Raketenstart an der Resterampe

Uraufführung in Linz: Moritz Eggerts SF-Oper „Terra Nova“ kommt über Klischees nicht hinaus

Schlittenglocken achteln emsig, Geigen fispeln, aus den Boxen pfeift die Toneinspielung „Schneesturm“, gegen den auf der Bühne drei Astronauten antapsen durch den Trockeneisnebel. „Dunkel und Kälte, Hitze und Dürre, kaum dass ich mein Herz noch spüre“, singt einer von ihnen. Wo sind wir hier gelandet? „Schneefeld im Testsimulator“, steht auf Seite 85 von 427 großen Partiturseiten. Die Männer üben für den Flug zu einem bewohnbaren Planeten der elften Galaxie. Aber, schwierigere Frage, wie kommt es zu dieser klammen Mischung von Holperversen, Klangklischees und fliegendem Klassenzimmer?

Man stellt sich solche Fragen zunehmend oft bei einer der aufwendigsten Uraufführungen dieser Saison. Vierzehn Sänger, zwei Chöre, großes Orchester, 21 Perkussionsteile plus Drumset und Pauken, Keyboard und E-Geräte hat der Komponist Moritz Eggert im prachtvollen Neubau des Landestheaters Linz versammelt, um eine zweieinhalbstündige Weltuntergangsoper auf die Beine zu stellen, „Terra Nova“, zusammen mit Dirigent Dennis Russell Davies und Regisseur Carlus Padrissa. Die letzte große Oper zur Apokalypse war György Ligetis „Le Grand Macabre“, übrigens im selben Jahr 1978 wie der Science-Fiction-Film „Die Körperfresser kommen“. In Linz ist der Film näher.

Mikroben aus Meteoriten verwandeln die Menschen in weiße, emotionsfreie Gestalten, liefern aber auch die neue Energie für ein Raumschiff, mit dem die Erdlinge einen Schwesterplaneten erreichen wollen. Denn die Erde, totalitär beherrscht, ist unbewohnbar geworden. Die Librettisten Franzobel und Rainer Mennicken, scheidender Intendant des Hauses, verbinden Kritik am Verfall von Umwelt und Demokratie mit Fragen an den Fortschritt. Das führt dann zu so geschmeidigen Sätzen wie „Das Verhältnis von Natur und Zivilisation braucht keine Steuerung mehr“ und Scherzen wie „Houston, wir haben kein Problem“.terra nova foto

Bemannte Raumfahrt im Musiktheater des frühen 21. Jahrhunderts: Szene aus “Terra Nova”. Foto:Ursula Kaufmann

Moritz Eggert hat auch schon die Nutzungsbedingungen von Google vertont, ein Fußballoratorium und eine Kinderoper geschrieben, Schmachtfetzen für Inga Humpe und Orchestermusik für Münchens Philharmoniker, sein „Hämmerklavier“ ist eine Kultnummer. Der 51-jährige Komponist, Pianist und Performer mischt auch als Blogger gern die eher verschwiegene Zunft der Tonsetzer auf und liegt gut im Wind mit seinem poppigen Kurs zwischen E und U, bemoosten Lagern, die im deutschsprachigen Raum noch immer gepflegt werden. Doch jetzt, da es groß und gefährlich werden soll, hört man nur noch Versatzstücke von der Resterampe.

Es gibt Stilzitate von „Zarathustra“ bis Minimal Music, rauchigen Swing und röhrenden Sandalenfilm. Eine Marilyn singt wie einst die Monroe, eine Astronomin mit dem vielsagenden Namen Pandura formt Linien wie aus Pfitzners Palestrina. Anders als ein Fusionist wie Peter Eötvös hat Eggert dabei keine Sprache hinter den Sprachen, anders als Steve Reich kein konzentriertes Idiom, in dem er sich mit seinem Thema verbindlich auseinandersetzen könnte. Seine Partitur gibt möglichst vielen Affen Zucker und könnte genauso gut den Turmbau zu Babel, Hänsel und Gretel und einen Samstag im Supermarkt zu einer popcornleichten Collage verbinden. Oder sogar noch besser.

Hier aber, wo es richtig moralisch wird, kommen die Klischees nicht über sich hinaus, auch wenn Eggert sie leichthändiger verbindet als Regisseur Carlus Padrissa. Da hebt und dreht sich die Bühne zu Massenaufmärschen, es gibt einen wummernden Raketenstart und zuckende Ballette der „Moonwalkers“, Systemkritiker, die wie grenzdebile Aborigines daherkommen. Die finale emotionale Entkernung der Menschen – ganz in weiß und gleichgeschaltet schreiten sie einher – ist begleitet von triumphalistischem Getöse, das man als ironischen Kommentar hören könnte. Wenn man dann noch wollte.

Übrigens hält Moritz Eggert das Komponieren „für die Nachwelt“ zu Recht für ein überholtes Geniekonzept. Sein Maßstab ist die Mitwelt, und es gibt so vieles, was sie dringend bräuchte. Diese Oper gehört leider nicht dazu.

Dieser Text erschien am 2. Juni 2016 minimal kürzer in der ZEIT (zusammen mit Mirko Webers Besprechung von “Koma” (Haas) unter der Überschrift “Oper ist, wo das Leben schweigt”) und ist urheberrechtlich geschützt.