Stadttheater statt Theater?

Wer den Suchbegriff „Stadttheater“ auf der „Wortschatz“-Website der Uni Leipzig eingibt, die die Sprachpraxis täglich statistisch vermisst und zu jedem Begriff hunderte von Online-Beispielen versammelt, stößt auf reges Leben. Wer ins Stadttheater geht, auch. Und wer zum Berliner Theatertreffen ging, stieß auf das Stadttheater. So viele Produktionen kommunaler Häuser waren dabei, dass der „Tagesspiegel“ vermerkte: „Das zwischendrin gern mal totgesagte, wenigstens als erneuerungsresistent geschmähte Stadttheater, es behauptet sich doch immer wieder als Garant für Kunst, die aus dem Rahmen fällt.“

Kein Wunder, denn die Stadttheater haben sich gerade im Schauspielbereich schier neu erfunden in den letzten zwanzig Jahren – sie fördern Autoren, entwickeln neue Formen des Dokumentartheaters, arbeiten mit freien Gruppen zusammen. Sie riskieren und probieren auch sonst viel. In Chemnitz wurde eine Eötvös-Oper zum Hit, in Halberstadt gibt es eine Orchesterwerkstatt für Komponisten, in Bremerhaven betreibt man konsequent die Wiederentdeckung von Opernraritäten, und als „Stadttheater“ im Sinne lokaler Bindung bietet Hannovers Oper den gewagtesten „Don Giovanni“ weit und breit.

Nur der Basiswortschatz der Reisekritik bleibt erneuerungsresistentent. Als mutloses Mittelmaß gilt „das Stadttheater“ vielen, die den Überblick haben sollten, den Tunnelblick aber steil auf internationale Leuchtfeuer richten. Wehe, wenn da etwas dröge gerät! Dann hat man es in Avignon mit „nicht mehr als wichtigtuerischem Stadttheater“ zu tun, dann ist das Burgtheater nur noch „ein stinknormales Stadttheater, wie es auch in Hamburg, Berlin oder München steht“, dann enttäuscht Salzburg mit „gut abgehangener Stadttheaterästhetik“, dann „verkommt“ ein großes Haus zum, igitt, „Stadttheater“.

In dieser verschnarchten Perspektive taugt die Bühne mit lokaler Bindung nur als süße Kindheitserinnerung („Hänsel und Gretel“, ach ja, damals!) oder als Startrampe künftiger Opernstars und Tatort-Ermittler. So, als könne nicht viel taugen, was man mit dem Fahrrad anstatt mit dem Flugzeug erreicht. Es gibt ja auch Leute, denen der stadteigene Rembrandt erst auffällt , wenn er an eine Superschau in Amsterdam ausgeliehen wird. Wenn das nur dumm wäre, ginge es ja noch. Es ist aber auch fahrlässig vor einem finanziellen Horizont, der sich zwischen Freihandelsabkommen und Schuldenbremse verengt.

Dieser Text erschien am 5.9.14 in der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” und ist urheberrechtlich geschützt.