Der Mond ist aufgegangen…

Lange Winterabende? Die Kinder schlafen tief, die Eltern wickeln Geschenke ein, so stellt man sich das ja gern vor. Paul stellt sich das aber anders vor. Gerade jetzt geht ihm so viel durch den Kopf, dass er es im Bett einfach nicht aushält. Ohnehin ist er dort, wie sein Bruder, erst nach acht gelandet, und das mit den Geschenken haben wir auf zehn verschoben, weil man ja auch mal was essen möchte. Kaum ist das Huhn fertig, da steht er im Schlafsack in der Tür, mit fröhlichem Lächeln. „Paul“, rufe ich, und den Rest kennt er auch längst: „Du gehörst ins Bett.“ Ich schnappe ihn, bringe ihn zurück und zeige ihm seinen Hasen, der schon schläft.

Fünf Minuten später ist er wieder da. „Paul! Gleich essen wir, und dann gehen wir auch schlafen!“ Ah, und jetzt zu Tisch! Schlurfende Geräusche im Flur. „Jetzt bist du dran“, sage ich zu seiner Mama. Sie nimmt ihn in den Arm und geht vor die Haustür. Sie zeigt ihm Mond und Sterne und sagt ihm, dass sie träumen. Und dass auch alle Kühe und Pferde und Hunde im Dorf schon träumen. „Nu“, sagt er und zeigt auf die Katze Minou, die gerade aus dem Haus ins Freie huscht. Okay, die nicht. „Aber die schläft auch gleich. Und Frido schläft schon lange. Und du kannst jetzt auch schlafen.“ „Nein!“ Das Huhncurry und der Reis sind mittlerweile wirklich nicht mehr zu heiß.

21.30 Uhr. Schlurf, schlurf. „Paul!“ rufe ich. „Wir wollen jetzt mal alleine sein! Du kommst hier wirklich nicht zu kurz. Jetzt reichts!“ Er bricht in Tränen aus. „Meina Miisss!“ ruft er, er möchte noch ein Fläschchen Milch. Also gut. Warmmachen, ab ins Bett mit Knabe und Flasche, weiteressen. Danach bin ich zu erschöpft zum Geschenkeeinpacken und gucke mir einen Film über Martha Argerich an. Ihre Tochter Stephanie erzählt darin, sie habe als Kind machen können, was sie wollte. Allerdings war sie auch von einer Schar von Au-Pair-Mädchen und hilfreichen jungen Pianisten umgeben, so dass ihre Mama ihrerseits auch machen konnte, was sie wollte.

Während Martha Chopin spielt, höre ich von hinten Geschrei. Paul wird gerade zum fünften Mal ins Bett gebracht. Wie lange wird es dauern, bis er Frido aufweckt? Aber der schlummert tief. Er hat seinen großen Auftritt hinter sich, 2. König beim Krippenspiel im Kinderhaus. Die versammelten Eltern waren fast noch aufgeregter als ihre Kinder. Sie tuschelten, lachten und fotografierten, weswegen die drei Könige weitgehend auf ihren Text verzichteten, still wie ein Denkmal. Frido hat irgendwann zwischen den Zähnen hervorgepresst: „Betlehem, das war der Name!“ Und er war wahnsinnig stolz auf seinen blauen Königsmantel mit Goldborte. „Ich habe genau gehört, was du gesagt hast“, habe ich ihn hinterher gelobt.

Nichts weckt ihn auf. Und Paul schläft mit einem dritten Fläschen pünktlich zum Filmende ein. Mitternacht. Der Vollmond steht südlich überm Dorf und beleuchtet einen einsamen Raucher vor der Haustür. „Lange Winterabende“, sagt der irgendwann zu sich selbst, „herrlich.”