Jetzt lese ich das erst recht

Dass ich mal eine Buchbestellung als einen Akt des Widerstandes veranlassen würde, hätte ich noch bis vor kurzem nicht gedacht, nicht mal nach dem, was Edward Snowden enthüllt hat und dem zufolge, während ich das hier schreibe, jeder Geheimdienstler mit passender Ausrüstung mitlesen kann. Während die einen abgebrüht behaupteten, das sei doch nichts Neues, dürfte es auch eine Menge Leute wie mich gegeben haben, die es unvorstellbar fanden. Aber zumindest an der Anmaßung intransparenter Behörden zweifle ich nicht mehr.

Am vorigen Dienstag schrieb der deutsche Schriftsteller IljaTrojanow in der F.A.Z., er habe am Montag von Brasilien in die USA fliegen wollen, zu einer Diskussion auf einer Germanistenkonferenz in Denver, Colorado, wohlversehen mit Flugticket, Reisepass und gültigem ESTA (das heißt Electronic System for Travel Authorization und ersetzt das frühere Visum). „Kaum hatte die Mitarbeiterin der Fluggesellschaft meinen Namen eingegeben, hielt sie inne, stand auf und verschwand ohne Erklärung hinter einer Tür.“

Kurz vor Abflug erfuhr dann der 48-jährige, ihm sei die Einreise in die USA untersagt, ohne Angabe von Gründen. Nun kann sich das, wie die „Süddeutsche“ milde mutmaßte, „irgendeiner unergründlichen Laune des Systems“ verdanken (wobei das „System“, ob es nun Computer oder Bürokraten oder beides umfasst, in dieser Wortwahl auch schon auf den Rang griechischer Gottheiten gehoben wird). Aber Trojanow hatte schon im vergangenen Jahr größte Mühe, ein Arbeitsvisum für eine Gastprofessur in den USA zu erhalten.

Er ist mit Julie Zeh Autor des Buches „Angriff auf die Freiheit: Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte“. Er hat neulich eine Petition initiiert, in der Angela Merkel zu einer „angemessenen Reaktion auf die NSA-Affäre“ aufgefordert wird. „Wir erleben einen historischen Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstaat, nämlich die Umkehrung des Prinzips der Unschuldsvermutung hin zu einem millionenfachen Generalverdacht.“ 70.000 Menschen haben das bislang unterschrieben.

Ich nicht. Ich mag keine Massenaktionen, und ich habe, genau wie es Trojanow vielen Zeitgenossen unterstellt, mehr gefühlt als gedacht: „Das betrifft mich doch nicht.“ Aber nach seinem Bericht aus Brasilien wollte ich das Buch über den Sicherheitswahn bestellen und dachte unwillkürlich, dass zumindest ein Anbieter wie Amazon die Daten dieser Bestellung an irgendeine US-Behörde weiterleitet, wenn sie dort nicht sowieso gleich landen. (Mein Leben ist übrigens nicht so langweilig, dass ich durch Paranoia noch Pep hineinbringen müsste.)

Wenn ich aber vor einer simplen Buchbestellung zögere, ist es höchste Zeit, sie zu tätigen. Und zwar, genau, bei Amazon. Sollen doch alle, auch die, die nur das glauben, was sie unrechtsstaatlich herausfinden, erfahren, dass ein Einreiseverbot für einen kritischen Kopf die andern Köpfe nicht verschreckt, sondern weckt. Vielleicht weckt das irgendwann sogar die, die sich im Nebel mächtig fühlen.