10. März 2015

> Einen „Riesenbrocken Welt voll Glitzer und Quarz, Rotz und Gosse“ schmiss uns der Rezensent da hin, selbst völlig erschlagen und völlig entflammt von der Lektüre der 1194 Seiten, zu denen er anfangs eine „zögernde Annäherung“ verhieß, um auf der Mitte von rund 400 Zeilen zu erklären, „diese Sprache trägt als Beute im Maul immer Fetzen Wirklichkeit“, wenig später aber auch an sich selbst zu zweifeln: „Vielleicht irre ich mich auch“, vielleicht geheimnisse er etwas hinein in diesen Roman, aus dem er außerdem rund 70 Zeilen zitierte. 70 Zeilen! Das muss man erstmal riskieren – neben so großen Zitaten kann eine Rezension schnell verblassen. Diese verblasste in 33 Jahren nicht. Was Fritz J. Raddatz am 2. April 1982 in der ZEIT über Thomas Pynchons „Die Enden der Parabel“ erscheinen ließ, veranlasste mich, 20 Jahre alt, zum sofortigen Erwerb eines Buches, das meine Wahrnehmung der Welt änderte, nicht nur der Literatur. Raddatz hatte getan, was Literaturkritik idealerweise tun sollte, er hatte sich – in zweimaliger Lektüre! – vollständig auf das Werk eingelassen, es erkannt, auch in Kenntnis der umgebenden zeitgenössischen Literatur, er hatte sich geöffnet, seine Verunsicherung bekundet, und damit auch den Standort, um den er rang, sein „Ich“ war kein eitles, sondern ein kommunikatives. Der Zeitungsausschnitt behielt in meinem Regal immer seinen Platz direkt neben dem Roman, und neben ihm verblasst vieles von dem, was Buchbesprecher heute leisten können – es fehlt da allein schon an Platz und Zeit: wer liest 1194 Seiten ZWEIMAL nacheinander? Daneben und weiteren wesentlichen Arbeiten (auch zu Pynchon und nicht immer hymnisch) wird aber auch jener Fritz J. Raddatz verblassen, den jetzt – nach seinem selbstbestimmten Tod mit 83 Jahren – so viele Nachrufer würdigten: der Jetsetter, Pfau und Narziss, der Don Juan, jener Chef des ZEIT Feuilletons, der jeden Dienstag Champagner öffnen ließ. Er, vor allem, scheint zu interessieren. Wer bei Google News die Begriffspaare „Raddatz Pynchon“, „Raddatz Champagner“ und „Raddatz Eisenbahn“ eingibt, stößt bei den Trefferzahlen auf ein Verhältnis von 1 zu 19 zu 24. Jahaa, das mit der Eisenbahn! Da hat er sich ja schwer vertan, da hat er sich selbst die Luft rausgelassen, der alte Schaumschläger, das können sich die Zwerge gar nicht oft genug erzählen. Ach je. Ich bin ihm dankbar für die großartigste Literaturkritik, de ich je las.