Die Spur der Erbsen

Erbsenzähler! Jeder zweite Nichtwissenschaftler, der sich zu Bruder Gregorius äußert, nennt ihn einen Erbsenzähler. Schmunzelnd natürlich und mit einem gewissen Respekt, aber doch dankbar, sich den Pionier einer Wissenschaft, die immer tiefer in unser Leben greift, verniedlichen zu können: Gregor Mendel, „Vater der Genetik“, der wir seit Jahren ihr „AAGACC“ und „TGTGCT“ nachgackern. 150 Jahre ist es nun her, seit am 8. Februar 1865 der Augustinermönch im Naturforschenden Verein etwas über Erbsen erzählte, womit die Anwesenden nicht viel anfangen konnten.

Er hatte rotblühende mit weißblühenden Erbsen gekreuzt und daraus nur rotblühende erhalten, während in der Enkelgeneration das Weiß wieder zum Vorschein kam. Die Summen der Elterneigenschaften (er hatte noch sechs weitere Kriterien gewählt) wurden von der Natur also nicht wie Farben gemischt. Ein Organismus, zeigte der 43jährige, ist ein Mosaik von Merkmalen, die unabhängig voneinander vererbt werden können, nach Regeln, die Mendel aus der statistischen Auswertung von 28.000 Pflanzen gewann – ein Gärtner mit dem Hirn eines Mathematikers.

Der Brünner Verein druckte zwar seine „Versuche über Pflanzen-Hybriden“, aber es dauerte rund vierzig Jahre, bis einige Forscher unabhängig voneinander so weit waren, in der alten Untersuchung Beweise für ihre neuen Theorien zu finden. Nochmal hundert Jahre später war dann schon enthüllt, dass das menschliche Genom aus 23.686 Genen besteht, und jeder Laie, der von Mendel höchstens wusste, dass er im 19. Jahrhundert Erbsen gezählt habe, konnte das Vier-Buchstaben-Alphabet der DNA aufsagen wie ein Bekenntnis zum Positivismus. Mittlerweile ist Genetik eine echte Modewissenschaft.

Heute könnte einer wie Pater Gregor auf Tournee gehen. Sollte er! Besonnen und uneitel, wie er war, würde er darauf verweisen, dass seine dritte Regel, die von der Unabhängigkeit der Merkmale voneinander, durch das Phänomen der Genkopplung relativiert wird. Aber ob es ihm gefiele, dass die pränatale Diagnostik mittlerweile genetisch so genau und einfach ist? Dass die Schwelle sinkt, jedes werdende Leben zu stoppen, dessen Erbgut keine Traummaße hat? Wird die Erbsenzählerei am Ende zur Eugenik? Dazu hätte wohl nicht nur der eine oder andere Augustinermönch etwas zu sagen.

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