Heute, muss ich gestehen, fällt mir nichts ein, weil mir zuviel einfällt. Zum Glück ist es nur in Zeitungen strikt verpönt, Selbstbezügliches aus der Werkstatt in Kolumnen zu pressen, das dürfen dort nur ehrfürchtig angefragte Promis, die dann sagen, woran sie gerade arbeiten. Ich arbeite an dem Monster, das Sie dort hinten gerüstumstellt im Trockendock sehen. Kein Wort dazu, außer dass das Ding Extrarecherchen für honorarfreie Kolumnen nicht zulässt, dafür aber Reisen erzwingt, die mir Spaß machen, Expeditionen in den nahen Osten. Zwei Stunden Fahrt, und man ist in einer anderen Welt.
Im Kloster, zum Beispiel. Ich steige extrem gern in Klöstern ab. Nicht für zwei Wochen Selbstfindung in pseudosakraler Stille und im Kreise burnoutbedrohter Manager, die dafür ihre Boni verheizen, sondern für eine Nacht in Thüringen, im Kerngebiet meiner Recherchen. Kurz vor Abfahrt des Zuges gen Osten hat mich eine nette Dame aus Gotha angerufen und erklärt, die Rezeption des Augustinerklosters sei nicht besetzt. Ich bekomme einen Zahlencode, den soll ich am Seitentürchen eintippen. Dann werde im weißen Kasten Fach zwei aufspringen mit dem Zimmerschlüssel. Und wann ich frühstücken wolle?
Klappt alles. Durch ein hallendes Treppenhaus trage ich mein Köfferchen hoch, das Kämmerchen hat zwei Fenster in meterdicker Mauer, sofort ist man geborgen. Geist und Seele kommen zur Ruhe. Per WLAN – diese Klöster sind up to date, auch wenn es keinen Föhn im Bad gibt – erfahre ich vom jüngsten Grauen in der Welt. Auch dazu kann einem so viel einfallen, dass einem nichts mehr einfällt, aber es ist, als gewährten einem die Klostermauern ein bisschen Distanz. Nicht Flucht vor der Welt, aber Ruhe, um zu sortieren, was vor sich geht, und Gewissheit, dass der eigene Kram auch noch zählt.
Dann treffe ich meinen neuesten Informanten oben im wunderschönen Rathaus der Stadt, der man im Nieselregen anmerkt, dass sie es neben Erfurt nicht leicht hat. Suchen Sie mal in Gotha ein nettes Lokal! Die ehrwürdig gemütliche „Schelle“ gegenüber vom Rathaus ist geschlossen. „Geschlossen“, steht auf dem Schild, weiter nichts. Im nahen Ratskeller lassen einen Als-ob-Italiener-Kellner und ihre eisgekühlten tschechischen Kolleginnen merken, dass es ihnen egal ist, womit sie ihr Geld verdienen. Sicher, man kann da essen, aber über Abfertigung geht es nicht hinaus. Gehen Sie ins „Diavolo“!
Auch das ist ein Italiener, genauer: Sizilianer, aber mit Herz und Seele und richtig gutem Wein und einem Kellner, der ihn kennt. Am Nebentisch sitzen Studenten, bezahlbar ist es hier nämlich auch noch. Und man kann als Alleinreisender behaglich Notizen machen, ohne dass sich jemand wundert. Nach und nach merke ich, dass Gotha auch so seinen Charme hat. Und am nächsten Morgen entdecke ich im extrem cool und metropolitan designten Speiseaal des Klosters eine Espressomaschine. Ob ich wohl zum Frühstück einen Capuccino kriegen könnte? Die nette Dame denkt kurz nach.
Eigentlich sei das Frühstück nur inklusive Kaffee oder Tee, sagt sie. „Aber wissen Sie was, Sie kriegen einen Capuccino! Wo sie doch der einzige Gast sind!“ Thüringer lieben solche kleinen Verschwörungen, glaube ich. Noch so ein Thema, Mentalitäten. Oder dass der Zug von Gotha nach Göttingen 40 Minuten Verspätung hat und keiner sauer ist, weil endlich mal nicht die Bahn schuld ist, sondern der Orkan, der Bäume aufs Gleis geweht hat. Da stehe ich und mache mir mal gar keine Gedanken. Einen Tag später sind es dann zuviele für eine Kolumne… Aber vielleicht mögen Sie jetzt ja mal nach Gotha fahren.
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