kinder bei Tisch, stumm wie die Fisch´“, hieß es in der Kaiserzeit. Zum regressiven Amerika passt die Schwarze Pädagogik als Avantgarde hervorragend. Wir halten uns lieber an Englands großen Lebensphilosophen Dr. Johnson. „Der Mensch hat bis jetzt nichts erfunden, was so glücklich macht wie ein gutes Wirtshaus“, fand er vor 250 Jahren. Gerade dort genoß er „free conversation and an interchange of discourse… “

Der Text erschien am 19.10.13 in der HAZ und ist urheberrechtlich geschützt

Heute jagen wir mal einen Bischof

Lichtschächte erhellen einen mittelalterlichen Turmrest, der das Zentrum eines Saals mit gläserner Längswand bildet. Geschichte und Gegenwart führen Dialoge. Auch ein spätmittelalterlicher Wohnbau gehört zum Ensemble, der nach seiner Sanierung schon jetzt als „Musterfall nachhaltiger Denkmalpflege“ gilt. Zudem hat Architekt Michael Frielinghaus eine Kapelle entworfen, die „zwischen Zerbrechlichkeit und archaischer Wucht“ vibriert. Der F.A.Z.-Architekturkritiker gerät schier ins Schwärmen über das Ergebnis eines Bauprojekts, das offenbar jeden Cent wert ist, den es gekostet hat.

Genauer gesagt: mindestens 31 Millionen Euro, deren größeren Teil der Bauherr wohl an allen Gremien vorbei aus der Schatulle der katholischen Kirche geholt hat. Seine Amtsbrüder im Barock taten das ständig, wir verdanken ihnen viel Schönes. Heute bedarf der Vorgang der Klärung und der Konsequenzen. Es bedarf allerdings nicht der Hexenjagd, die derzeit veranstaltet wird, mit Menschenketten und Mahnwachen, mit Feuerschale und Gesang, mit moraldröhnenden Kommentaren auf den vorderen Seiten jener Tageszeitungen, deren Feuilletons weiter hinten die Schönheit des Baus besingen, mit „Bild“-Schlagzeilen zum „Protzbischof“ und höhnischen Vorschlägen, welche Luxuslimousine zu ihm passen könnte.

Während des Bischofs Rücktritt nur eine Frage der Zeit ist, amtiert noch immer ein Minister, der keine Verantwortung übernehmen mag für 668 Millionen Steuergeld. Soviel hat das Verteidigungsministerium für den „Eurohawk“ bezahlt, eine funktionsunfähige Drohne. Der Betrag entspricht 40000 Kitaplätzen oder zwölf Jahresetats eines Staatstheaters mit Oper, Schauspiel und Ballett. Irgendwann gab Thomas de Maizière zwar zu, er habe schon lange von Problemen gewusst, die seien ihm aber als lösbar dargestellt worden. Die Verantwortung wurde solange herumgereicht, bis sie verschwand. De Maizière durfte sich als Minister über einen großen Wahlsieg seiner Partei bei der Bundestagswahl freuen.

Vielleicht muss eine Summe nur groß und eine Interessenlage komplex genug sein, damit die Öffentlichkeit resigniert. Wo es um Waffenhandel, NAFTA oder Überwachung geht, blickt man halt schwer durch. Im Schatten solcher Vorgänge verschafft das Spotlight auf einen arroganten Bischof und einen Betrag, den jeder Häuslebauer kapiert, den Leuten solche Erleichterung, dass sie den Kunstsinnigen wie die Sau durchs Dorf treiben.

Vor zwei Jahren widerfuhr dem Bundespräsidenten ähnliches. Von den Vorwürfen gegen Christian Wulff blieb in etwa die Frage, ob ihm mal eine Übernachtung bezahlt wurde. Dazu werden demnächst in Hannover an 22 Verhandlungstagen 45 Zeugen aussagen. Es geht um 700 Euro. Soviel zur Verhältnismäßigkeit. Es ist die einer Gesellschaft, die lieber zehn Sündenböcke grillt, als einmal zu fragen, wofür in aller Welt man Drohnen braucht.

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