Mit „Yesterday“ zurück in die Zukunft

F, Em7, A7, Dm, Dm/C… Das ist ein Teil der DNA, die ins Seeleninnerste vordringt, aber die erklärt natürlich nicht alles. Es kommen helle Einsichten dazu, etwa „Suddenly I´m not half the man I used to be.“ Aber sie entstanden erst, als die Melodie schon fertig war. Die fand ihr Komponist so gut, dass er nicht sicher war, ob er sie nicht aus Versehen geklaut hatte. Nein, Paul, nie gehört, sagten alle, und so setzte er sich am 14. Juni 1965 ins Studio 2 der Abbey Road und nahm den Song auf. Ausnahmsweise ohne die anderen drei Beatles, allein mit einer akustischen Gitarre Typ Epiphone FT-79 „Texan“.

Drei Tage später wurde das Streichquartett dazugemischt. Übrigens soll Paul McCartney auf vibratolosem Spiel bestanden haben, wie zeitgleich die Pioniere der historischen Aufführungspraxis. Wie man hören kann, setzte er sich nicht durch. Um so mehr sein Lied, das bis heute der am meisten gecoverte Popsong aller Zeiten ist – schon 20 Jahre nach der Veröffentlichung des Albums „Help!“ im August 1965 existierten 1600 Bearbeitungen, einschließlich die der Beatles selbst: Auf Tournee spielten sie die traurige Ballade ohne Streicher, aber mit Schlagzeug. Sie wäre sonst im Kreischen der Fans untergegangen.

50 Jahre später ist „Yesterday“ primus inter pares von den vier Werken jenes Jahres, die auf die Umlaufbahn der Ewigkeit gerieten. Die andern sind „Ticket to ride“ und „Help“ von den Beatles, „Satisfaction“ von den Stones und „Requiem“ von György Ligeti, später bekennender Bewunderer der Liverpooler. Man sollte meinen, die Musikwissenschaft hätte längst mal erkundet, welche historischen Linien sich in diesem Megahit treffen. Aber nein! Es dauerte 40 Jahre, bis einer klamm erklärte, in „Yesterday“ erweise sich Kreativität als systemische Kreuzung aus Individuum, Gesellschaft und Symbolvorrat.

Das hätten ihm die Beatles auch gleich sagen können. Das hätte ihm schon Homer sagen können. Und das erklärt noch gar nichts. Aber, so lehrt uns das Lied, man muss nicht alles wissen: „Why she had to go, I don´t know, she wouldn´t say”. Das nimmt der einfach so hin und hält sich lieber an gestern. Zurück in die Zukunft, könnte man sagen, denn die wurde in diesem Fall ja locker erreicht. Ein Fall für die Zeitphilosophen? Auch die müssten erstmal zur Klampfe greifen wie abertausende vor ihnen und die Finger sortieren: F, Em7, A7, Dm, Dm/C… Einfach. Aber man muss drauf kommen.

Dieser Text erschien gekürzt am 13.6.15 in der Hannoverschen Allgemeinen, vollständig am 14.6.15 im Tagesspiegel und ist urheberrechtlich geschützt