Wir leben wohl doch in einem fabelhaft reichen Land. Zu ihm gehört etwa der Freistaat Bayern, der 130 Millionen Euro Steuergeld ausgibt, damit sich zwei Tage lang sieben Regierungschefs austauschen können. Nach allem, was man so hört, leben die von ihnen vertretenen Nationen im Frieden miteinander. Trotzdem werden 17000 Polizisten eingesetzt, damit die Chefs stressfrei miteinander reden können. Die Schweden brauchten anno 1636 bei Wittstock nicht ganz so viele Männer, um eine der größeren Schlachten des 30jährigen Krieges für sich zu entscheiden. Man kann das nicht vergleichen.
Man kann ja sowieso überhaupt nichts vergleichen. Wo kämen wir hin, wenn wir überlegten, was sich mit 130 Millionen Euro etwa im Bereich der Kinderbetreuung und der Kultur ausrichten ließe, bezogen auf einen Zeitraum von zwei Tagen? Unseriös, sowas! Wo es doch auf Schloß Elmau um die Zukunft der Menschheit geht und bei Kindern und Kultur nur um… äh… die Zukunft der Menschheit, zu der übrigens die Schlacht bei Wittstock nichts Gutes beigetragen hat, sorry, Schweden. Aber ich schweife ab: Es ist ein reiches Land, das wir bewohnen, gemessen am Durchschnittsvermögen sogar superreich.
Nur dass da, wo fröhliche Durchschnittsbewohner uns zuwinken müssten, nur noch ein paar Leute stehen, während sich entscheidende Teile der Bevölkerung auf die armen und reichen Ränder zubewegen. Derzeit zankt man noch, ob der neueste Armutsbericht, der 15 Prozent der Deutschen unter der Armutsgrenze sieht, nicht ein bisschen zu drastisch ausgelegt wird, weil man sich doch immer noch nicht durch ein Land bewegt, „in dem die alleinerziehenden Mütter mit ihren Kindern unter Brücken schlafen müssen und in dem die Rentner bettelnd durch die Straßen ziehen“, wie die „Welt“ spöttisch anmerkt.
Und dann muss man ja auch bedenken, welchen Stress es für ein Prozent der Bevölkerung bedeutet, 30 Prozent des gesamten Privatvermögens unter sich aufteilen zu müssen. Für diese Gepeinigten und alle, die ihnen nah sein möchten, also auch empathiefähige Zeitungsredakteure, gibt es seit längerem Extraseiten zum „Stil“, das sozialverträgliche Wort für „Luxus“. Auf einer solchen wurden jüngst fünf Espressomaschinen verglichen. „Muss man mögen“, sagt ein Barista über eine der billigeren, die nur 1000 Euro kostet. „Der Kaffee enthält nicht alle Aromen; außerdem scheint mir das Thermometer unpräzise.“
Meine hat gar kein Thermometer! Trotzdem begeistert es mich, was da über die teuerste Machine, 4500 Euro, steht: Sie sei „vergleichbar mit dem italienischen Sportwagen in der Garage“, schwärmt die Redaktion ohne jede Ironie. Und der Barista grinst: „Was soll man sagen? Das ist die perfekte Maschine.“ Was soll man sagen? Das ist die perfekte Realsatire. Man kann aus solchen Seiten gar keine Karikatur mehr machen. Sie zeigen, auf welche Zielgruppen es ankommt. Halt, das ist unfair. Der Barista hat auch einen Tipp für alle, die sich nur das Blech für 130 Euro leisten können: „Lieber ein paar Monate länger sparen.“
Er hat insofern recht, als es in einer gerechten Gesellschaft – eines der Motive der Demonstrationen, vor denen 17000 Polizisten die sieben Regierungschefs schützen sollen – nicht darum geht, dass jeder Bürger eine aromentreue „Marzocco GS/3“ in der Küche stehen hat. Er wird mir aber auch recht geben, wenn es mir vorkommt, als lebten wir in einem fabelhaft reichen Land.
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