31. Juli 2015

> In der zweiten Tristanpause sprach ich mit einem Kollegen und rauchte, da trat ein bulliger, gut gelaunter Mann zu uns, nicht feingemacht, aber professionell dazugehörend, wie an der Montur zu erkennen war. Aus irgendeinem Grund tragen Kameraleute ja gern Westen, seine ging in Richtung Signalfarbe, eine Kamera hatte er nicht, die Zigaretten waren ihm ausgegangen. Ob ich…? Ich fischte gern die Schachtel raus, während er rasch erklärte, so ein Stress sei das, er und sein Team hätten schon zwei Schachteln verbraucht. Er sagte es nicht reumütig, eher, um das Stressniveau der Sache zu umreißen, die Auftragsbedeutung, ein Hammer, die Eröffnung der Bayreuther Festspiele. Süß, es so zu sehen, ich war genervt vom Absperren. Man kommt ja nicht mehr von Ost nach West, draußen in der Pause und in einer Art Demokratie. Da ist der mit roten Kordeln bezeichnete bull run, polizeilich gesichert, von Spalierstehern mit und ohne Karten gesäumt, die sehen und fotografieren möchten, wie das deutsche Regierungsoberhaupt von der Mittelloge über den Platz ins Restaurant schreitet, nebst Entourage. So heftig abgesperrt wurde vor Jahren noch nicht. Vor hundert Jahren schon. „Absperren war die Hauptsache, das gehörte dazu, damit war jeder einverstanden. Das mußte auch der roteste Sozialdemokrat einsehen.“ So schreibt Karl Jakob Hirsch in „Kaiserwetter“, 1931 erschienen, über einen Kaiserbesuch in Hannover vor 1914, in Bayreuth ging es nicht anders zu.

Mittlerweile haben die Sozialdemokraten etwas die Farbe verloren, und die Fotografen sind härter drauf. Ich wollte dem fleißigen Mann in der Weste gerade Feuer geben, da erstarrten seine Augen, fixierten etwas, er riss die Arme hoch, auf einmal waren zwei Männer bei ihm, schwer bewaffnet mit Filmgerät, er schrie etwas, alle drei stürzten los. Da war nämlich aus dem Seitenausgang ein greiser deutscher Politiker gekommen, im Rollstuhl geschoben, nicht Schäuble. Viel älter und viel weiser, körperlich nun ein Strich neben seiner Bedeutung, seiner Intelligenz, ein Helfer schob ihn rasch und rascher, und er blickte fast mit Angst, so schien mir, hinauf zu dem Jägertrio. Sie hielten drauf und rannten mit, der Boss hatte die geschnorrte Zigarette längst fallen lassen. Sie schienen hier für einen Krieg zu üben, sie machten die Pause zum Kriegsschauplatz. Es ging ihnen um Treffer, um Volltreffer. Das Musiktheater im Gehäuse dahinter war ihnen (aber nicht nur ihnen) Anlass, Kulisse und Nobilitierung ihres Tuns. Es wird sie nicht interessieren, was ich darüber für das aktuelle ZEIT Feuilleton schrieb. Eher schon werden sie mit Tunnelblick die exzellente Bayreuther Recherche von Christine Lemke-Matwey lesen, weil da nämlich Hitler vorkommt (vor dessen Reich Karl Jakob Hirsch floh) und ein Privatfilm, der ihn in Bayreuth zeigt. Sie werden nicht wissen wollen, worum es eigentlich geht, sondern den Privatfilmer von damals beneiden um seinen Fang. Sie werden auch weiterhin rauchen, wie ich. Raucher sind mitunter in unerfreulicher Gesellschaft, wie Bayreuthbesucher auch.

Jeglicher Übergang und jegliche Moderation verbietet sich, um auch hier zu sagen, dass mit 53 Jahren Friedemann Weigle gegangen ist, Peacy, der wunderbare Bratscher des Artemis Quartetts. Am 24. Juli wurde er in Berlin beerdigt. Meinen Nachruf auf diesen Musiker hat Zeit online veröffentlicht.