Mit dem Audi in den Abgrund

Vor ein paar Tagen interessierte mich bei FAZ online der Videospot über ein Baby, das auf einem Flüchtlingsschiff zur Welt kam. Vor das Video war Werbung geschaltet, etwa 18 Sekunden. Was ich sah, war zunächst der Blick aufs Armaturenbrett eines Audi, dessen Display „Service“ forderte, dann eine Totale, die die Landschaft zeigte, durch die der schwarze Wagen glitt: wüstenartig, ärmlich, Telegrafenmasten, Baracken. Dann wurde im Wechsel von Totale und Blick aus dem Auto die Lage dramatisch: Zerlumpte Männer liefen auf den Wagen zu und ihm hinterher, näher nicht zu erkennen, immer mehr, einander überstürzend.

Der Wagen nähert sich einem silbrigen Gebäude, das wie ein Fremdkörper in der Ödnis steht, die Verfolger bilden jetzt geradezu eine ihm nachschäumende Woge, übereinanderfallend, die ersten schon das teure Auto berührend. Gerade noch gleitet das Tor hoch, zu einem Glockenschlag, und lässt den Wagen hinein. Die Verfolger bleiben draußen, tausend Hände bis in fünf Metern Höhe an der Scheibe klebend. „Damit Ihr Audi nicht in falsche Hände gerät“ wird eingeblendet. Drinnen Ruhe, Sauberkeit, der gutgekleidete Fahrer und ein Ingenieur bewegen sich gelassen in spiegelnder Halle, die aufgepeitschte Musik sänftigt sich zu feinem Dur, folgt der knappe Audirhythmus, Ende.

Etwas Perfekteres und Widerlicheres habe ich selten gesehen. Deutsche Wertarbeit, von zombiehaft anrückenden Armen in einer balkanisch bis nordafrikanisch anmutenden Gegend bedroht, vor ihnen in die Festung gerettet. Fremde Menschen als böse Flut, unterlegt mit Endzeitfilmmusik, Bass-Offbeats zu sich hochstapelnden Dissonanzen, der erlösende (christliche?) Glockenschlag, der reine Durakkord. Das bedient antisoziale, inhumane Reflexe zu einer Zeit, in der solche Reflexe sich in brennenden Asylunterkünften spiegeln, während zehntausende von Menschen aus kaputten, armen, audiwerkstattfreien Weltgegenden Europa als ihre Rettung sehen.

So war der Film natürlich nicht gemeint. Als er im Frühjahr als Werbung ins Kino kam, dauerte er eine Minute und zeigte, wie allerlei schmierige Mechaniker in ihren Baracken aufblicken, als der Audi naht, und sich auf den Weg machen. Die Botschaft war, man solle nur Vertragswerkstätten aufsuchen. Schon diese Version genügte für eine Klage beim Werberat, weil der Film „angsteinflößende Szenarien kreiere“ sowie „die ländliche Bevölkerung und die Arbeiterklasse“ herabsetze. Und die freien KFZ-Unternehmer, deren Netzwerk im Mai meldete, der Werberat habe den Spot gebilligt. Näheres erfahren dort nur KFZ-Unternehmer, auf der Website des Werberats findet sich dazu nichts.

Wohl aber die Regel, es dürften „keine Aussagen oder Darstellungen verwendet werden, die Personen beispielsweise wegen ihres Geschlechts, ihrer Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Sprache, ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihrer politischen Anschauung, ihres Alters, einer Behinderung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe diskriminieren.“ Ein Kreativchef von Audi sagte: „Wir greifen ja niemanden direkt an“, der Spot funktioniere „eher auf einer metaphorischen Ebene“ und sei „fast schon surreal“. Genau. Das macht ihn so perfekt wie ein Virus, erst recht in der komprimierten 18-Sekunden-Version, die das Motiv der Meute nicht mehr berufsspezifisch definiert.

Die Kurzfassung ist nun nirgends mehr zu finden. Aber auch das Original ist geeignet, sich Gedanken darüber zu machen, wie intelligente Werbeleute in hochdotierter Nutzung von Ängsten und Wünschen den Verstand verlieren können. Die Zivilisation beginnt nicht hinter jenem Werkstatttor in der Wüste. Sie endet dort.

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