Wie der Eitelste am Donnerstagmittag mit den Zähnen geknirscht haben muss, allein das macht die Sache in Stockholm doch schon unterhaltsam und erfreulich. „Wieder nicht genobelt! Vetternwirtschaftler!“, wird er geschäumt haben. Und dann den entsprechenden Tagebucheintrag verfasst, zur Veröffentlichung und für die Ewigkeit bestimmt wie schon vor 35 Jahren seine Notiz: „Dabei führt der Weg zum Nobelpreis nur über Lars Gustafsson…“
Wahrscheinlich hat Martin Walser aber schon am Donnerstagmorgen geknirscht, als er die „Süddeutsche Zeitung“ aufschlug und dort unter vierzehn heißen Kandidaten für den Literaturnobelpreis zwar sogar Bob Dylan fand (mal lesen, den Mann!), aber schon da nicht sich. Vielleicht unterschätze ich Walser auch, und er hat sich wahnsinnig amüsiert. Denn die Kandidaten wurden vermessen wie Models, sozusagen von Beinlänge bis Oberweite.
Literaturhistorisch legitimiert durch zwei Autorenrankings im 18. Jahrhundert (mein sanfter Namensvetter Friedrich von H. landete dort, posthum, auf einem hinteren Platz), hat die Redaktion fünf Kriterien an vierzehn Kandidaten angelegt, und dreizehn deutschen Literaturkritikern war es nicht zu doof, mit diesem Besteck die Oeuvres zu vermessen. Anschließend generierte ein Computer Grafiken aus ihren Voten: Je mehr Orange, desto nobelitierbarer.
Die Kriterien lesen sich wie ein Benotungsleitfaden für Deutschlehrer. „Sprachliche Ausdrucksfähigkeit und formale Versiertheit“, „Kulturelle Bildung und Gelehrtheit“, „Politisches Engagement und Gesellschaftskritik“, „Erfindergabe und Fabulierkunst“, „Unterhaltsamkeit und Spannung“. Muss man das noch kommentieren? Sind gute Autoren die mit satten Allroundwerten in einer Messung, der als dekorative Ergänzung nur „Innovation“ und „Autarkie“ fehlen?
Eigentlich ist es ja wurscht, denn wer ein guter Autor ist, das bestimmt jeder Leser selbst, der nicht alles glaubt, was man ihm sagt. Aber von welchen Autoren man überhaupt erfährt, das bestimmen auch diverse Multiplikatoren, von denen man sich wünschen würde, dass sie eigensinnige und kluge Köpfe sind. Wenn nun dreizehn einflussreiche Kritiker glauben, die Kunst sei an Kriterien zu messen und nicht umgekehrt, dann hilft nur: Stockholm!
Denn das Komittee hat mal wieder die Unberechenbarkeit an den Tag gelegt, für die man es lieben muss. Keiner der vierzehn Autoren, deren Leistungsprofile uns am Donnerstagmorgen vorgeführt wurden, nicht einmal Musterschüler Philip Roth und schon gar nicht Peter Handke (nur sechs von 20 Punkten für Unterhaltsamkeit, setzen!) darf 800.000 Euro mitnehmen, sondern Patrick Modiano, ein 69jähriger Franzose, den bei uns kaum einer kennt.
Außer, nun ja, Handke, der ihn übersetzte. Man darf daher annehmen, dass die Grafik für Modiano ganz kümmerlich aussähe, mit wenig Orange. So ähnlich wie die für Kafka. Martin Walser dagegen hätte sicher ein pralles Pentagramm: Bester in allen fünf Disziplinen! Er ist einfach zu gut für den Nobelpreis.
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