Heimito von Doderer hasste die Hausmeister, insonderheit die mächtigen Wiener Hausmeister, mit Inbrunst. Der Dichter wich schon vor dem Geruch ihrer Wohnungen mit Entsetzen zurück. „Foetor conciergus“ nannte er ihn. „Der Geruch einer geradezu furchtbaren Lebensgesinnung verharrt, sei’s in den Wänden, sei’s in der Luft, sei’s meinetwegen jenseits alles Physikalischen überhaupt – als ein zum immer wieder umgehenden Gespenst entarteter genius loci. Deshalb bleiben derartige Höhlen auch stets ihrem ursprünglichen Zweck erhalten“, schreibt er im Roman „Die Dämonen“.
Nicht gerade den Geruch, aber die „furchtbare Lebensgesinnung“, zu der eine gewisse Übergriffigkeit gehört, gibt es noch immer. Es gehört zu den raren, wenn auch nicht unbedingt kostbaren Momenten im Leben, wenn einen längst zu Literatur gewordene Alpträume da real anfallen, wo man nicht im geringsten mit ihnen rechnet. Etwa kurz vorm Auftritt bei einem renommierten Musikfestival in einer großen süddeutschen Stadt in einer wunderbaren, perfekt sanierten Kirche. Vielleicht hätte uns schon misstrauisch machen sollen, dass es im Seitenraum neben dem Altar nach Zigaretten und Kohlspeisen roch.
Gerade wollten wir die Instrumente auspacken, da materialisierte der Hausmeister, ein kleiner Mann um die 40. Er kam aus einer Türe, an der „Privat“ stand, fletschte ein Lächeln zurecht und komplimentierte uns ins Treppenhaus. Im Keller gebe es einen Saal, groß genug. Nun gut. Vierzig Stufen runter, Temperaturanstieg um zehn Grad. Schlecht für die Instrumente, die sich oben in der kühlen Kirchenluft verstimmen würden. Außerdem möchte man direkt vorm Auftritt nicht so weit vom Podium sein. Also wieder rauf. Der Hausmeister wartete schon, er lächelte nicht mehr. „Privatbereich!“, rief er, „Ruhe!“
„Pscht“, sagten wir einander, „nicht lärmen! Da schläft wohl jemand hinter der Tür…“ Um 18.30 Uhr? Von Babys hatte er nichts gesagt. Und hinter der Tür schlief auch kein Baby, da lauerte die Hausmeistersfrau. Ich spielte ganz leise ein paar Töne auf der Bratsche, um die Finger geschmeidig zu halten, da barst die Tür auf, und sie stand da. „Wollen Sie uns provozieren?“, krähte sie. „Das ist hier Privatbereich!“ „Wir haben hier gleich ein Konzert“, sagte ich sauer, „und das ist DA und nicht im Keller. Behandeln Sie Ihre Gäste etwas besser.“ Unser Violonespieler, ein Meister der Deeskalation, nahte sich der Furie.
Sanft wie ein Therapeut redete er auf sie ein. Vergeblich. „Sie werden hier nicht Fuß fassen!“ kreischte sie, „Privatbereich!“, wiederholte ihr Mann, „Unglaublich!“, brüllte ich, unsere Altistin bekam Herzrasen und legte sich auf den Boden. Offenbar hatte dieses Hausmeisterpaar, versehen mit Wiener Genen aus dem 19. Jahrhundert, mit Hilfe gefügiger Geistlicher seinen Machtbereich im Gotteshaus so ausgebaut, dass man schon froh sein musste, auch nur im Altarraum vor ihnen sicher zu sein. Hätten wir ihn in diesem Moment nicht aufsuchen müssen, es wäre zu Szenen gekommen, wie sie Doderer genüßlich schilderte.
In seiner Erzählung „Untergang einer Hausmeisterfamilie zu Wien im Jahre 1857″ wird am Ende die Hausmeisterin von den empörten Mietern durch ein kleines Fenster in den Lichthof hinausgestopft und pfeift dabei wie eine Ratte… Kurz, das Böse weilt mitten unter uns, aber die Kunst weiß das. „Trotz dem alten Drachen“, heißt es in Bachs Motette „Jesu meine Freude“, „ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh.“ Das gelang uns ganz besonders gut. Das garstige Drachenpärchen aber giftet weiter vor sich hin. Und ich weiß jetzt, dass nicht nur Bach für die Ewigkeit geschrieben hat. Sondern auch Heimito von Doderer.
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