Zwei Engel, zwei Teufel, zwei Brüder

Brüder sind so“, sagte ein Freund aus Hamburg, der selbst einen Bruder hat, einen jüngeren. Sie hätten sich damals nichts geschenkt, in keiner Hinsicht. Da sei es teilweise richtig brutal zugegangen. Und bis heute seien sie ein Herz und eine Seele. Schwestern streiten nicht so. Wie auch immer es kommt, aus den Genen, aus der Sozialisation, aus subtilen Signalen der Eltern, von denen die nichts ahnen – Jungs sind Jungs. Wenn sich Frido und Paul streiten, dann herrscht Gewitter im Haus, mit schwarzen Wolken und roten Blitzen. Je kleiner der Anlass, um so heftiger der Kampf. Im Kleinen geht es ums Ganze.

Wem gehört denn nun das alte Vorhängeschloss ohne Schlüssel? „Mir!“ schreit Frido. „Meins!“ schreit Paul. Und ehe ich das Ding an mich nehmen kann, hat der Kleinere es dem Größeren entrissen und rast davon, beginnt schon zu lachen wie immer, wenn er davon rennt, halb triumphal, rutscht aus, da wirft sich Frido über ihn, und ich pflücke die beiden auseinander. „Das ist MEIN Schloss“, erkläre ich. „Ich brauche es nicht, aber wenn ihr euch so darüber streitet, kommt es weg.“ „NEIIINN!“, im Duett. „Paul könnte es doch zuerst haben und dann Frido.“ „Das ist ungerecht!“ schreit Frido. „Meins“, brüllt Paul.

„Was ist eigentlich mit deinem Hochhaus“, erkundige ich mich zur Ablenkung. „soll ich das mal fotografieren?“ Frido hat nämlich einen 77 Zentimeter hohen fabelhaften Avantgardebau aus Legos errichtet, den Paul, voller Respekt, nicht beschädigt hat. „Du sollst mir fotofieren“, sagt Paul. Im Grunde will er immer das haben und tun, was der Größere hat und tut, da sind sie sich einig. Er will auch Bauchschmerzen und Medizin haben, wenn sein Bruder das hat. Er will mir auch etwas erzählen, „dazählen“, im Bett, nachdem ich das Einschlaflied gesungen habe. Nur eben zuerst. Oder wenigstens gleichzeitig.

Manchmal bin ich genau so ungeduldig. Neulich saßen sie rechts und links von mir auf dem Sofa, morgens, als ich Zeitung las, und zerrten beide an dem Blatt, beide wollten die Kometensonde sehen. Ich konnte nicht weiterlesen, sprang auf, stampfte und rief: „Macht mit der Zeitung, was ihr wollt, ich gehe jetzt duschen!“ Das kann ja heiter werden, dachte ich, stellte auf Fatalismus und verschwand im Bad. Als ich zurückkam, lagen sie einträchtig nebeneinander, hatten sich eine Decke geholt und plauderten. Wenn ich unbeherrscht bin, werden sie gelassen. Irgendwer muss hier ja vernünftig bleiben.

Mitunter gibt Paul gern den kleinen Engel, wenn Frido sich teuflisch über falsche Brotsorten am Tisch ereifert. Und der liebt es, seinem jüngeren Bruder etwas zu erklären, etwa wie man eine Seilbahn baut. Unendlich geduldig! Umgekehrt geht Paul voran, wenn sie zugucken wollen, wie die Nachbarn Holz spalten. Dann zieht er Frido an der Hand hinter sich her und klärt unerschrocken die Lage. Und abends testen sie, was von mir übrig ist. Kann ich noch beide zugleich in ihre Betten tragen? Rechts 25 Kilo, links 15 Kilo auf dem Arm? Vom Sitzen in den Stand? „Mal sehen, ob das noch geht“, sage ich. Dann stemme ich mich hoch, und die Brüder strahlen.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt