Wenn man´s schon mal eilig hat…

„Hier fängt Bremen richtig an“, sagte ich zu Frido und deutete auf das gelbe Ortsschild am Straßenrand. Dann fuhr ich auf eine Art Hochstraße. „Ich muss kaka“, sagte Paul von hinten. „Ach du Sch…liebe Güte“, sagte ich. Paul trug keine Windel, aber wenn er muss, dann muss er. „Okay“, ich beschleunigte etwas. „Vielleicht schaffst du´s bis zum Bahnhof? Oder vorher…“ Bremen glitt rechts und links vorbei. Die Hochstraße neigte sich wieder, und Frido wollte wissen, was wir uns im Überseemuseum ansehen würden. „Also, da gibt es Schiffe, und Hütten aus Afrika und Asien, und…“

Dieses Museum verdankt sich nicht zuletzt dem hanseatischen Seehandel, der diese Stadt einst reich machte. Heute hat sie an die 13 Milliarden Euro Schulden, obwohl hier im Durchschnitt jeder Beschäftigte 3800 Euro brutto im Monat verdient. Das liegt daran, dass viele, die in Bremen arbeiten, außerhalb wohnen. Also hat die Bremer Behörde ein Blitzgerät gerade da aufgebaut, an der Kurfürstenallee, wo eine Menge Autos mit nichtbremischen Kennzeichen hereinbrausen, mit Fahrern, die ihre Steuern woanders zahlen und von der ampelfreien Hochstraße beschwingt sind. Das alles wusste ich noch nicht.

GAZANG! „Ach du Scheiße!“, rief ich, diesmal vollständig, spähte auf den Tacho, und jähe Nacht senkte sich in den kühlen Sonnensonntag über der Hansestadt. Ortsgeschwindigkeit war das jedenfalls nicht. „Warum sagst du das?“ erkundigte sich Frido. „Weil ich geblitzt worden bin, und weil das teuer werden kann. Oder sogar sehr umständlich…“ Ich erklärte ihm das Blitzgerät und die Folgen. „Das sollte man mit einer Axt umhacken!“, meinte er. „Das hilft nichts. Ich glaube, das Foto wird von da gleich weitergesendet zum Ordnungsamt. Außerdem soll man wirklich nicht so schnell fahren.“

Aber wie schnell darf man sein, ohne den Lappen zu verlieren? Vorm Hauptbahnhof fragte ich eine Taxifahrerin, die wusste es nicht. Ein Smartphone zum Recherchieren hatte ich nicht dabei. So war ich für den Rest des Tages damit beschäftigt, ein gut gelaunter Papa zu sein, während ich zugleich nachdachte, wie man einen Monat lang Fahrdienste zwischen Dorf und Städtchen so organisiert, dass zwei Jungs täglich zum Kindergarten kommen und ihre Eltern zum Bahnhof und… herrje! Aber vielleicht war das Blitzgerät ja defekt! Vielleicht löschten höhere Mächte gnädig meine Daten!

Eine Woche verging, noch eine, noch eine, kurz vor Weihnachten kam der Brief. Mit 76 km/h war ich am Lappenverlust knapp vorbeigeschrammt. Die Fahrzeughalterin als Ehefrau des anonymen Delinquenten machte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Ich sah nicht ein, warum ich das verschuldete Bremen, das so diabolisch bei der Aufstellung seiner Blitzgeräte vorgeht, umstandslos mit 100 Euro unterstützen sollte, nur weil Paul aufs Klo musste. Aber die Polizei ist ja nicht bescheuert. Sie haben eins und eins zusammengezählt und gefunden, dass mein Paßbild dem Fahrer ähnelt.

Also gut. HIER, liebe Beamte, haben Sie die „freiwilligen Angaben zur Sache“, ein Extrablatt darf ich ja beilegen. Tun Sie Ihre Pflicht, ich will auch keinen Volksentscheid zur Änderung der STVO, aber fragen Sie sich, was das für die Jungs für ein Tag geworden wäre, wenn eine vollgekackte Hose uns zur Umkehr gezwungen hätte. Verzweiflung, Tränen, Gestank! Wir haben es prima geschafft. Es wurde ein wunderbarer Tag, der mir so lieb wie, nun ja, teuer ist.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die allwöchentlich erscheinende Kolumne kann man per Newsletter abonnieren.