Rainald und der Grönlandwal

Rainald Goetz wird sechzig, das fühlt sich komisch an. Der coole Cruiser, der beinharte Blogger, den man sich nicht im entferntesten in einem jener Anzüge denken kann, die Spitzenmanager Johann Holtrop in Goetz´gleichnamigem Roman trägt – sechzig? Goetz war nie ein Berufsjugendlicher wie etwa der Blauglasbrillenträger Paul David Hewson, der unter dem Namen “Bono” für Geldpromis den Hofgrinser macht. Solche Leute altern schnell und sind ab fünfzig fossil. Aber Goetz ist fürs Erstarren zu autark, warum soll er nicht auch mal sechzig werden? Das ist doch, sagt man, eh „kein Alter“ mehr.

Tatsächlich werden Deutsche, die es bis vierzig geschafft haben, heute im Durchschnitt 80 Jahre alt. Im Durchschnitt! Im siebzehnten Jahrhundert war man(n) mit 50 spätestens Opa, mit 60 ein Greis, Leute über 70 wurden als Wunder bestaunt. Heute bewähren sie sich in großer Zahl als Babysitter und Dirigenten, Künstler und Konzernlenker. Wer in reichen Staaten mit siebzig stirbt, gilt als aus der Blüte der Kräfte gerissen, zugleich gehen junge Hüpfer mit sechzig in „Altersteilzeit“, aber vielleicht mit der Betonung auf „Steilzeit“.

Noch wohnt der 60 eine gewisse dunkle Note inne. Vielleicht wird sie sich auf die 70 verschoben haben, wenn Goetz auch die erreicht. Ansporn für jeden Schriftsteller ist Ernst Jünger, der immer älter wurde, bis es ihm im 103. Lebensjahr reichte. Ansporn für die Wissenschaft sind Funde wie die Muschel, die vor acht Jahren bei Island gefunden und nach der Mingdynastie benannt wurde, zu deren Zeit sie entstand: Die Molluske hatte 507 Jahre lang gelebt. Und in der Nähe trieb sich noch vor zwanzig Jahren ein Grönlandwal herum, der mit Mozart jung gewesen war: 211 Jahre zählte das Säugetier.

Da ist also noch Spielraum. Doch nicht nur da. Als Rainald Goetz in einem Amtsschreiben mal unkorrekte Angaben zu seiner Person las, notierte er im Blog: „falschen Schriftsatz hingenommen / falsches Alter anerkannt, weil wahr.“ Vielleicht ist er ja einfach für immer 53, es gibt solche Leute.

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