Nu!“, ruft Paul begeistert, „Nu!“ Er streckt beide Hände aus, schraubt seine Rufe hoch bis zum dreigestrichenen „d“ und stürzt los, um die Katze zu liebkosen. Die gleitet so gelassen wie möglich vom Stuhl und verlässt dann blitzschnell die Küche. „Nu“ ist Pauls Verkürzung von „Minou“, und die hat ihren Namen, weil sie eine vornehme Halbfranzösin im gesetzten Alter von neun Jahren ist, fast fünf Mal so alt wie ihr feurigster Bewunderer und wohlweislich distanziert, was seine Huldigungen angeht. Gemessen an der durchschnittlichen Lebenserwartung einer Katze ist sie sogar schon 63 Jahre alt.
Die wenigsten Menschen stecken in diesem Alter eine komplette Umtopfung so gut weg wie „Nu“, die es sogar verkraftet, dass wir dem von ihrer Vorbesitzerin (aus Katzensicht gesagt: von ihrem früheren Personal) überlieferten Speiseplan nicht ganz folgen. Bis vor zwei Monaten nämlich erhielt sie täglich dreimal Hähnchenbrustfilet, 15 Minuten lang gar gekocht. Das würde unseren Etat sprengen, zeitlich wie finanziell. Die schwarzweiße Minou kriegt also dasselbe wie die nachtschwarze Zazou. Fertigfutter. Das verzehrt sie allerdings, um ihr Gesicht zu wahren, erst dann, wenn keiner zuguckt. Katzenehre!
Und natürlich hat sie es doch geschafft, uns ein bisschen zu erziehen. Ab und an stecken wir ihr Hühnerreste oder scheibchenweise Wiener Würstchen zu; sie arbeitet diskret daran, in dieser Hinsicht eine gewisse Norm zu etablieren. Im Grunde arbeiten wir alle an so etwas. Wenn zwei Erwachsene mit zwei Kindern umziehen und zwei verwöhnte Pelztiere dazukommen, muss jeder erstmal wieder seinen Platz finden. Frido zum Beispiel möchte am liebsten jeden Abend nicht in seinem, sondern im Bett seiner Eltern einschlafen, von wo diese dann nicht nur ihn, sondern öfters auch mal eine Katze wegtragen müssen.
Wenn ich bedenke, dass diese Pelzdamen inzwischen auch die Fensterbänke beider Arbeitszimmer sowie zwei Sofas als Stammplätze abonniert haben, kommt es mir vor, als würden wir derweil zu Nomaden im eigenen Haus. Frido hat seinen Reiterhof im Klavierzimmer aufgebaut, Paul zieht mit einem Koffer als Reisender durch alle Räume, seine Mama sitzt mit dem Laptop in der Küche, angeblich, weil das WLAN da besser ist. Und ich habe bis zum letzten Grillenzirpen am Gartentisch gearbeitet, wo das WLAN sogar noch besser ist und man rauchen darf…
Für die weitere Verunsicherung gibt es noch den unverschämten gelben Kater aus der Nachbarschaft, der durch die Klappe einsteigt, wenn kein Mensch in der Nähe ist, und die Näpfe leerfrisst. Minou und Zazou warten pazifistisch auf ihren Stammplätzen, bis er fertig ist oder ich ihn erwische. Frido ist fasziniert, dass dieses Tier so beharrlich etwas streng Verbotenes tut, „warum auch immer“, sagt er diplomatisch. Paul aber freut sich einschränkungslos, wenn er den Wilderer sieht. Er ruft ihn, wie er inzwischen alle Katzen ruft: „Nu!“
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